30.8.19

Lesen im Herbst

So langsam steht der Herbst vor der Tür. Die Gelegenheit, mal aus dem Stapel meiner Biografien hervorzukriechen und schöne Romane zu lesen. Das hat mir in der letzten Zeit doch auch richtig gefehlt.

Ich plane zwar ungern, aber ich möchte doch mal einige Bücher zeigen, auf die ich momentan Lust hätte. Ob es bis dahin so bleibt, bleibt abzuwarten.


Fallada möchte ich ja schon lange mal wieder lesen.

Von Tracy Chevalier kenne ich schon Zwei bemerkenswerte Frauen, Das dunkelste Blau und Die Lieder des Mr. Blake.

Mein erstes Buch von Tim Winton war Schwindel und hat mir richtig gut gefallen.

Kristin Steinsdóttir, eine tolle Schriftstellerin. Und Hoffnungsland ein wunderbares Buch.

Mir fällt momentan nicht ein, ob oder welches Buch ich von Hugo Hamilton gelesen habe.

Thomas Hardys Jude the Obscure (Herzen im Aufruhr), das es im Deutschen unter vier verschiedenen Titeln gibt, hat mir die Tränen in die Augen getrieben.

Und zwei mir unbekannte Autorinnen.

Diese sollen es nun sein:

Hans Fallada: Altes Herz geht auf die Reise
Professor Kittguß ist am Ziel seiner Träume: Nach 25 langen Jahren als Lehrer kann er sich endlich dem Bibel-Studium widmen. Doch plötzlich steht ein Junge in seinem Zimmer mit einer verstörenden Botschaft: Rosemarie, das längst vergessene Patenkind, braucht Hilfe. Der Professor macht sich auf eine beschwerliche Reise, die ihn in ungeahnte Verwicklungen führt.

Tracy Chevalier: Die englische Freundin
Die junge Engländerin Honor verlässt Mitte des 19. Jahrhunderts wegen einer unglücklichen Liebe ihre Heimat. Im fernen Amerika will sie einen Neuanfang wagen. Doch das Leben dort ist hart. Zu Honors einziger Vertrauten wird die temperamentvolle Hutmacherin Belle. Als sich deren Bruder, der skrupellose Sklavenjäger Donovan, für Honor interessiert, gerät sie in eine schwierige Lage.

Tim Winton: Der singende Baum
Einer der erfolgreichsten Autoren Australiens erzählt von der Liebe zwischen zwei Menschen, die im Leben gestrandet und ohne Hoffnung sind und sich aneinander aufrichten. Und er erzählt von seinem grandiosen Land - der windgepeitschten Westküste, der kargen, roten Wüste, dem spektakulären Bergland und der unbarmherzigen Wildnis der Tropen im hohen Norden. Eine Reise durch innere wie äußere Landschaften, grausam und schön.

Kristin Steinsdóttir: Im Schatten des Vogels
In ihrem Roman erzählt die isländische Autorin eine auch autobiographisch geprägte und bewegende, poetisch geschriebene Geschichte vom Leid und Glück einer besonderen Frau.

Hugo Hamilton: Der irische Freund
Beeindruckend und fesselnd erzählt Hugo Hamilton von dem Serben Vid, der sich in Dublin ein neues Leben aufbauen will, und von seiner wechselhaften Freundschaft zu dem temperamentvollen Iren Kevin.

Thomas Hardy: Am grünen Rand der Welt
Bathsheba ist jung und schön, stolz und unabhängig. Drei Männer begehren sie. Wird sie die richtige Entscheidung treffen?

Jo Baker: Im Hause Longbourn
"Wenn Elizabeth Bennet ihre Pettycoats selbst waschen müsste", dachte Sarah, "würde sie bestimmt sorgfältiger mit ihnen umgehen." Es ist Waschtag auf Longbourn, und das Hausmädchen Sarah müht sich über Wäschebottichen und träumt dabei von einem anderen, aufregenderen Leben. Als der junge James auf dem Hof auftaucht, scheint er wie die Antwort auf ihre Stoßgebete - doch James hütet ein Geheimnis von großer Sprengkraft, das das Leben auf Longbourn für immer verändern könnte.

Sarah Perry: Die Schlange von Essex
London im Jahr 1893. Nach dem Tod ihres Mannes verlässt Cora Seaborne die Hauptstadt und reist gemeinsam mit ihrem Sohn Francis in den Küstenort Aldwinter. Als Naturwissenschaftlerin und Anhängerin der provokanten Thesen Charles Darwins gerät sie dort mit dem Pfarrer William Ransome aneinander. Beide sind in rein gar nichts einer Meinung, beide fühlen sich unaufhaltsam zum anderen hingezogen.

28.8.19

Petra Oelker: Das klare Sommerlicht des Nordens

"Das klare Sommerlicht des Nordens" von Petra Oelker verschlägt mich in das Hamburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ich begegne zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein können.

Sidonie Wartberger ist verheiratet und führt aus materieller Sicht ein sorgenfreies Leben. Aber sie ist nicht mehr die glückliche junge Frau, die sie war, als sie ihren Mann geheiratet hat.

Und dann ist da Dora Lenau, die in einer Näherei arbeitet und auf dem Weg zur Arbeit jeden Tag durch das Hamburg kommt, das im Umbruch ist; und das nicht nur technisch und kulturell. Sie lebt mit ihrer Tante Anna Römer und ihrem Cousin Theo in einer Wohnung. Die ärmlichen Behausungen werden abgerissen und neue Wohnungen gebaut. Die Bewohner der Armenhäuser werden einfach auf die Straße gesetzt. Frauen mit Kindern, alte und kranke Leute, spielt alles keine Rolle.

Dora will nicht ewig in der Näherei arbeiten. Sie hat ihre eigenen Träume. Sie möchte Avantgarde-Mode machen. Ihrem Chef hat sie auch schon einige Vorschläge unterbreitet, doch der bekommt sie in dieser Gegend nicht verkauft. Also träumt Dora erst mal weiter.

Es ist anfangs nicht ganz leicht, einen Leserhythmus zu finden. Denn die Geschichte, oder besser die Geschichten, springen von einer zur anderen.

Sidonie erlitt in der sechsjährigen Ehe zwei Fehlgeburten und verfällt in Melancholie, wie Schwiegermutter Esther Wartberger meint. Kein Verständnis dafür, dass sich Sidonie in ihre Traurigkeit einhüllt. Auch Viktor, ihr Ehemann, weiß nicht, wie er sich verhalten soll. Einerseits versteht er sie, andererseits: Es muss doch mal wieder gut sein.

Ich verstehe die negativen Rezis, die ich gelesen habe, nicht. Wahrscheinlich passiert anderen Leser*innen nicht genug. Aber es ist doch so: Meistens fließt das Leben einfach so dahin. Interessant ist aber doch, wie die Menschen damals gelebt haben, die Armen, die Mittelschicht und die Reichen, wie Politik gemacht, Städtebau betrieben wurde. Wie das mit den Standesunterschieden war, und was geschieht, wenn jemand aus dem eingefahrenen Regelwerk ausbricht.

Auch das Thema Antisemitismus spielt hier eine nicht kleine Rolle. Besonders zu spüren in Doras kleiner Familie. Dora wurde von ihrem Arbeitgeber in einen jüdischen Haushalt ausgeliehen. Durch Zufall lernt sie Sidonie Wartberger, die Frau des Hauses, kennen. Doras Cousin (bzw. Nicht-Cousin; wie das zusammenhängt, lest selbst) Theo, der sich auf die falsche Seite schlägt, übt Druck auf sie aus und erpresst Dora, die Leute auszuspionieren.

Ob sie das mit sich machen lässt und ob die Frauen ihren Weg finden, lest ihr am besten selbst.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen, der Schreibstil ist einfach toll. Allerdings bin ich vom Ende des Buches ein wenig enttäuscht. Es geht nicht darum, ob es ein Happy end gibt oder nicht, aber die Geschichte endet irgendwie abrupt. Und dann tauchen plötzlich auf ein paar Seiten in einem Epilog alle Protagonisten auf und es wird kurz geschildert, was aus ihnen geworden ist. 

Hansjörg Schertenleib: Das Regenorchester

Die Geschichte wird von einem Schriftsteller erzählt, der hier als Ich-Erzähler auftritt. Seine Frau hat ihn verlassen, womit er doch zu kämpfen hat. Eines Tages lernt er die ältere Niamh kennen, eine Irin, die ihm ihre Lebensgeschichte erzählt. Wir befinden uns also in zwei Zeitzonen. Einmal im Heute beim Schriftsteller und zurück in Niamhs Jugendzeit. Sie hatte eine relativ gute Kindheit. Die Eltern sorgten immer dafür, dass Essen im Haus war. Es gab also auch Familienväter, die ihr Geld nicht versoffen haben.

Nach dem Tod eines Bruders kam ihre Mutter nicht mehr mit ihrem Leben zurecht und starb dann auch bald. Niamh ging wegen der Arbeit nach London und verbrachte dort ihre jungen Jahre. Sie lebte anfangs mit ihrer Schwester zusammen, die schon vorher von zuhause auszog. Doch eines Tages verliebte diese sich in einen Schotten und so trennten sich die Wege der Schwestern.

Ich fand es spannend, die Geschichte mal aus der Perspektive einer Frau zu erleben. Bisher weiß ich nur von Männern oder ganzen Familien, die Irland verlassen haben, um ihr Glück woanders zu versuchen.

Hansjörg Schertenleib hat einen angenehmen Schreibstil. Und zwischendurch laufen mir richtige Perlen über den Weg, wie zum Beispiel:

"Auf dem Heimweg hatte mir mein Vater erzählt, wie die Welt zu ihren Seen gekommen war: Vor langer Zeit, als es noch nichts gab, nicht einmal Seen, fasste sich ein Junge in meinem Alter ein Herz und schleuderte mit aller Kraft einen Stein in den Himmel, um ihn in tausendundzwei Scherben zu zersplittern. Diese Scherben fielen auf die Erde nieder und blieben zwischen Tälern, Bergen und Hügeln liegen. Seither spiegelten sie das, was sie früher einmal selbst gewesen waren: Himmel..."

Klingt das nicht gut?


26.8.19

Catharina Abraham-Rieve

Catharina Abraham-Rieve wurde am 17. Mai 1844 in Eiderstedt (Schleswig) als Tochter des Hofbesitzers Peter Heinrich Rieve geboren. Ihre Mutter starb bald nach der Geburt, den Vater verlor sie im 13. Lebensjahr. Sie kam nach Husum, wo sie später heiratete. Mit der Familie lebt sie dann in Lübeck, Lindenplatz 15.
In freien Stunden, welche ihr die Hausfrauen- und Mutterpflichten gewähren, ist sie schriftstellerisch tätig. Unter dem Pseudonym M. Reinhold veröffentlicht sie ihre Arbeiten, welche zumeist der sozialen Frage gewidmet sind, in verschiedenen Zeitschriften.

‒ Frauenliebe u. Blumenleben. Ein Novellenstrauss. 8. (128) Dresden 1898, E. Pierson. 2.–

24.8.19

Sophie Pataky und ihr Lexikon

Sophie Caroline Pataky wurde am 5. April 1860 in Podiebrad, Kaisertum Österreich, geboren. Mit ihrem zweibändigen „Lexikon deutscher Frauen der Feder“ erschien 1898 das erste von einer Frau herausgegebene deutschsprachige Schriftstellerinnenlexikon.
Sie war mit Carl Pataky verheiratet, der 1875 in Wien einen Fachverlag für Metalltechnik gründete. Ab Ende der 1870er Jahre lebte das Paar gut zehn Jahre in Berlin.

Im Sommer 1896 nahm Sophie Pataky im Berliner Rathaus an einem Internationalen Frauen-Kongress teil. Die im Allgemeinen als „Frauenfragen“ behandelten Fragen interessierten sie sehr. Um sich mit derlei zu beschäftigen, hatte sie bisher zu viel zu tun: Haus- und Familienpflichten und die Mitarbeit in dem Fachverlag ihres Mannes. Die geistige Tätigkeit für die Frau war ihr zwar nicht ganz unbekannt, doch wurde es bisher von ihr nicht allzu sehr gewürdigt. Doch auf diesem Kongress wurde ihr bewusst,

„wieviel Intelligenz, Wissen, Energie und zielbewusstes Streben, Eigenschaften, die man nur bei Männern zu finden gewohnt ist, auch bei Frauen vorhanden sind“.

Nun schaute sie genauer hin und sie sah, dass innerhalb der letzten 30 Jahre viel von und über Frauen geschrieben wurde. Nur ein Nachschlagewerk gab es darüber nicht. Es gab zwar verschiedene die gesamten Schriftsteller umfassende Lexika, in denen sich auch weibliche Autoren finden, doch waren die meisten nicht unter ihrem eigenen Namen gelistet. Und es waren nur die enthalten, die Bücher veröffentlicht haben. All die Frauen der Feder, die bei Zeitschriften aller Art, als Übersetzerinnen, Redaktricen usw. tätig waren, waren nicht berücksichtigt.
Unterstützung vonseiten eines Verlages gab es kaum, obwohl es seit 70 Jahren kein aktuelles biografisches Lexikon der Frauenliteratur mehr gab. Doch die guten Erfahrungen, die sie mit den Frauen der Feder hatte, wog diesen Ärger auf. Sie hat von den Frauen so viel Anregungen bekommen und interessante Autobiografien, die sie leider aus Platzgründen nicht ungekürzt in ihre Arbeit einbeziehen konnte. Viele Frauen fühlten sich nicht berufen zu schreiben, hatten keinen inneren Drang, schriftstellerisch tätig zu werden. Sie taten es aus purer

„Not, die Sorge um die darbende Familie, den siechen Gatten, die vaterlosen Kinder oder die der Unterstützung bedürftigen Geschwister, welche der Tochter, der Gattin, der Mutter oder Schwester die Feder in die Hand drückten, um das in ihr schlummernde Talent auszumünzen“.

Gut zwei Jahre arbeitete Sophie Pataky an diesem zweibändigen Lexikon. Es wurde im Verlag ihres Mannes 1898 rausgebracht, doch da es thematisch nicht passte, wurde es schon 1899 vom Verlag Schuster & Löffler übernommen.

Eigentlich hatte sie als Titel „Lexikon deutscher Schriftstellerinnen“ im Sinn, doch da protestierten viele Frauen, weil sie sich nicht als Schriftstellerin sahen. 6000 Namen sind in beiden Bänden aufgelistet, teilweise nur mit Namen und Adresse. Dadurch, dass sie Kochbuchautorinnen, Journalistinnen, Herausgeberinnen u. a. aufnahm, ergab sich das umfassendste Bild der schreibenden Frauen.



„Überraschende Enthüllungen wird dieses Werk vielen Buchrecensenten bringen, die das Werk eines männlichen Autors zu recensieren glaubten, während es von einer Frau geschrieben wurde.“

Als Vorstandsmitglied im Deutschen Schriftstellerinnenbund (1898) begann sie mit dem Aufbau einer Bibliothek mit Werken deutschsprachiger Autorinnen. Von Frauen, die sie in ihr Lexikon aufgenommen hatte, ließ sie sich deren eigene Werke zusenden und nahm sie in die „Bibliothek deutscher Frauenwerke“ auf. 1000 Bücher sollten es im selben Jahr schon werden. Die Autorin Anna von Krane unterstellte ihr, dass sie sich mit den Büchern bereichern wollte.

Das Ehepaar lebte ab 1907 in Meran. Carl Pataky nahm K. J. Müller als stillen Teilhaber in den Verlag auf, der diesen dann nach dem Tode Patakys im August 1914 übernahm.

Sophie Pataky starb am 24. Januar 1915 in ihrem Hause am Untermais an einem Gehirnschlag und wurde zwei Tage später auf dem katholischen Friedhof begraben.

20.8.19

Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein

"Jeder stirbt für sich allein" war mein erstes Buch von Hans Fallada

Generell lese ich über den Zweiten Weltkrieg nicht gerne Romane. Lieber Dokumentationen.
Und ich bin wieder entsetzt, zu was Menschen bereit und fähig sind, sobald sie die Macht dazu erhalten. Wie kaltherzig und menschenverachtend sie sich benehmen.
Und mit was für einer Angst die Menschen leben, die mit dem System nicht einverstanden sind. Wie auf viele von den Mitmenschen Druck ausgeübt wird, der "Partei" beizutreten. Was mit ihnen geschieht, wenn sie austreten wollen.

In den Dokumentationen, die ich bisher geschaut habe, kommen einem die Menschen nicht so nahe. Da geht es meist mehr um das große Ganze. Hier bei Fallada ist man ganz nah dran an den Menschen, an ihren Sorgen und Ängsten, an ihren üblen Taten.

Erstmals erschien das Buch 1947 im Aufbau-Verlag. Im Dezember 1946 wurde Fallada in die Nervenklinik der Berliner Charité eingewiesen. Innerhalb eines Monats schrieb er dort in schlechtem körperlichem Zustand diesen Roman. Fallada schrieb das Buch anhand der authentischen Geschichte des Ehepaars Otto und Elise Hampel. Sie hatten von 1940-42 in Berlin Postkarten gegen Hitler verteilt und wurden verraten. Allerdings wurde diese Ausgabe aus politischen Gründen stark gekürzt. Ich kann mir vorstellen, welche Kürzungen da stattfanden. Sicher viele derbe und rohe Sätze und auch das Verhalten der Jungkommunisten, mit denen Trudel Baumann eine Widerstandszelle gründen wollte.

Fallada hat sehr gut die Angst beschrieben, die die Menschen, die sich gegen das System auflehnten, gefangen hielt. So beklemmend habe ich das noch nie gelesen. Und die Darstellung der Machthaber, ich hatte das Gefühl, beim Lesen immer kleiner zu werden.

Das Buch ist aufgeteilt in drei Bücher. Gerade im ersten Buch, als es hauptsächlich um die kleinen Ganoven Enno Kluge und Emil Barkhausen ging, habe ich das Buch kurz für einen Krimi abgebrochen und auch danach musste ich öfter Pausen einlegen. So einige Seiten habe ich nur quer gelesen, um dann doch wieder zurückzublättern und genau nachzulesen. Mit welcher Selbstverständlichkeit diese beiden Typen auf Kosten anderer gelebt, sich bereichert haben. Obwohl der Barkhausen ja dann glücklicherweise zum Ende hin mehr Pech hatte und Enno Kluge ein unrühmliches Ende gefunden hat.

Ich bin froh, dass das Buch, obwohl man es nicht erwarten kann, dann doch mit einem optimistischen Hauch endet.

18.8.19

Rüdiger Barth: Wilde Dichter

Ich kenne "Moby Dick" bisher nur als Film mit Gregory Peck. Aber selbst, wenn ich das Buch gelesen hätte, würde ich über den Schriftsteller wahrscheinlich nichts wissen. Ich wüsste vielleicht ein paar Eckdaten von ihm, aber nicht, was er für ein Mensch ist.

In diesem Buch erfahren wir, warum Männer wie Herman Melville, Ernest Hemingway, Jack London, Stephen Crane, Joseph Conrad und B. Traven so schreiben konnten, wie sie es getan haben.

Hatten sie eine blühende Fantasie? Oder konnten sie nur solch tolle Geschichten schreiben, weil sie sie erlebt haben? Waren sie "verrückt" oder besonders intelligent? War ihnen das Talent, zu schreiben, schon in die Wiege gelegt oder haben sie es sich erarbeiten müssen?

Interessante Fragen, auf die wir hier Antworten erhalten.
Und mit Melville geht es schon mal unsagbar spannend los.

Melville hat für seinen "Moby Dick" voll aus dem Leben schöpfen können. Er ist 25 Jahre alt, als er nach vier Jahren Seefahrt auf der "United States" am 3. Oktober 1844 im Hafen von Boston einläuft. Seine Seefahrt war aber nicht das, was man heutzutage darunter versteht.
Von seinem ersten Walfangzug desertierte er auf eine Insel. Die Einheimischen dort sollen Kannibalen gewesen sein. Doch er hatte Glück. Der Käptn eines Seelenverkäufers erfuhr, dass auf dieser Insel ein Seemann sein soll und ließ ihn "retten". Doch er kam vom Regen in die Traufe. Auf diesem Walfänger ging es noch schlimmer zu, als auf dem ersten.
Er sah noch einige andere Inseln und kritisierte in späteren Büchern die christliche Herrschsucht auf diesen Inseln.
Von Honolulu aus kann er endlich auf der "United States" Richtung Heimat anheuern. An Bord entdeckt er eine Schiffsbibliothek. Während seiner Freiwachen kann er sich dorthin zurückziehen und lesen. Einige seiner Schiffskameraden scheinen sich gut mit Büchern auszukennen und er findet Gesprächspartner inmitten des rauen Bordlebens.

Schon zwei Monate später beginnt Melville zu schreiben. Und schon im Frühjahr 1846 erscheint das erste Buch unter seinem Namen.
Mit dem Verdienst von "Typee" braucht er nicht mehr den erstbesten Job anzunehmen. Er kann versuchen, sich als Schreiber einen Namen zu machen.
Und nun kann er auch heiraten. Er nimmt Elizabeth Shaw zur Frau, die Tochter eines langjährigen Freundes und Gönners der Familie.
Er schreibt sein zweites, erfolgreiches Buch. Bezieht mit Frau und Familie ein größeres Haus. Hier kann er andere Schriftsteller empfangen.

Sein Weg scheint geebnet...


Es ist nicht gesichert, ob Jack Londons Eltern seine leiblichen Eltern waren. Er selbst forschte ein wenig nach, aber nicht allzu intensiv; es würde einen Skandal geben, würde sich herausstellen, er sei ein Bastard. Seine Karriere wäre hinüber.
Von seiner Mutter erhielt er nie ein Zipfelchen Liebe. Sein Herz hing an John London, Vater oder nicht.
Mit zehn Jahren musste Jack schon zum Lebensunterhalt beitragen und mit 14 die Schule verlassen und wie ein Mann arbeiten.
Aber beinahe alles, was man über seine Jugend weiß, weiß man von ihm. Und ob das alles so stimmt?

Über Jack Londons Leben zu lesen, macht mich ganz atemlos. Satz für Satz verschlinge ich. Den einen noch nicht zu Ende, erwarte ich voll Ungeduld den nächsten. Wahnsinn...

Jack London ist nur 40 Jahre alt geworden. Drei Jahre vor seinem Tod sagte ein Doktor zu ihm: "Mit Ihnen könnte ich eine ganze Vorlesung bestreiten." Die Nieren waren kurz vor dem Versagen und andere innere Organe waren schwer geschädigt.

"Und doch sei er kein Alkoholiker, behauptete er, sondern ein Gewohnheitstrinker."

Es gab Zeiten, da trank er Bourbon am Mittag, Scotch und Soda am späten Nachmittag. Er bestritt, dass Alkohol abhängig macht.
Er trinkt nicht nur zu viel Alkohol, er nimmt auch zu viele Schmerzkiller. Im Oktober, zur Saison, gibt es Bratente, zwei Vögel am Tag, noch blutig und dazu eiskalten Liebfraumilch, einen süffigen Wormser Weißwein.

Über den Hang zum Hochprozentigen schrieb London im autobiografischen "John Barleycorn". Der Titel spricht ja wohl für sich.
Und die Biografen grübeln bis heute: Konnte der 37-jährige London so nüchtern über seinen Alkoholkonsum schreiben, weil er ihn überwunden hatte oder verbirgt sich dahinter der geübte Selbstbetrug des Alkoholikers?

Milo Shepard, Großneffe von Jack London, meint zu seinem Alkoholverbrauch: "Ein Alkoholiker? Da lache ich. Ein Alkoholiker kann nicht dieses Arbeitspensum leisten."

Er war ein diszipliniertes Arbeitstier. Mit seinen 40 Jahren hat er 26 Romane geschrieben, ein paar Kurzgeschichten und Tatsachenberichte, wollte immer da hin, wo es gefährlich war und war nur aufs Geldverdienen aus, um seinen Lebensstil aufrechtzuerhalten.

Obwohl ich diese Bücher ja liebe, denke ich mir manchmal: Was sollen die vielen Bücher über diverse Schriftsteller.
Aber gerade dieses Themenbezogene ist sehr interessant. So etwas erfährt man in vielen einfachen Kurzbiografien einfach nicht.

16.8.19

Blick ins Regal #4

Ich lege einfach gleich los:

Asta Scheib: Beschütz mein Herz vor Liebe
"München, das war Heimat gewesen." Hier wächst Therese behütet auf. Der Vater betreibt ein Warenhaus und eine Kleiderfabrik, im Haus der Familie verkehren Thomas Mann und Professor Sauerbruch. Dann kommen die Nationalsozialisten an die Macht, und nichts mehr ist wie zuvor: Hass und Verachtung schlagen der einst so hoch angesehenen jüdischen Familie entgegen. Man will sie systematisch zerstören. Auch Thereses Ehe zerbricht, und ihr selbst gelingt es nur mithilfe ihres ehemaligen Kindermädchens und dessen Bruders, der Parteimitglied und Polizeihauptwachtmeister ist, zu überleben.






Andrea Barnet: Frauen in New York
New York zwischen 1913 und 1930: Brennpunkt künstlerischer und intellektueller Energien. Eine Aufbruchstimmung liegt in der Luft. Und zum ersten Mal haben Frauen einen entscheidenden Anteil daran. Im Gefühl, das Leben könne jeden Moment neu beginnen, schreiben sie Gedichte und Romane, sie singen den Blues, entdecken den Jazz, gründen Zeitschriften und Verlage, laden ein in ihre Salons.
So mutig, provokativ, respektlos und kreativ diese Frauen waren, erschufen und prägten sie die revolutionäre Atmosphäre im New York der Zwanziger Jahre und entfachten so in den nachfolgenden Generationen die Vorstellungskraft, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Ein faszinierendes Stück weiblicher Kulturgeschichte mit wunderschönen Fotos.


Hermione Lee: Elizabeth Bowen - Porträt einer Schriftstellerin
... Hermione Lee beschreibt das Leben Elizabeth Bowens und führt durch ihre Romane und Erzählungen: entstanden ist das umfassende Portrait einer großen Autorin des 20. Jahrhunderts, die es für Deutschland zu entdecken gilt...










Heinrich Böll: Briefe aus dem Krieg  1939-1945 - Band 1+2
Heinrich Bölls Briefe aus dem Zweiten Weltkrieg sind, als Aufzeichnungen des Soldaten und werdenden Schriftstellers Böll, ähnlich wie Victor Klemperers Tagebücher einzigartige Zeugnisse des Alltags aus Zeiten des Krieges und der Not. Heinrich Böll, 1917 geboren, hat als Gefreiter der deutschen Wehrmacht von 1939 an dem ganzen Zweiten Weltkrieg bis zur Kapitulation der Deutschen 1945 mitgemacht, in verschiedenen Kasernen und Einrichtungen in Deutschland und an Kriegsschauplätzen in Frankreich, Polen, Rumänien, Ungarn und Rußland. Er wurde mehrfach verwundet. Während dieser Jahre hat Böll fast täglich Briefe geschrieben, die überwiegend an Annemarie Cech, die in dieser Zeit seine Frau wurde, gerichtet sind, aber auch an die Familie und Freunde.
Die Briefe beschreiben den Soldatenalltag und den Krieg, sie widmen sich dem Leben im besetzten Frankreich, zeugen von den Nöten des leidenschaftlichen Katholiken Böll und seinem Hass auf die Uniform, zeigen aber auch die Zeitgebundenheit Bölls, aus der er sich herausgearbeitet hat zu dem Schriftsteller und Menschen, wie wir ihn kennen. An der Ostfront werden sie zu drastischen Zeugnissen vom Verbrechen des Krieges.
Bölls Briefe, ein Dokument, wie es von keinem anderen deutschen Schriftsteller vorliegt, sind überdies auch ein Zeugnis von seiner frühen Beschäftigung mit dem Schreiben selbst, mit Lektüreeindrücken und ästhetischen Fragen, und sie sind selbst gleichsam Übungsstücke für das kommende literarische Werk.
Von Annemarie Böll sorgfältig ausgewählt, von Jochen Schubert herausgegeben und kommentiert und von James H. Reid mit einem Nachwort versehen, sind die Kriegsbriefe Bölls ein wichtiges Dokument der Erfahrung und Deutung des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Mentalität, ein Dokument auch der Entwicklung Heinrich Bölls.


Cechow Briefe: 1877 bis 1901
Die umfangreichste nichtrussische Briefausgabe des großen Novellisten und Dramatikers. Jeder Band mit umfangreichen Anmerkungen zu den Brieftexten vom Hrsg.











D.H. Lawrence: Briefe
Vor allem im anfänglichen Stadium seiner Lebensbahn und dann wieder gegen das Ende war D.H. Lawrence ein sehr aktiver Briefschreiber. Dieser Band versammelt Briefe an Freunde und Verwandte - ob an die Schwiegermutter, Katherine Mansfield oder Aldous Huxley.









12.8.19

Kristín Marja Baldursdóttir

 
Bild von Hans Braxmeier auf Pixabay


Am 21. Januar 1949 wurde Kristín Marja Baldursdóttir in Hafnarfjörður geboren. Sie ist verheiratet und hat drei Töchter. Sie lebt mit ihrer Familie in Reykjavík, wo sie auch arbeitet.
Kristín Marja Baldursdóttir machte 1970 ihren Abschluss als Lehrerin an der Pädagogischen Hochschule von Island und 1991 ihren Bachelor of Arts (in deutscher Sprache und Isländisch). Es folgten weitere Ausbildungen in Deutschland und Dänemark. In Reykjavík arbeitete sie von 1975 bis 1988 als Grundschullehrerin. Dann folgte ein Berufswechsel. Sie arbeitete bis 1995 als Journalistin für die Zeitung "Morgunblaðið".

Der erste Roman von Krístin Marja Möwengelächter ("Mávahlátur") erschien 1995. Er war ein großer Erfolg und wurde verfilmt. Für Die Eismalerin, ihr erster historischer Roman, wurde sie für den Nordic Council Literary Prize 2005 nominiert.
Weitere Romane und eine Reihe von Kurzgeschichten folgten.

11.8.19

Charlotte Link: Sechs Jahre - Der Abschied von meiner Schwester

Von Charlotte Link habe ich "Das Haus der Schwestern" und "Die Rosenzüchterin" gelesen. Das ist schon sehr lange her. Und da ich damals noch kein Lesetagebuch führte, wollte ich die Bücher irgendwann noch einmal lesen. Bis heute bin ich nicht dazu gekommen, obwohl ich "Das Haus der Schwestern" zwischenzeitlich auch schon gehört habe.

Nun bin ich über ein sehr privates Buch der Autorin gestolpert: "Sechs Jahre - Der Abschied von meiner Schwester".
Schon im Vorwort lese ich, was mich in diesem Buch erwartet und dass es keine leichte Kost ist. Sechs Jahre lang kämpfen Charlotte Link und ihre Familie an der Seite ihrer Schwester Franziska gegen den Krebs, um am Ende doch zu verlieren. Franziska stirbt am 7. Februar 2012 mit sechsundvierzig Jahren nach sechsjährigem Kampf an dieser Krankheit. Sie nahm Charlotte vorher das Versprechen ab, darüber zu schreiben.

Zwischen den Schwestern bestand seit ihrer Kindheit eine unheimlich enge Verbindung. Charlotte verlor mit dem Tod ihrer Schwester den wichtigsten Menschen ihres Lebens. Dieses Buch zu schreiben, war wohl auch ein Stück Trauerbewältigung.

Doch nicht nur das. Sie war der Meinung, dass das, was sie in diesen sechs Jahren in Krankenhäusern erlebt haben, öffentlich gemacht werden sollte. Auf die Missstände sollte so lange hingewiesen werden, bis sich etwas Entscheidendes ändert.

Als man im Februar 2006 bei Franziska Metastasen findet und auf die Suche nach dem Tumor gehen will, ist sie noch ganz ruhig. Sie war von den beiden Schwestern immer die sachlich und rational Agierende. Noch dazu war ihr die Situation vertraut. Achtzehn Jahre zuvor hat sie das schon einmal erlebt.
An einem Vormittag hatte sie einen Termin bei einer Onkologin, zu dem sie noch ganz zuversichtlich ging. Innerhalb einer halben Stunde hat diese Onkologin dafür gesorgt, dass ein Psychologe Franziska wenig später eine tiefe Traumatisierung bescheinigt.
Diese Onkologin sagte Franziska auf den Kopf zu, dass es für sie absolut keine Hoffnung gibt. Mit einer Chemo-/Strahlentherapie und der Entfernung des Tumors wird sie höchstens noch bis zum Ende des Jahres zu leben haben. Sie solle doch über den Verlauf ihres Sterbens ein Fotoalbum anlegen, damit ihre Kinder etwas hätten, das sie sich dann immer wieder anschauen können.

Fehldiagnosen wird Franziska noch so einige bekommen. Zumeist negative, die sich dann doch nicht einstellen. Aber diese Erfahrungen macht es unmöglich an positive Diagnosen zu glauben.
Noch eine Erfahrung, die die Familie in diversen Krankenhäusern gemacht hat: Sobald der Patient mit zwei Dingen zu kämpfen hat, die es nötig machen würden, stationsübergreifend zu arbeiten, ist er aufgeschmissen. Dazu scheinen die meisten Krankenhäuser nicht in der Lage zu sein. In einer Lungenklinik zum Beispiel wird überhaupt nicht darauf reagiert, dass Franziska nichts essen kann. Man stellt ihr das Tablett hin und holt es abends wieder ab. Ohne darauf zu reagieren, dass sie gar nichts zu sich nimmt. Wenn die Familie nicht Essen mitgebracht hätte, wäre sie dort einfach verhungert.

Das Verhalten vieler Ärzte machte Charlotte Link sprachlos und mich als Leserin wütend. Sie fragte sich, warum ein Arzt einen helfenden Beruf ergreift,

"wenn er gleichzeitig so menschenverachtend, rücksichtslos und fast feindselig mit Menschen umgeht, die sich in einer wehrlosen Situation befinden".

Und wie kann es sein, dass solche Ärzte für ihr Tun nicht bestraft werden. Dass sie sich für Fehldiagnosen in rauen Mengen nicht entschuldigen und schon gar nicht verantworten müssen.

Es hat sicherlich rechtliche Gründe, aber ich finde es äußerst schade, dass diese "Ärzte" hier nicht mit Namen genannt wurden.

Glücklicherweise haben sie aber auch andere Ärzte und Klinikpersonal kennengelernt. Sie haben erlebt, dass man sich auch in einem Krankenhaus geborgen fühlen kann, wenn Ärzte und Schwestern mit den todkranken Patienten respektvoll und freundlich umgehen.

Das Buch ist nicht leicht zu lesen. Wie schon am Titel zu erkennen, gibt es kein Happy end. Trotzdem macht es ein bisschen Mut, die Hoffnung nicht zu schnell aufzugeben.
Zwei Jahre wurden Franziska anfangs noch gegeben. Sechs Jahre hat sie noch geschafft. Sechs Jahre, die sicher nicht leicht waren, die sich die Familie aber noch gehabt hat.

9.8.19

Blick ins Regal #3

Meine Güte, wie schnell die Zeit vergeht. Ich lege auch gleich los:



Klaartje de Zwarte-Walvisch: Mein geheimes Tagebuch – März-Juli 1943
Am 22. März 1943 dringen „Judenjäger“ in das Amsterdamer Haus von Klaartje de Zwarte-Walvisch ein. Während sie auf ihren Mann warten, vertreibt sich der eine mit Klavierspiel die Zeit. Die Hölle beginnt langsam. Die Registrierung erweist sich als Internierung, und der neue Wohnort ist in Wirklichkeit ein Konzentrationslager.

Das erst vor wenigen Jahren entdeckte Tagebuch der jungen Jüdin Klaartje de Zwarte-Walvisch ist eine kleine Sensation. Kein zweites Dokument schildert so furchtlos und unbefangen, so wütend und fassungslos und mit so viel Witz und Ironie, welches Schicksal die niederländischen Juden zu erleiden hatten.

„Ich hoffe inständig, dass alles, was ich hier aufgeschrieben habe, einmal die Außenwelt erreicht.“



Victor Klemperer: Das Tagebuch 1945-1949 – Eine Auswahl

Die Jahre 1945 bis 1949 spiegeln sich in Victor Klemperers Tagebuchnotizen als eine höchst dramatische Zeit wider. In seinem persönlichen wie im politischen Leben werden jetzt die Weichen gestellt. Klemperer stürzt sich in die Arbeit, er kann wieder lehren, aber muß sich auch entscheiden, wo künftig sein Platz ist. Mit Besorgnis registriert er Fehlentwicklungen in der deutschen Politik, gleichzeitig kämpft er verzweifelt um die schwierige Bewältigung des Alltags. Als akribischer Chronist hält er die Entfremdung der politischen Lager fest: bis zur Gründung von zwei deutschen Staaten.





Eduardo Galeano. Frauen
Eduardo Galeano erzählt unerhörte Geschichten, die von bemerkenswerten Frauen aus verschiedenen Zeiten und allen Teilen der Welt berichten.
Von Frauen, die von großen Ideen angetrieben wurden, mit frappierender Schönheit, Mut oder Kampfgeist ausgestattet waren. Die herabgewürdigt wurden, zugrunde gingen oder sich stolz behaupteten.
Eine Sammlung von Miniaturen aus dem Werk des großen linken Intellektuellen Lateinamerikas.







Bettina Wegner: Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen
Bettina Wegner, die beste Liedermacherin der DDR – ohne Publikum in ihrem Land -, veröffentlicht zum erstenmal ihre Texte. Vom Lebensanspruch des einzelnen, von den Zerbrechlichen und von den Zerbrochenen handeln ihre Lieder. Aber auch von der Ungebrochenheit, vom sinnvollen Widerspruch, von trotziger Beharrlichkeit: von Kindern, von Erwachsenen, voller Sehnsucht nach Geborgenheit; und von ihr selbst – von ihrer Trauer in dem Land, in dem sie leben will.






Walter Plathe: Ich habe nichts ausgelassen
Auf der Bühne gab er den verführerischen Liliom, den schelmischen Schwejk, den tragischen Professor Unrat. In Filmen spielte er komische und ernste Rollen, im Fernsehen war er 17 Jahre lang der bodenständig sympathische „Landarzt“. In Solo-Programmen tritt er als Zille oder charismatischer Otto-Reutter-Interpret auf. So schillernd und vielseitig die Rollen, so geradlinig der Charakter dahinter: Walter Plathe – eine echte Berliner Pflanze, ein Typ mit Herz und Schnauze, ein Volksschauspieler, der festhält an seinem Credo:
„Die Mutter vons Janze ist das Theater!“

Mit viel Humor erzählt er seine Lebensgeschichte.




8.8.19

Swetlana Alexijewitsch: Die letzten Zeugen

Zig Jahre haben sie geschwiegen. Aber irgendwann muss es hinaus. Beim Einmarsch der Deutschen in Weißrussland waren sie noch Kinder. Nun sprechen sie das erste Mal: "Die letzten Zeugen" von Swetlana Alexijewitsch.

"Ist die Welt, unser Glück oder gar die ewige Harmonie zu rechtfertigen, wenn in ihrem Namen auch nur eine einzige Träne eines unschuldigen Kindes vergossen wird? Und antwortete darauf: Nein, kein Fortschritt, keine Revolution kann diese Träne rechtfertigen. Kein Krieg. Sie wiegt immer schwerer. Nur eine einzige Träne… (nach Dostojewski)"

Mir fällt es schwer, etwas über das Buch zu schreiben. Es hat keine durchgehende Handlung. Daher möchte ich hier nur einige Kinder mit einem Satz zu Wort kommen lassen und damit vielleicht euch anregen, mehr über das Schicksal der Kinder erfahren zu wollen.

Shenja Belkewitsch, 6 Jahre, heute Arbeiterin:
So ist es in meinem Gedächtnis haftengeblieben: Krieg, das ist, wenn Papa fort ist.



Gena Juschkewitsch, 12 Jahre, heute Journalistin:
Ich hatte gedacht, im Krieg würden nur Männer getötet.

Katja Korotajewa, 13 Jahre, heute Ingenieurin für Hydrotechnik:
Ich will von den Gerüchen erzählen.

Mischa Majorow, 5 Jahre, heute Doktor der Agrarwirtschaft:
Alles aus diesen Tagen habe ich schwarz in Erinnerung: schwarze Panzer, schwarze Motorräder, deutsche Soldaten in schwarzer Uniform.

Wassja Charewski, 4 Jahre, heute Architekt:
So erschüttert hat mich im Leben nur noch die Liebe.

Es ist grauenhaft, was Kinder im Krieg erleben müssen. Und mit welchen grauenhaften Erinnerungen sie dann das ganze Leben verbringen müssen.

Als Leser fühle ich mich einfach nur ohnmächtig. Ohnmächtig deshalb, weil schon wieder solch grauenhafte Dinge geschehen.

4.8.19

Malwida von Meysenbug

Uneingeschränkte Freiheit des Handelns gibt es nicht.
Die Bedingungen unserer eigenen Natur, alle Bande,
die uns an andere knüpfen, sind Beschränkungen
der individuellen Freiheit. Frei ist nur, wer die notwendigen
Fesseln anerkennt und dadurch in dem Allerheiligsten
seiner Seele nicht gestört wird.

Malwida von Meysenbug

Malwida von Meysenbug wurde als Malwida Rivalier am 28. Oktober 1816 in Kassel geboren. Sie war das neunte von zehn Kindern. Ihr Vater, der Hofbeamte Carl Rivalier, wurde 1825 mit Namensmehrung durch von Meysenbug in den erblichen kurhessischen Adelsstand erhoben. Somit wurde Malwida geadelt und stieg in den Rang einer Freiin auf.
Als ihr Bruder im Säuglingsalter starb, kamen erste Zweifel an Gott in ihr auf:

"Segen strömte aus der Machtvollkommenheit eines gütigen Gottes, wußte Malwida, wenn es sich ihr auch einfacher darstellte. Wie aber konnte der gleiche Gott einen Tag wie den heutigen zulassen? Hatte Gott zwei Gesichter, mußte man, statt ihm grenzenlos zu vertrauen, doch besser ein wenig auf der Hut sein vor diesem Gott?" (Seite 16)

Fast neunjährig, wurde Malwida zu Hause unterrichtet. Und sie war eine begierige Schülerin. Lesen und Schreiben beherrschte sie längst, dazu kamen

"Französisch zum Lehrplan, ohne es dabei mit Grammatik und Orthographie allzu genau zu nehmen, Historie, soweit sie sich im Lernen von Jahreszahlen erschöpft, und Geographie kaum über die Grenzen des Landes hinweg. Das Fach Religion übernahm ein Geistlicher gesetzten Alters, der sich durch Zwischenfragen nicht erschüttern ließ, statt dessen aber fehlerfreies Hersagen von Sprüchen und getragenen Liedtexten forderte. Blieben noch Tanz und Handarbeit..." (Seite 18)

Doch Malwida erhoffte sich vom Unterricht "Einblick in Literatur und Geisteswissenschaft, systematisches Durchnehmen und Kennenlernen der Werke und Namen von Gottsched bis Goethe" (Seite 18) - jedoch hoffte sie darauf vergeblich. Ihren Lesehunger stillte sie heimlich in Mamas Bibliothek.

Als Kurfürst Wilhelm II., für den Malwidas Vater tätig war, wegen Unruhen auf Reisen ging, musste der Vater ihn begleiten. Das wiederum belastet die Ehe der Eltern. Bis die Mutter darauf bestand, dass die Familie ihm folgte. Was doch sehr beschwerlich war, da sie nie lange an einem Ort blieben.
1832 kam von Kammerherr Funck von Senftenau, den die heißgeliebte Schwester Louise geheiratet hat, der Vorschlag, nach Detmold zu kommen.
Hier wurde sie konfirmiert und galt nun als erwachsen, was ihr einige Freiheiten erlaubte. So langsam überlegte sie, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte. Einen ersten Heiratsantrag, den sie mit zwanzig bekam, schlug sie aus.

"Noch biegsame und empfängliche Naturen, in die Form einer Ehe gegossen, nehmen Gestalt nach dem Diktat eines anderen an und bleiben abhängige Geschöpfe, die durch die Augen dieses anderen sehen, ja nach dessen Willen handeln." (Seite 54)

Mit dem Tod ihrer geliebten Schwester Louise war trotz der Entfremdung der letzten Jahre ihre Kindheit dahingegangen.

Nach einer unglücklichen Liebe kam bald ein Brief vom Vater, der sich fünf Monate freistellen ließ, und die Familie zog nach Potsdam. Hier nahm Malwida Unterricht beim Landschaftsmaler Carl Morgenstern.
Nach einiger Zeit begannen die Leute zu reden. Wie sie rumlief, mit diesem Malerkittel, und immer alleine mit dem Mann im Atelier, was da passieren könnte. Wenn es der Alte wäre, aber der Junge, im heiratsfähigen Alter. Doch Malwidas Eltern vertrauten ihr.

Bis zu dem Tag, als der Vater wieder zum Fürsten muss, und die Frauen wieder zurück nach Detmold sollen.

Nach einer Predigt von Theodor Althaus gründete Malwida mit ihrer Schwester Laura einen Verein der Arbeit für Arme. In diesem Verein sollten Kleider, Strümpfe, Schürzen und Ähnliches hergestellt werden, die dann an Arme verteilt werden. Es begann schleppend, doch nachdem die ersten Produkte hergestellt und bedürftigen Familien übergeben wurde,

"setzte geradezu eine Flut von Nachfragen um Mitgliedschaft ein. Unter den Töchtern der Detmolder Gesellschaft galt es als unabdingbar, dem Verein beizutreten, ja jede wollte der anderen zuvorkommen" (Seite 76).

Malwida, inzwischen 29 Jahre, hatte noch kein eigenes Leben - sprich, sie war noch nicht verheiratet. Doch sie liebte den Theologiestudenten Theodor Althaus. Er kam so oft wie möglich in ihr Elternhaus, sie schrieben sich Briefe. Darin ging es aber weniger um ihre persönliche Beziehung, als viel mehr um Fragen der Religion, der Politik und vor allem sozialer Belange.
Als er doch persönlicher und liebevoller in seinen Briefen wird, verweigert sich Malwida ihm als Frau. Er ist einige Jahre jünger als sie, noch Student, könnte keinen eigenen Hausstand gründen. Und eine Verbindung käme ja in ihren Kreisen nur durch eine Heirat infrage. Nach einiger Zeit fügt er sich. Ihnen fehlte auch die Möglichkeit, sich in der Hinsicht auszusprechen. Sie sahen sich zwar fast täglich, doch es war ständig eine Anstandsperson dabei.

Durch den Umgang mit Theodor Althaus entwickelte sich immer mehr ihr aufklärerisches Gedankengut. Sie regte sich maßlos auf, wenn ein "Sachverhalt unlogisch motiviert war und zudem darauf abzielte, einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen zu verletzen. Diese Eigenschaft Malwidas sollte ihr Leben lang die treibende Kraft zu all ihren Handlungen bleiben" (Seite 108).
Das brachte ihr aber mehr und mehr Probleme ein. Familienmitglieder mieden und distanzierten sich von ihr. Ganz besonders diejenigen, die in fürstlichen Diensten standen, wie zum Beispiel ihr Bruder Carl.

Doch dann nahm das Leben eine Wendung: Theodor beschloß, nach Leipzig zu gehen. Kurfürst Wilhelm II. starb und Malwidas Vater kehrte - müde und krank - zur Familie zurück, die nach Frankfuhrt zog.
So trennten sich die Liebenden und Malwida nahm Theodor das Versprechen ab, dass er ehrlich zu ihr sein sollte, falls er eine andere Frau kennenlernen sollte.

1847, Malwida ist 31 Jahre, stirbt der Vater. Außer ein paar Kleinigkeiten ist kein Erbe vorhanden. Nichts, von dem man leben könnte - weder für die Töchter noch für die Söhne. Die Witwe hofft auf eine fragliche Pension. Während die Brüder die jungen Frauen verheiraten wollen, begehren Laura und Malwida auf. Malwida sucht sich lieber einen Broterwerb, was den Bruch mit den Brüdern zur Folge hat. Nach einigem Überlegen steht fest: Sie möchte Erzieherin werden. So kann sie auch die Mutter unterstützen.

Sie kam mit sozialistischen Kreisen zusammen, trat für Frauenemanzipation ein, unterstützte die Märzrevolution von 1848 und nahm als Zuschauerin am Vorparlament in der Frankfurter Paulskirche teil.
Und dann plötzlich mussten die Frauen wieder nach Detmold zurück. Das Geld reichte in Frankfurt nicht mehr zum Leben. Im Detmolder Pfarrhaus erfuhr Malwida dann auch, warum sie immer weniger Briefe von Theodor erhielt. Er hatte eine andere Liebe gefunden.
Nachdem sie in Detmold von der Gesellschaft geschnitten wurde, fuhr Malwida zu einer Freundin nach Berlin, unglücklich darüber, dass immer noch ihr Bruder über ihr Leben zu entscheiden hatte. In Berlin erlebte sie die Niederschlagung der Revolution mit, musste die Stadt verlassen und kam bei Theodors Großvater in Potsdam unter.

Ab 1850 studierte Malwida an der Hamburger Hochschule für das weibliche Geschlecht, um Erzieherin zu werden. Auch hierfür brauchte sie wieder die Erlaubnis der Familie, was der 33-Jährigen wie eine Schmach erschien. Hier kam sie mit dem Ehepaar Johanna und Karl Friedrich Fröbel zusammen. An der Hochschule lernte sie nicht nur, sondern war bald selbst Lehrerin für andere junge Mädchen.
Als Malwida einen Antrag bekam, lehnte sie ab, weil die Familie dagegen war. Es war wie ein Zwiespalt: "Malwidas Geist, ihre Ideen und Überzeugungen waren modern und fortschrittlich, ihr innerer Mechanismus aber noch in den Vorstellungen ihrer Generation und ihrer Klasse befangen.

Hier lernte sie auch Carl Schurz - ein radikaldemokratischer Revolutionär - kennen, der mal seinen Eindruck über Malwida beschrieb:

"Sie sah zwar älter aus, als sie wirklich war, und die Natur hatte sie ihrem Aussehen nach nicht gerade begünstigt, aber sobald man mit ihr Freund war, vergaß man ihr Äußeres schnell. Das eifrige Interesse, mit dem sie alle Ereignisse verfolgte, ihre große Belesenheit und ihr Mut, sich auf dem politischen Felde zu behaupten, sprachen mich besonders an.
Ein fast ungestümer Enthusiasmus für alles Schöne und Edle beseelte sie, was sie zuweilen zu einer strengen Richterin über das Frivole machte. Dabei aber war ihr Wesen so einfach und anspruchslos, ihre Herzensgüte so unerschöpflich, daß jeder, der sie näher kennenlernte, nicht umhin kam, sie auf das höchste zu achten." - Seite 178

Im Frühjahr 1852 schloss die Frauenschule und Theodor Althaus, mit dem Malwida weiterhin befreundet blieb, starb am 2. April des Jahres. Den Jahreswechsel hatte sie an seinem Krankenbett verbracht.
Malwida ging nach Berlin, wo sie sich immer politischer betätigte. Sie nahm kein Blatt vor den Mund und berichtete auch nach Hamburg. Sie mochte den Gerüchten, die besagten, dass Briefpost stichprobenartig von den preußischen Polizeiorganen geöffnet und geprüft würden, nicht glauben. Doch bei der amtlichen Behörde gab es eine Akte über sie, die immer dicker wurde. Sie missachtete alle Warnungen von Freunden und Bekannten. Und wurde tatsächlich vorgeladen und einem Verhör unterzogen. Man riet ihr, die Stadt zu verlassen, um keinen weiteren Ärger zu bekommen. Nach einem Gespräch mit den engsten Freunden entschloss sie sich, nach England zu gehen.

Von nun an war sie Flüchtling, sobald sie an Bord war, schrieb sie einen Brief an die Familie:

"Diesmal gehe ich, ohne euch um Erlaubnis zu bitten. Ich brauche sie nicht mehr. Ich gehe als Flüchtling, als Verstoßene aus einer Heimat, die mich und mein Anliegen nicht verstehen will.
Eure Tochter und Schwester Malwida."

In London traf sie Carl Schurz wieder und lernte unter anderen Gottfried und Johanna Kinkel, Therese Pulszky und Alexander Herzen kennen. Schon bald erzog sie mit mütterlicher Wärme die beiden Töchter Olga (1844–1912) und Natalie (1844–1936). Auch mit seinem Sohn Alexander Alexandrowitsch verstand sie sich gut.
Sie traf Richard Wagner, der schlecht gelaunt war, in Paris wieder, wohin sie fuhr, weil sie durch eine Meinungsverschiedenheit nicht mehr im Hause Herzens bleiben konnte. Über Wagner kam sie in Kontakt mit der Philosophie Arthur Schopenhauers, welche sie – in eigener Interpretation – für sich selbst übernahm.
Malwida lebte sich ein in Paris und sie fühlte sich hier wohl. Traurige Erinnerungen konnte sie vergessen und neue Eindrücke sammeln. Sie arbeitete, schrieb Artikel und Essays und war mittlerweile finanziell unabhängig. Doch dann kam ein Brief von Herzen: Die Mädchen würden sie vermissen, sie möchte doch bitte nach London zurückkommen. Bei Natalie merkte Malwida, dass sie nicht mehr viel ausrichten konnte, aber für Olga konnte sie wieder die Mutterrolle übernehmen. Wegen der Gesundheit zog es Malwida wieder in den Süden und Herzen erlaubte, dass Olga mit ihr reisen durfte. Die beiden hielten sich 1860/61 in Paris auf. Dann vertrug Malwida auch dessen Witterung nicht mehr. Zusammen mit Olga und nun auch Natalie ging es nach Italien. Schon bald sollte Natalie wieder nach Hause. Sie war alt genug, in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Malwida akzeptierte das, aber sie war der tiefen Überzeugung,

"... daß keineswegs wie bisher der Gedanke an die Ehe den jungen Gemütern um jeden Preis eingepflanzt und als einziges Lebensziel für die Frau hingestellt werden muß! Diese unheilvolle Ansicht, die die meisten Mütter noch vertreten, muß unbedingt aufgehoben werden. Das Mädchen muß so gut wie der Knabe von klein auf seine Fähigkeiten entwickeln können, danach streben dürfen, aus sich ein möglichst vollkommenes und umfassendes Wesen zu machen. Wieviel häßliche Täuschung und auch Selbsttäuschung, wie sie jetzt oft den jungen Mädchen gelehrt werden, würden damit wegfallen. Wieviel Unglück als Folge konventionell geschlossener Ehen würde vermieden werden! Kommt dem entwickelten Charakter, dem gereiften, in sich ruhenden Wesen, die wahre Liebe als Krone des Lebens hinzu - nun wohl dem Glücklichen! Eine Ehe aber, in das ein Mädchen aus Vorurteil und schierem Brauchtum gestürzt wird, kommt der Prostitution gleich." - Seite 292

1869 erschien anonym und erfolgreich der erste Band ihrer persönlichen Memoiren, zunächst auf französisch; nach einer erweiterten Übersetzung erschienen 1875 und 1876 auch ein zweiter und dritter Band.
Nach 18-jähriger Freundschaft verlor Malwida Alexander Herzen an den Tod. Auf ihre Weise hatte sie den Mann geliebt. Er "aber hat auf mehr als vierhundert Druckseiten seiner Lebenserinnerungen Malwida von Meysenbug nicht ein einziges Mal erwähnt". - Seite 301
Olga heiratete und ging mit ihrem Mann nach Paris. So war Malwida nun wieder alleine. Ganz passend kam da eine Einladung von Richard Wagner und so zog sie 1873 nach Bayreuth. Ein Jahr später, Malwida war mittlerweile 58 Jahre alt, musste sie der Gesundheit wegen nach Italien. Sie lud oft junge Künstler und Schriftsteller zu sich ein, so etwa Nietzsche (dessen Gönnerin und Freundin sie wurde und blieb) und Paul Rée 1876/1877 nach Sorrent. Auch Lou von Salomé wurde von ihr und Rée mit Nietzsche bekanntgemacht.

Malwida hat inzwischen das "hohe Alter" von 63 Jahren erreicht. Was sie erreichen wollte, als sie ihr Elternhaus verließ, hat sie geschafft:

"Selbständigkeit, Bewährung, Unabhängigkeit, und damit das Wunder einer Frau ihrer Zeit. Seit zwanzig Jahren lebte sie von den Früchten ihrer Feder, seit drei Jahren von den reichlich fließenden Tantiemen ihrer ,Memoiren einer Idealistin' und seit April 1879 von ihren bei Reißner in Leipzig erschienenen ,Stimmungsbilder'." - Seite 314

Sie brachte sich Ludwig Sigismund Ruhl in Kassel in Erinnerung und ein Briefwechsel begann, der bis zu Ruhls Tod anhalten sollte.
Die Bekanntschaft mit der erst 20jährigen Lou von Salomé ist dagegen nicht von Sympathie getragen. Malwida war zwar eine Verfechterin geistiger Freiheit, dennoch war sie in den Grenzen konventioneller Erziehung aufgewachsen, deren übliche Schranken Lou verachtete.

1885 erschien, wieder bei Reißner in Leipzig, ihr Roman "Phädra" in drei Teilen. Ebenfalls wieder mit Erfolg.

In Alexander von Warsberg hatte Malwida einen Freund gefunden. Für sie war die Verbindung mit ihm eine Freundschaft, "die wie ein heller Lichtschein auf meinen Weg fällt, der sich dem letzten Ziele nähert". - Seite 339 - Warsberg starb am 28. Mai 1889.
In diesem Jahr lernte Malwida den 50 Jahre jüngeren Romain Rolland kennen, der ihr letzter Vertrauter wurde. Sie ermöglichte dem jungen Mann, sein Klavierspiel zu üben. So trafen sie sich wöchentlich mehrmals und freundeten sich an. Rolland drückte es später so aus: "Der Freund, der dich versteht, erschafft dich. In diesem Sinne bin ich von Malwida erschaffen worden." - Seite 345
Leider war er nicht anwesend, als Malwina ihren letzten Weg ging.

Malwida von Meysenbug starb am 26. April 1903 in Rom.


Quelle und Literatur
Julia von Brencken: Anemonen pflückt man nicht
Daniela Weiland, Hermes Handlexikon Geschichte der Frauenemanzipation in Deutschland und Österreich, Econ Taschenbuch Verlag Düsseldorf 1983
Gero von Wilpert, Lexikon der Weltliteratur Bd. 1 Autoren, Kröner Verlag Stuttgart 1988



2.8.19

Blick ins Regal #2

Mit jedem Blick ins Regal möchte ich euch ein Buch vorstellen oder eines Lesen oder eines in die Hand nehmen und einfach nur blättern. Diese sechs schaffen es heute mit Klappentext in den Blog:

Armin Strohmeyr: Weltensammlerinnen - Spektakuläre Reiseabenteuer mutiger Frauen

Gegen alle bürgerliche Vernunft heuerte die Schweizerin Ella Maillart 1924 in Seehundmantel und gelben Golfschuhen als Matrosin an und besegelte in den folgenden Jahren die Welt. Etwas eleganter, aber nicht minder waghalsig war Clärenore Stinnes, deren automobile Weltreise in der Adler-Limousine bis heute Maßstäbe im Motorsport gesetzt hat. Anstatt sich als brave Gattinnen, Mütter oder Töchter den Konventionen zu beugen, stürmten die hier porträtierten Abenteuerinnen aus zwei Jahrhunderten ans Ende der Welt, auf höchste Gipfel, in heißeste Wüsten und kälteste Meere - und lebten damit ihren Traum der Freiheit.


Leonard Woolf: Mein Leben mit Virginia

Zum ersten Mal läßt sich das Leben und Schreiben der Schriftstellerin Virginia Woolf aus authentischer Quelle nachlesen: In Leonard Woolfs erzählten Erinnerungen Mein Leben mit Virginia, einem Teil seiner Autobiographie...
Leonard und Virginia Woolf heirateten im August 1912, ihre Ehe dauerte beinahe dreißig Jahre. In diesen Jahren erschienen ihre großen Romane, die Erzählungen, Kritiken, die Vorträge und die Essays.
Leonard Woolf erzählt von seiner ersten Begegnung("Man konnte gar nicht anders, als sich in sie zu verlieben...") mit Virginia Stephen, die er erst sieben Jahre später zu fragen wagte, ob sie ihn heiraten wolle; er berichtet von ihrer Familie, ihren Freunden, mit denen sie die später weltberühmte Bloomsbury group gründete, ihren Zusammenbrüchen und Krankheiten, dem Entstehen ihrer Bücher - und das nicht mit dem Abstand des Biographen, sondern aus der täglichen Anschauung und Arbeit, mit den Augen des besorgten, zärtlichen Mannes...


Hans Bentzien: Elisabeth - Landgräfin von Thüringen

Wenn man die Wartburg besucht, gelangt man durch einen Laubengang in die Kemenate der heiligen Elisabeth. Sie ist geschmückt mit den berühmten Fresken Moritz von Schwinds, die an das Leben dieser Frau erinnern.
Wer war Elisabeth, Landgräfin von Thüringen, die 1231, nur vierundzwanzigjährig starb und nach ihrem Tod heiliggesprochen wurde?
Als vierjähriges Mädchen kam sie, eine ungarische Königstochter, an den Hof von Eisenach. Sie war mit dem elfjährigen Sohn des Landgrafen verlobt worden. Auf der Wartburg wird sie erzogen wie die Fürstenkinder auch. Früh zeigen sich ungewöhnliche Charakterzüge. Sie will, daß es gerecht zugeht, und es entwickelt sich bei ihr eine Frömmigkeit, die zu einer sozialen Haltung wird...


 Halldór Gudmundsson: Halldór Laxness - Sein Leben

Halldór Laxness (1902-1998) war der erste isländische Schriftsteller der Moderne, ein großartiger Geschichtenerzähler und ist der bislang einzige isländische Nobelpreisträger. Spannend und kenntnisreich führt Halldór Gudmundsson durch die Lebensetappen des Autors und erkundet die Hintergründe eines literarischen Werkes von beeindruckender Vielgestaltigkeit und Strahlkraft. Er erzählt von Laxness' Kindheit auf einem Bauernhof, von seinen Lehr- und Wanderjahren, die ihn bis nach Hollywood führten, von seiner Suche nach einer eigenen Stimme als Erzähler und davon, wie Laxness die Widersprüche und Irrtümer des 20. Jahrhunderts für seine Erzählkunst fruchtbar machte. Die Biographie präsentiert bislang nicht veröffentlichte Photographien: Portraits von Laxness und seinen Freunden sowie Aufnahmen von den zahlreichen Reisen, die ihn um die ganze Welt führten.


Richard Ellmann: Vier Dubliner

Das letzte Buch des brillanten Biographen und Oxfordprofessors umfaßt vier Essays, die aus Vorträgen entstanden sind, die der Gelehrte zwischen 1982 und 1985 an der Library of Congress in Washington hielt. Richard Ellmann (1918-1987), der sich mit diesen vier die Literatur des Jahrhunderts prägenden Autoren intensiv beschäftigt hat, wendet sich hier in konziser, witziger und wohlfundierter Analyse neuen Aspekten der Werk- und Lebensgeschichte von Wilde, Yeats, Joyce und Beckett zu. Anhand neu entdeckter Dokumente und aufgrund von Gesprächen, die er selbst mit Angehörigen und Bezugspersonen der Autoren führte, legt Ellmann ebenso furchtlos wie behutsam bisher weitgehend ungelüftete Geheimnisse der Dichterpsyche im Spannungsfeld sexueller, religiöser und existentieller Nöte bloß...


Rolf Recknagel: Jack London - Leben und Werk eines Rebellen

Es war ein Leben voller Abenteuer, das Leben des Jack London. Aus den Armenvierteln von San Francisco führte es ihn hinaus in die Bucht zu den Austernräubern und in den Pazifik zum Robbenfang. Als blinder Passagier trampte er durch die USA, und als in Alaska der Goldrausch ausbrach, war er auch dabei. Er brachte kein Gold nach Hause, sondern den Skorbut. Aber er brachte noch mehr: den Stoff zu vielen Erzählungen und Romanen. Vom hohen Norden berichtet er und von der Südsee, die er im Segelboot durchquerte. Ein abenteuerliches Leben und ein Leben voller Engagement für die Armen und Ausgestoßenen, ein Leben, das viel zu früh zu Ende ging.


Ja, das war es für heute wieder. Ich hoffe, ihr freut euch auf den kommenden Freitag.