26.3.09

Kim Edwards: Die Tochter des Fotografen

Norah Henry gebiert Zwillinge. Ihr Mann, Arzt von Beruf, entbindet sie von einem kerngesunden Jungen und einem Mädchen mit Dawnsyndrom. In Erinnerung an seine Schwester, die mit zwölf Jahren an dieser Krankheit gestorben ist, gibt er das Mädchen in die Obhut der Schwester, die bei der Entbindung geholfen hat, mit der Bitte, die Kleine in ein Heim zu geben. Seiner Frau erzählt er, dass das kleine Mädchen tot geboren wurde. Die Schwester fährt mit dem Baby in das besagte Heim und trifft dann eine folgenschwere Entscheidung. Sie kündigt ihren Job und zieht mit dem Baby weg, um es alleine großzuziehen.

Ich habe Kritiken zu dem Buch gelesen, wo darüber geschrieben wurde, dass sich das Buch zwischendurch wie Kaugummi zieht. Dem kann ich absolut nicht zustimmen. Klar, es ist nicht mit Spannung geschrieben, ich kann mich auch nicht in die Protagonisten hineinversetzen oder mich mit ihnen identifizieren, weil ich nicht in der Situation bin oder war. Das Leben der beiden Familien wird abwechselnd erzählt, wobei ich das von der Krankenschwester mit dem Mädchen ungleich interessanter fand, da diese mit anderen Eltern um die Anerkennung der Kinder mit Dawnsyndrom in der Gesellschaft kämpft.

Vielleicht ist es gut zu wissen, dass die Geschichte 1964 beginnt. Anfang der siebziger, als das Mädchen auf einen Bienenstich allergisch reagiert und ins Krankenhaus gebracht wird, fragt die Krankenschwester doch tatsächlich, ob das Kind wirklich gerettet werden soll. Das fand ich schon mächtig hart.

Das Buch enthält noch ein bisschen Bonusmaterial, Infos über das Buch, die Autorin, ein Interview mit ihr, wie das Buch entstanden ist und ein paar Diskussionsthemen für Leserunden.

Die gebundene Ausgabe verkaufte sich ganz gut. Ende Mai 2006 kam die Geschichte als Taschenbuch raus und ging im Juli schon das 800.000. Mal über den Ladentisch. Inzwischen wurde es schon über fünf Millionen-mal verkauft und ist eines der bestverkauftesten Bücher der letzten Jahre.

Und das nicht etwa durch große Buchketten oder riesige Marketingbudgets, sondern durch die unabhängigen Sortimenter und Mundpropaganda begeisterter Leser, zu denen auch diverse Lesezirkel gehören, die sich auch bei uns einer immer zunehmenden Beliebtheit erfreuen. - Und das, finde ich, ist immer noch die beste Werbung.

Carola Stern: Doppelleben

 "Wie soll es gelingen, ausgerechnet mein Leben mit seinen Fluchtbewegungen und Brüchen in wechselvollen Zeiten als schöne, stimmige Einheit zu begreifen? In mehrfacher Bedeutung des Begriffs bleibt es ein Doppelleben."

Carola Sterns "Doppelleben", welch ein Genuss ist es gewesen, über das Leben dieser Frau zu lesen. Sie hat einen einmaligen Schreibstil, das habe ich schon bei ihrer Biografie über Rahel Varnhagen erleben können.

Mit den letzten Sätzen in ihrem Buch spricht mit Carola Stern aus tiefstem Herzen:

"Doch schmerzt es mich, angesichts wachsender sozialer Ungerechtigkeit am Ende meines Lebens dazustehen ohne Antworten, ohne Perspektive, wie eine menschenwürdige Gesellschaft für alle erreicht werden kann. Es ängstigen mich Eigennutz und Habgier, die Unbarmherzigkeit von Unternehmern, die Resignation Betroffener, ihr Murren, das sich kaum noch in Empörung äußert, ein neuer Rechtsradikalismus und die Gleichgültigkeit, mit der er hingenommen wird. Ich bin einer jener "Gutmenschen" geworden, einer jener törichten Alten, die den Verlust von Werten, von Zivilcourage und Solidarität beklagen und von den Jungen oft belächelt werden. Das kann ich ertragen. Aber den Wandel des Zeitgeistes - ja, den würde ich noch gern erleben."

Die Autobiografie erschien 2001 bei rororo Sachbuch. Auf den gewünschten "Wandel des Zeitgeistes" werden wir wohl noch lange warten müssen. Momentan sieht es eher danach aus, als ob alles schlimmer wird.


4.3.09

Christine Westermann, Jörg Thadeusz: Aufforderung zum Tanz. Eine Zweiergeschichte

Klappentext
Ein Mann – eine Frau: ein schwindelerregender Tanz

Die beiden Bestsellerautoren Christine Westermann und Jörg Thadeusz kannten sich kaum, bevor sie sich in das Abenteuer stürzten, gemeinsam ein Buch zu schreiben. Was hat sie dazu getrieben? Eine riesige Neugier aufeinander: Jeder will herausfinden, wie der andere – anderes Geschlecht, anderes Lebensalter – die großen und kleinen Themen des Lebens betrachtet. Christine Westermann und Jörg Thadeusz teilen mehr als eine Leidenschaft: Als Journalisten haben sie ihre Lust, Menschen und deren Geschichten kennenzulernen, zu ihrem Beruf gemacht. Beide zeigen sich in ihren Büchern als Meister der Beobachtung, die noch den alltäglichsten Situationen poetische und hochkomische Seiten abzugewinnen vermögen. Beide sind entwaffnend aufrichtig. Und hochgradig charmant. Ihr Briefwechsel ist eine Aufforderung zum Tanz, nur wer hier wen auffordert, ist noch nicht geklärt. Mit großer Anmut, unerwarteten Volten und einem nie versagenden Taktgefühl nähern sich Christine Westermann und Jörg Thadeusz ihren Themen: Liebe, Treue, Eifersucht, Älterwerden, Arbeit und Nichtstun. Sie erhitzen sich darüber, ob Carl Maria von Weber ein "Frauenversteher" war, und ob "Frauenversteher" nun ein Schimpfwort ist oder nicht. Oder philosophieren über den Sinn von Kosenamen, über jene, die die eigenen Eltern füreinander gebraucht haben, und jene, die einem selbst zugefallen sind. Über welches Thema die beiden auch schreiben, stets überraschen sie den Leser mit unerwarteten Ansichten und Schlussfolgerungen, mit Pirouetten oder einem rasanten Marsch übers Parkett.


Buchbeginn
Als ich den ersten Liebesbrief bekam, glaubte ich noch, ich würde ihn niemals mehr aus der Hand geben.

Es würde nicht bei dem einen bleiben, weder Brief noch Mann, aber das konnte ich damals nicht wissen. Die Lieben gehen, die Briefe bleiben. Im Kino machen sie es sich mit der Entsorgung einfach: Die schöne Geliebte schnürt die Schmachtfetzen mit einem samtenen Band zu einem handlichen Päckchen, bettet sie sanft in eine edle Schatulle und verstaut sie sachte in der hintersten Schrankecke. Nur an den entsprechenden Jahrestagen kommen die Liebesbriefe noch mal ans Kerzenlicht, um in aller Heimlichkeit Wort für Wort ihren abgestandenen Zauber zu entfalten. (Christine Westermann)