19.11.19

Anna Seghers

Anna Seghers wurde am 19. November 1900 in Mainz als Netty Reiling geboren. Ihr Vater - Isidor Reiling - war Antiquitätenhändler.
Ab 1919 studierte sie Philologie, Geschichte, Kunstgeschichte und Sinologie in Köln und Heidelberg. Fünf Jahre später, 1924, promovierte sie mit der Arbeit "Jude und Judentum im Werke Rembrandts". Sie bereiste viele Länder.

1925 heiratete sie den englischen Schriftsteller und Soziologen Laszlo Radvanyi. Sie trat 1928 der KPD bei und wurde Mitglied des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller.

Im Jahr 1930 fand der Kongress der Internationalen Vereinigung Revolutionärer Schriftsteller in Charkow statt, an dem sie teilnahm.
Ihre Bücher wurden 1933 verboten, sie floh nach Frankreich. Dort arbeitet sie in Paris an antifaschistischen Zeitschriften und Verlagen mit, bis sie 1940 nach Mexiko floh. Mit Ludwig Renn, Bodo Uhse und Alexander Abusch gab sie dort die Zeitschrift "Freies Deutschland" heraus und wurde Vorsitzende des antifaschistischen Heine-Clubs.

1947 kam sie zur Annahme des Georg-Büchner-Preises nach Deutschland zurück und wohnte dann in Ost-Berlin. Seit der Gründung des Deutschen Schriftstellerverbandes der DDR war sie bis 1978 dessen Vorsitzende, danach Ehrenvorsitzende.

Zentrale Themen in Anna Seghers Romanen und Erzählungen sind der Kampf der Unterdrückten und Ausgebeuteten, Faschismus, Exil und die Entwicklung in der Nachkriegszeit in Deutschland. Weltberühmt wurde sie mit dem KZ-Roman "Das siebte Kreuz" (1942).

Öffentlich jedoch schwieg Anna Seghers zu allem: Sie erhob weder ihre Stimme, als der Arbeiteraufstand im Juni 1953 in der DDR stattfand, noch als die sowjetischen Truppen 1956 in Ungarn einmarschierten, noch als der Freund Walter Janka im Gefängnis verschwand, noch zum Mauerbau, noch zum Prager Frühling, noch zur Ausbürgerung Biermanns 1976.

Anna Seghers starb am 1. Juni 1983 in Ost-Berlin.

Nähere Informationen findet ihr auf dieser Seite: anna-seghers.de

Marcel Reich-Ranicki über Anna Seghers


18.11.19

Frances Greenslade: Der Duft des Regens

Familienschicksal ohne Happy End

Maggie schreibt diese Geschichte auf. Jenny bat sie darum, das Ganze für sie zu sortieren. Sie lebten in den Wäldern von Kanada, in Duchess Creek. Das Haus, in dem sie wohnten, war keines, in dem man alt werden konnte. Ab und an gab es Strom, aber nur für die Lampen. Es gab zwar einen Elektroherd, aber die Mutter kochte, wenn überhaupt, lieber auf dem Holzofen. Wenn sie im 20. Jahrhundert ankommen wollte, meinte sie, dann würde sie nach Vancouver ziehen. Als Toilette gab es ein Plumpsklo. Und direkt am Waldrand wurde eine schwere Badewanne aufgestellt.
Die Mädchen hatten wohl eine glückliche Kindheit, doch Maggie machte sich tagtäglich Sorgen. Sorgen darüber, dass ihre Mutter sich mit der Axt verletzte, oder dass sie, wenn sie von der Schule nach Hause kam, ihr Häuschen zu Asche verbrannt vorfand.

"Wir waren eine normale Familie; das ist unsere Geschichte. Unsere Tage bestanden aus Flussufern und Schotterstraßen, Fahrrädern und Grashüpfern. Aber sobald du Gedanken spinnst, öffnest du eine Tür. Du lockst die Tragödie an. Das hat meine Sorge mich gelehrt."

Das ging so weit, dass Maggie abends nicht einschlafen konnte, nachts noch einmal aufstand, um in die Küche gehen zu können, um etwas zu trinken. Dabei vergewisserte sie sich, ob alles in Ordnung war.
Eine glückliche Kindheit stelle ich mir irgendwie anders vor. Von solchen Ängsten sollte doch kein Kind geplagt sein.

Dann stirbt der Vater bei einem Arbeitsunfall im Wald und Maggie hört auf zu sprechen. Erst eine ganze Weile später, als die Mutter mit den beiden Mädels einen Ausflug macht und sie an die Stelle kommen, an der Maggie und ihr Vater einen Unterschlupf gebaut hatten, findet sie die Sprache wieder.
Die Mutter findet nun einen Job weiter entfernt von ihrem Zuhause, das sie aufgeben musste, um die Miete zu sparen.
Maggie bekommt ein kleines Kätzchen, um das sie sich kümmern muss, was sie auch von Herzen tut. Was für ein Schock, als das Kleine mal wegläuft.
Doch als der Sommer vorüberging, wurde es noch problematischer. Der Saisonjob ist vorbei und die drei haben kein Zuhause. Es ist September, die Mutter würde am liebsten noch zelten, aber Jenny stellt sich quer. So sind die Mädels oft bei Rita, der Freundin der Mutter.
Doch als die beiden sich zerstreiten, sind sie wieder auf sich gestellt. Die Mädchen werden zu einem Ehepaar gebracht. Der Mann, der im Rollstuhl sitzt, war ein Freund des Vaters. Während seine Frau Bea, unzufrieden mit ihrem Leben, sich von Jenny anscheinend um den Finger wickeln lässt, kommt sie mit Maggies Art gar nicht klar. Die fängt oft den ganzen Ärger ab. Dafür kann sie besser mit Ted, der ihr ab und an von ihrem Vater erzählt.
Als Ted dann an Krebs starb, dachte ich, die Mädchen werden jetzt wieder weggegeben. Aber ganz im Gegenteil. Bea scheint aufzuleben und selbst Maggie wird nun freundlicher behandelt.
Trotzdem sind die Mädchen, besonders Maggie darüber unglücklich, dass die Mutter sich mittlerweile gar nicht mehr meldet. Hat sie die erste Zeit noch Geld in einem Brief geschickt, kam nun nicht mal mehr eine Geburtstagskarte für Maggie.
Und gerade als man denkt, dass die drei sich für ein gemeinsames Leben eingerichtet haben, kommt das nächste Unglück. Jenny ist im dritten Monat schwanger, als sie es Bea erzählt. Maggie dachte ja, Bea würde erst mal toben und sich dann beruhigen, aber nein, sie schmeißt Jenny raus. Jenny muss nach Vancouver, in ein Heim für ledige Mütter. Dort soll sie das Kind zur Welt bringen und es zur Adoption freigeben - und das 1974.

Als Jenny sich nach der Entbindung nicht gleich wieder erholt, macht sich Maggie auf den Weg, die Mutter zu suchen. Die muss doch jetzt bei ihrer Tochter sein.
Was Maggie dann aber bei ihren Nachforschungen erfährt, lest selbst.

Die Geschichte liest sich sehr schön. Mir gefällt die Sprache der Autorin, deren erstes Buch das ist. Die Naturbeschreibung klingen so toll, dass man meint, alles bildhaft vor sich zu sehen und zu riechen.

Es scheint noch kein weiteres Buch von Frances Greenslade zu geben. Ich werde das im Auge behalten und sollte sie noch eines schreiben, werde ich es sicherlich lesen.

13.11.19

Henriette Schroeder: Ein Hauch von Lippenstift für die Würde

Spielt das Aussehen für Frauen in Krisen- und Notzeiten eine Rolle? Aber ja. Selbst in Kriegszeiten achten sie darauf, wie sie das Haus verlassen. In Gefangenschaft ist es für sie geradezu überlebenswichtig, ihre Würde und Weiblichkeit bewahren zu können. Und wenn es nur ein Teelöffel Zucker mit etwas Wasser ist, um ihn als Haarfestiger nutzen zu können.

Man sollte meinen, und so denken viele Leute, dass es in Zeiten von Not Wichtigeres gibt als das Aussehen. Doch "schon ein Hauch von Lippenstift lässt Frauen sich in fast jeder Notlage besser fühlen".

Wer sind diese Frauen, die Henriette Schroeder dem Leser hier vorstellt?

Emily Wu kommt als erste zu Wort. 1958 kam sie in Peking zur Welt. Mao Tse-tung wollte die Landwirtschaft kollektivieren und China in eine industrialisierte kommunistische Großmacht verwandeln. Dabei nahm er in Kauf, dass innerhalb von vier Jahren 45 Millionen Menschen verhungerten.

Emily kannte nur eine graue, triste Welt. Keine Farben oder elegante Kleidung. Mit 23 Jahren emigrierte sie in die USA und schrieb ihre Memoiren: "Feder im Sturm - Meine Kindheit in China". Bis heute stehen sie dort auf dem Index.

"Kulturrevolution" bedeutete in China auch, die "Vier alten" (die Kurzform für alte Ideen, alte Kultur, alte Bräuche und alte Gewohnheiten) zu zerstören oder zu konfiszieren. 5000 Jahre alte chinesische Traditionen sollten eliminiert werden.

Als junges Mädchen verbrachte Emily viele Stunden damit zu stricken, sticken oder nähen oder Dekorationen zu basteln. "Unser Leben war so elend, langweilig und farblos, dass wir alles taten, um es erträglicher zu machen."

Henriette Schroeder interviewt Frauen, die Schreckliches erlebt haben. Zum Beispiel die Belagerung von Sarajevo (1992), während der die Stadt 1425 Tage eingeschlossen blieb, Scharfschützen auch auf Frauen und Kinder zielten. 11.541 Menschen starben während dieses Krieges, der inmitten des friedlichen Europas stattfand. Tausende wurden schwer verletzt und über 30.000 Menschen werden immer noch vermisst.

Wenn man gelesen hat, was diese Frauen erlebt haben, dann versteht man, dass schon ein Hauch von Lippenstift zum Überleben beitragen kann.

Alle Frauen zu benennen, wäre hier zu viel. Daher werde ich nur einige der Frauen mit einem Zitat zu Wort kommen lassen.

Senka Kurtović: "Sich schminken, sich gut kleiden, war auch Schutz gegen das Grauen..."

Samra Luckin: "Ich hatte am ersten Tag des Krieges genauso viel Angst wie am letzten. Ich wollte aber auch nicht hinnehmen, dass mich jemand zu einer Lebensweise zwingt, die unter meiner persönlichen Würde ist. Auch deshalb habe ich mich um mein Aussehen gekümmert. Es ging um Würde und um Auflehnung gegen diese Primitiven, die uns umzingelt hatten und auf uns schossen."

Christiane Amanpour: "Ich lernte, dass unter Beschuss, unter den mittelalterlichen Bedingungen, unter denen die Frauen leben mussten, schön sein zu wollen, nichts mit Eitelkeit zu tun hatte. Es ging ihnen darum, ihre Menschlichkeit zu bewahren."

Die Iranerin Yalda (Name geändert) lebt seit 2012 in völliger Anonymität in Wien: "Die Mullahs sagen, der Islam schreibe die Kleiderordnung vor. Aber in Wirklichkeit bestehen sie darauf, weil sie so dreckige, pervertierte Seelen haben. Und sie behaupten, alle anderen hätten ähnliche Gedanken; also erlassen sie viele Verbote. So wird Druck aufgebaut. Sie haben eine so schmutzige Fantasie, dass eine weibliche Fessel sie bereits anmachen würde. Mit all ihren Vorschriften verbreiten sie Angst und Schrecken und können so ihre Herrschaft zementieren."

Wir hier im Westen sind mit Urteilen immer schnell bei der Hand. Gerade was das Kopftuch, die Kleider der Frauen aus anderen Kulturen betrifft. Dass vermummte und kopftuchtragende Frauen ihre ganz persönliche Revolution durchführen, das sehen wir nicht.

Deshalb wünsche ich diesem Buch ganz viele Leser. Damit der ein oder andere sein vorschnelles Urteil vielleicht doch noch revidieren kann.

Ich bin in diesem äußerst interessanten Buch auf so viele Frauen gestoßen, die ich bisher nicht mal vom Namen her kannte. Daher stelle ich es auch nicht gleich wieder ins Regal zurück, sondern versuche mal, noch mehr über diese Frauen zu erfahren.

Das war mal wieder ein Buch, bei dem mir so richtig die Wut hochstieg. Besonders der Beitrag über die ehemalige DDR-Fernsehmoderatorin Edda Schönherz. Sie hat drei Jahre lang das schrecklichste DDR-Frauen-Gefängnis erleben müssen. Und da kann man wirklich sagen: Was die Nazis begonnen haben, hat die Stasi vervollkommnet.
Das Schreckliche daran: Die Männer, die sie damals gedemütigt haben, sitzen heute wieder in hohen Posten. Sie führen mittelständische Unternehmen, sind Vorstandsvorsitzende, haben Hotels. Und sitzen in der Regierung. Und Letztes ist wirklich ein Schlag ins Gesicht gegen, ja, eigentlich gegen alle Menschen.

Es war nach der Wende genauso wie nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Täter konnten ein unbehelligtes Leben weiterführen. Die Opfer müssen mit ihren Erlebnissen klarkommen.

9.11.19

Monika Held: Der Schrecken verliert sich vor Ort

Der Wiener Heiner Rosseck ist ein Überlebender. Er hat das KZ Auschwitz überlebt. Anfang der 1960er Jahre findet in Frankfurt der Auschwitz-Prozess statt, an dem Heiner als Zeuge teilnimmt.
Seine erste Reise nach Frankfurt lag ein Jahr zurück. Damals waren seine Füße aus Blei und der Weg zum Untersuchungsgefängnis wie eine zweite Deportation.
Bei einer Gegenüberstellung sollte er zwei Männer identifizieren, die ihn hätten täglich töten können. Nun sollte er all das vor Gericht wiederholen. Aber man wollte es ganz genau wissen: Wann, wo, wie. Das machte ihn fertig:

"die Wahrheitssuche im Sinne des Strafgesetzbuches. Er wusste dass es im Prozess um Daten und Fakten ging, nicht um Gefühle, aber er hatte sich überschätzt. Vor ihm saß der Richter, dessen Ton so tadelnd war, als hätte er den untauglichsten Zeugen eines Verkehrsunfalls vor sich".

Während dieses Prozesses lernt Heiner Lena kennen. Sie half ihm, als er zusammenbrach. Sie verlieben sich. Doch Heiner warnt Lena. Der Tod ist sein ständiger Begleiter. Er selbst ist ein Wrack. Fleckfieber, Typhus, Tuberkulose, Erschöpfungszustände, chronische Bronchitis, Durchblutungsstörungen, Herzinfarkt.

"Bevor wir Pläne schmieden, schrieb er, muss ich Dir zeigen, was zu mir gehört wie mein Kopf und mein Herz. Kann sein, dass Du es in einer Wohnung, in der wir zusammen leben, nicht ertragen willst.
Seine Briefe waren zärtlich und scheu. Er warnte vor sich. Er war versessen nach Glück und hatte Angst vor dem Glück."

Er lebte mit seinen Erinnerungen. Nachts musste im Schlafzimmer ein schwaches Licht brennen. Er konnte nicht im dunklen Zimmer wach werden. Er schrie im Schlaf.
Und in Lena nagte ein vager Zweifel. Wie lange reichte ihre Liebe für den Teil des Mannes, der im Lager geblieben war.

Am 5. August 1965 reiste Heiner wieder nach Frankfurt. Die Schlussworte der Angeklagten sollten gesprochen werden. Sie waren natürlich alle unschuldig. Niemand hat mitbekommen, was in Auschwitz vor sich ging.
Die Attacken, die Heiner erlebte, kamen von einer Minute zur anderen. Zum Beispiel in einem Wiener Café. Dann saß er plötzlich wieder in der Schreibstube und tippte im Akkord Todeslisten. Für ihn war es ungeheuerlich, dass die Menschen um ihn rum von seiner Welt nichts wussten.
Lena möchte die Ehefrauen dieser Täter verstehen. Ob deren Kinder wissen wollen, was die Väter verbrochen haben. Heiner begehrt auf. Ihn bringt das Einfühlungsvermögen in die Lagerteufel um.

Und ist es nicht tatsächlich so? Wir wollen die Täter verstehen. Wie konnten sie so werden? Aber wer fragt nach den Opfern? Auch heute hat der Täter jede Menge Aufmerksamkeit und Rechte, die sich das Opfer erkämpfen muss.

Eine Frau und Kind hat Heiner schon verloren wegen seiner Erinnerungen. Martha hielt es nicht aus. Nach fünf Jahren verlor sie die Geduld:

"Dein Bett steht in Wien, sagte sie, verdammt noch mal, nicht in Block 21. Ich ertrage keinen Mann, der nachts seine Häftlingsnummer in die Dunkelheit schreit: 63.387."

Niemand wollte seine Geschichten hören. Niemand glaubte sie ihm. Nicht mal die Mutter, nicht die Freunde.

Ich möchte noch so viele Stellen zitieren. Die Erinnerungen, die den Überlebenden quälen. Ich denke immer, ich habe schon viel erfahren, was in den KZs geschehen ist. Und dann kommen immer noch neue Greuel dazu. Und vor Fassungslosigkeit merke ich beim Lesen nicht, wie ich die Luft anhalte.

Im Anhang gibt es ein Nachwort von Margarete Mitscherlich.

"Sie war eine deutsche Psychoanalytikerin, Ärztin und Autorin zahlreicher Bücher.

Mitscherlich schrieb gemeinsam mit ihrem Mann, dem Arzt und Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich (1908–1982), das Buch Die Unfähigkeit zu trauern, das 1967 Diskussionen auslöste. Darin untersuchten sie am Beispiel der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands und der unzulänglichen Auseinandersetzung und Bewältigung in der Adenauer-Ära die Abwehrhaltung des Einzelnen und der Masse gegenüber Schuld und Mitschuld an politischen Verbrechen."
- Wikipedia

6.11.19

Elizabeth Subercaseaux: Eine Woche im Oktober

"Eine Woche im Oktober" erzählt die Geschichte von Clara, 46, und Clemente, die beide in Santiago de Chile leben, ab dem Zeitpunkt, als bei Clara Krebs festgestellt wird. Als sie nicht mehr weiß, was sie noch anfangen soll, sagt ihr Mann lapidar: "Schreib doch". Und das tut sie dann auch. Zunächst unbemerkt von Clemente, der dann aber irgendwann das Heft in einer Schublade findet und es heimlich liest.
Und in dem, was er dort liest, erkennt er seine Frau nicht wieder. An Episoden, die sie beschreibt, kann er sich absolut nicht erinnern, verbannt sie ins Reich der Fantasie, aber an vieles erinnert er sich auch. Und muss eines Tages lesen, dass Clara davon weiß, dass er sie schon jahrelang mit einer anderen betrog und schlussendlich, dass seine Frau während ihrer Krankheit ein Verhältnis mit einem anderen Mann anfing.
Was soll Clemente mit diesem Wissen anfangen? Mit seiner Frau reden? Dann würde sie erfahren, dass er heimlich ihre Aufzeichnungen las. Er, der fremd gegangen ist, fühlt sich von Clara betrogen, weil sie ihn nie spüren ließ, dass sie über sein Verhältnis Bescheid wusste. Wollte sie sich mit diesem Heft an ihm rächen? Sollte er es auf diese Weise erfahren?

Ein gutes Buch, ich hätte gerne Zitate rausgeschrieben. Aber es hat eh nur 200 Seiten. Und es wären traurige Zitate gewesen, weil, es gibt hier kein Happy End, nichts, was mich als Leser hoffnungsvoll zurücklässt.

4.11.19

Robert James Waller: Die Brücken am Fluß

Bridge in Madison County Quelle: Pixabay
1992 erschien dieser Roman, der 1995 mit der wunderbaren Meryl Streep und einem für mich total überraschenden Clint Eastwood verfilmt wurde.
Und ob ihr es glaubt oder nicht: Seit Erscheinen des Buches erhielt der National Geographic bis 1995 (da erschien ein Artikel in der Los Angeles Times) jährlich über tausend Briefe aus aller Welt mit Anfragen zu dem Fotografen Kincaid und seiner Fotogeschichte über die überdachten Brücken in Madison County.
Doch Robert Kincaid existierte nicht, was die Leute einfach nicht wahrhaben wollten.
Und ich kann das verstehen - ist doch diese Geschichte einfach nur schön und traurig und man wünscht sich, dass es die beiden wirklich gegeben hat.

Wenn man die ersten Seiten liest, merkt man auch gleich, warum so viele Menschen davon ausgehen konnten, dass sie wahr ist. Berichtet der Autor doch von Carolyn und Michael, die ihn darum baten, die Geschichte ihrer Mutter Francesca aufzuschreiben. Sie haben mit sich gekämpft. Aber:

"In einer Welt jedoch, in der persönliche Bindungen in all ihren Spielarten in die Brüche zu gehen scheinen und Liebe nur noch eine Annehmlichkeit ist, hatten die beiden das Gefühl, daß diese bemerkenswerte Geschichte erzählt werden sollte."

Das war zu Beginn der 1990er-Jahre. Die eigentliche Geschichte von Francesca Johnson und Robert Kincaid beginnt aber 1965, am Morgen des 8. August. Da machte sich Robert mit einem Rucksack voller Fotoausrüstung und anderem Gepäck in seinem alten Chevrolet-Pickup auf den Weg Richtung Minnesota.
Robert Kincaid war ziemlich allein. Die Eltern tot, entfernte Verwandte hatte er und sie ihn aus den Augen verloren. Freunde hatte er keine. Er wusste die Namen von seinem Lebensmittelhändler und dem Besitzer des Fotoladens, wo er alles für seine Ausrüstung kaufte. Und er kannte, weil beruflich notwendig, mehrere Redakteure von Zeitschriften.
Er war mal verheiratet, das ist nun neun Jahre her. Nun ist er zweiundfünzig Jahre alt. Und er denkt schon ab und zu daran, dass es schön wäre, wieder eine Frau zu haben. Aber das wäre unfair, da er doch immer länger unterwegs sein würde.
Er kennt eine Frau, mit der er ab und zu mal einen schönen Abend verlebt. Bei einer dieser Gelegenheiten hat sie ihm mal etwas gesagt, was ihm nicht mehr aus dem Kopf ging:

"Robert, in dir steckt ein Wesen, das herauszubringen ich nicht gut genug und das zu erreichen ich nicht stark genug bin. Ich habe manchmal das Gefühl, du bist schon sehr lange hier, mehr als nur ein Leben, und daß du an Orten gelebt hast, von denen wir anderen noch nicht mal träumen. Du jagst mir Angst ein, auch wenn du zärtlich zu mir bist. Würde ich mich bei dir nicht mit aller Kraft unter Kontrolle halten, ich habe das Gefühl, ich würde mich völlig verlieren und nie wieder zurückbekommen."

Das Fotografieren lernte er bei der Armee, der er beitrat, als sein Vater starb. Als er entlassen wurde, fand er einen Job bei einem Modefotograf, obwohl er sich für Mode selbst überhaupt nicht interessierte. Als auch seine Mutter starb, erbte er das kleine Häuschen, das er verkaufte und sich seine erste eigene Fotoausrüstung dafür kaufte. Kleine Magazine nahmen seine Arbeiten an, bis sich National Geographic bei ihm meldete. Ab da ging es für ihn bergauf.

Wenn man die ersten Seiten liest, merkt man auch gleich, warum so viele Menschen davon ausgehen konnten, dass sie wahr ist. Berichtet der Autor doch von Carolyn und Michael, die ihn darum baten, die Geschichte ihrer Mutter Francesca aufzuschreiben. Sie haben mit sich gekämpft. Aber:

In einer Welt jedoch, in der persönliche Bindungen in all ihren Spielarten in die Brüche zu gehen scheinen und Liebe nur noch eine Annehmlichkeit ist, hatten die beiden das Gefühl, daß diese bemerkenswerte Geschichte erzählt werden sollte.
Das war zu Beginn der 1990er-Jahre. Die eigentliche Geschichte von Francesca Johnson und Robert Kincaid beginnt aber 1965, am Morgen des 8. August. Da machte sich Robert mit einem Rucksack voller Fotoausrüstung und anderem Gepäck in seinem alten Chevrolet-Pickup auf den Weg Richtung Minnesota.
Robert Kincaid war ziemlich allein. Die Eltern tot, entfernte Verwandte hatte er und sie ihn aus den Augen verloren. Freunde hatte er keine. Er wusste die Namen von seinem Lebensmittelhändler und dem Besitzer des Fotoladens, wo er alles für seine Ausrüstung kaufte. Und er kannte, weil beruflich notwendig, mehrere Redakteure von Zeitschriften.
Er war mal verheiratet, das ist nun neun Jahre her. Nun ist er zweiundfünzig Jahre alt. Und er denkt schon ab und zu daran, dass es schön wäre, wieder eine Frau zu haben. Aber das wäre unfair, da er doch immer länger unterwegs sein würde.
Er kennt eine Frau, mit der er ab und zu mal einen schönen Abend verlebt. Bei einer dieser Gelegenheiten hat sie ihm mal etwas gesagt, was ihm nicht mehr aus dem Kopf ging:

"Robert, in dir steckt ein Wesen, das herauszubringen ich nicht gut genug und das zu erreichen ich nicht stark genug bin. Ich habe manchmal das Gefühl, du bist schon sehr lange hier, mehr als nur ein Leben, und daß du an Orten gelebt hast, von denen wir anderen noch nicht mal träumen. Du jagst mir Angst ein, auch wenn du zärtlich zu mir bist. Würde ich mich bei dir nicht mit aller Kraft unter Kontrolle halten, ich habe das Gefühl, ich würde mich völlig verlieren und nie wieder zurückbekommen."

Das Fotografieren lernte er bei der Armee, der er beitrat, als sein Vater starb. Als er entlassen wurde, fand er einen Job bei einem Modefotograf, obwohl er sich für Mode selbst überhaupt nicht interessierte. Als auch seine Mutter starb, erbte er das kleine Häuschen, das er verkaufte und sich seine erste eigene Fotoausrüstung dafür kaufte. Kleine Magazine nahmen seine Arbeiten an, bis sich National Geographic bei ihm meldete. Ab da ging es für ihn bergauf.

Kommen wir nun zu Francesca.
Wir begegnen ihr acht Jahre nach Richards Tod. Sie hat heute ihren 67. Geburtstag. Die Kinder können mal wieder nicht kommen, was sie versteht. Michael als Leiter eines Krankenhauses und Carolyn als Lehrerin, da haben sie keine Zeit. Aber Francesca hat ja immer alles verstanden. Und im Prinzip war sie froh, dass es so ist. Denn an ihrem Geburtstag hat sie ihr eigenes Ritual. Vormittags kommen Freunde und man unterhält sich über alles mögliche. Und sie hält Rückschau. Nach dem Krieg sah sie in Italien keine Zukunft für sich. So ging sie mit Richard, dem Amerikaner, nach Iowa und gründete hier eine Familie. Sehnsucht zurück hatte sie nicht. Nur zweimal fuhr sie noch nach Neapel, jeweils als Mutter und Vater starben.
Am Nachmittag genehmigte sie sich einen Brandy und besah sich die wenigen Erinnerungsstücke, die sie an Robert Kincaid hatte. Einen Brief, in dem er unter anderem schrieb:

"Mir ist jetzt klar, daß ich mich schon seit langem auf Dich zubewegt habe und Du Dich auf mich. Obwohl keiner sich des anderen bewußt gewesen ist, bevor wir einander kennengeletn haben, so summte doch unter unserer Unwissenheit fröhlich und munter eine Art blinde Gewißheit, die sicherstellte, daß wir zueinanderfanden. Wie zwei einsame Vögel über den großen Prärien ihren Weg mit Hilfe der Gestirne bestimmen, haben wir uns all die Jahre, ja unser ganzes Leben lang, aufeinander zubewegt..."

Als er das erste mal im August 1965 vor ihrer Tür aus dem Auto stieg, spürte sie sofort, dass "Robert Kincaid in gewisser Hinsicht ein Zauberer war, der in sich selbst an merkwürdigen, fast schon bedrohlichen Orten lebte".

Francesca war äußerst beeindruckt von Robert. Ich sehe Meryl Streep quasi vor mir, wie sie ihn beobachtet, als er die ersten Probefotos der Brücke macht, zu der sie ihn geführt hat. Bei dieser Geschichte weiß ich gar nicht mehr, was ich zuerst kannte: das Buch oder den Film. Aber beim Lesen macht es mir überhaupt nichts aus, die beiden vor mir zu sehen. Zu schön haben sie dieses reife Liebespaar gespielt. Und obwohl er mich überrascht hat, habe ich Clint Eastwood die Rolle absolut abgenommen.
Möglich war ihr Kennenlernen nur, weil Richard mit den Kindern im benachbarten Illinois bei einer Landwirtschaftsausstellung war.
Francesca lud Robert auf einen Eistee ein und er erzählte ihr später, "ihr zuzusehen, wie sie die Stiefel auszog, war einer der sinnlichsten Augenblicke gewesen, an die er zurückdenken könne". Er hätte aber nicht sagen können, warum: "Die Analyse zerstört die Ganzheit. Manche Dinge, magische Dinge, sind einfach als Ganzes gedacht. Betrachtet man ihre Teile, dann verschwinden sie."

Robert war der erste Mensch, dem gegenüber sie zugab, dass ihr Leben nicht das war, das sie sich erträumte. Und dann lud sie ihn zum Abendessen ein. Sie genoss, wie er ihr half und dass er die Tür nicht knallte. Er erzählte von seiner Arbeit und das Gespräch war für sie fast literarisch. Über Kunst wurde hier in der Gegend nicht geredet.
Nach dem Abendessen war Francesca unsicher, doch Robert rettete die Situation und schlug einen Spaziergang vor. Auch nach dem Spaziergang mochte Francesca ihn noch nicht gehen lassen und bot Brandy und Kaffee an. Sie spürte genau, wie er sie beobachtete. Und als er den Brandy einschenkte, fragte sie sich, wie viele solcher Situationen er wohl schon erlebt hat.
Als er sich verabschiedete, war sie erleichtert und gleichzeitig hin und her gerissen.
Dieses Buch ist keine hohe Literatur, aber wenn es um die Gefühle der beiden geht, gibt es Sätze, die einfach nur nach Poesie klingen.
Als Robert weg war, fuhr Francesca noch einmal zur Brücke und heftete an ihr einen Zettel an:

"Falls Ihnen nach einem weiteren Abendessen ist, ,wenn weiße Nachtfalter wach werden', dann kommen Sie doch heute abend nach der Arbeit vorbei. Kommen Sie, wann Sie wollen",

las Robert am nächsten Tag, nachdem er den Zettel gefunden hat. Er rief sie an und sagte zu und lud sie gleichzeitig ein, ihn zu begleiten, wenn er eine der anderen Brücken fotografierte. Trotz ihrer Bedenken - was wäre, wenn sie jemand mit ihm sieht - sagte sie zu. Als er den Gesprächen in einem Café lauschte, überlegte er, dass es vielleicht ein Fehler gewesen war, Francesca einzuladen. Doch als er sie noch einmal anrief, beruhigte sie ihn.

Francesca fuhr noch einkaufen. Wein, von dem sie, ebenso wie der Verkäufer, keine Ahnung hatte, und Brandy. Und sie kauft sich seit Jahren mal wieder ein neues Sommerkleid. Dann bereitete sie das Essen vor.
Am Abend, als die beiden wieder bei Francesca waren, bot sie ihm ihr Bad an. Als sie dann selbst in der Wanne lag, fand sie den Gedanken, dass kurz zuvor Robert hier drin war, sehr erotisch, wie sie mittlerweile fast alles an ihm erotisch fand.

In dem Moment, als Francesca in ihrem neuen Kleid, dezent geschminkt, in die Küche kam, verliebte sich Robert in sie: "Mein Gott", sagte er leise. Alles, was er gefühlt hatte, alles, was er je gesucht hatte, was er sich je überlegt hatte, ein Leben voller Gefühle, voller Suchen, voller Gedanken, in diesem einen Augenblick kam alles zusammen.

Und Francesca erging es mit Robert nicht anders. Bei einem Tanz in der Küche kamen sie sich immer näher - und das nicht nur körperlich. Thomas Wolfe hatte vom ,Geist der alten Begierde' gesprochen. Dieser Geist hatte sich in Francesca Johnson geregt. Und nicht nur in ihr.

Francesca, die heute ihren 67. Geburtstag hat, saß mit ihrem Brandy vor dem Fenster und erinnerte sich. Nur an diesem einen Tag im Jahr wagte sie, das Ganze in allen Einzelheiten durchzuspielen. Sie konnte sich Robert nicht als Fünfundsiebzigjährigen vorstellen. So, wie er damals war, so war er hier in ihrer Küche und hatte die Arme um sie gelegt.

Und schließlich entzog sie sich ihm, nahm ihn bei der Hand und führte ihn nach oben ins Schlafzimmer. Und was Francesca in dieser Nacht und immer, wenn sie mit Robert beieinander war, erlebte, hat sie noch nie in ihrem Leben gefühlt.
Die kommenden Tage verbrachten sie jede Minute miteinander. Sie unterhielten und sie liebten sich. Robert war es schließlich, der fragte: Was sollen wir machen? Er bot an, mit Richard zu reden, doch Francesca weiß, dass er das nie begreifen könnte. Er bot ihr auch an, sie mitzunehmen. Doch auch das hält Francesca für keine gute Idee, so sehr sie es auch wollte. Einerseits würde sie ihm Fesseln anlegen. Andererseits könnte sie das Richard und den Kindern nicht antun. Es wäre eine Katastrophe für sie.

"So sehr ich dich auch will und mit dir zusammensein und ein Teil von dir sein möchte, ich kann mich nicht einfach von der Realität meiner Verantwortung losreißen. Wenn du mich, körperlich oder geistig zwingst, mit dir zu gehen, dann kann ich, wie schon gesagt, nichts dagegen tun. Dazu fehlt mir bei meinen Gefühlen für dich die Kraft. Und wenn ich zehnmal gesagt habe, dir nicht im Weg stehen zu wollen, ich würde schon aus reiner Selbstsucht mitgehen, nur weil ich dich will.
Aber zwinge mich bitte nicht. Zwinge mich nicht dazu, hier alles aufzugeben, meine Verantwortung. Ich könnte das nicht, ohne ständig mit dem Gedanken daran zu leben. Wenn ich jetzt wegginge, dann würde mich dieser Gedanke in jemand anderen verwandeln als die Frau, in die du dich verliebt hast."

Und Robert verstand sie: "Ich habe nur eines zu sagen, nur dieses eine; ich werde es nie wieder sagen, zu niemandem, und ich bitte dich, es nie zu vergessen: In einem Universum voller Zweideutigkeit begegnet einem eine derartige Gewißheit nur einmal und dann nie wieder, egal wie viele Leben man lebt."

Der Abschied am Freitagmorgen war quälend.

Der Weg der Liebe ist der zweite Teil von der Geschichte. Während es im ersten Buch mehr um Francesca ging, wird hier viel mehr über Robert Kincaid berichtet. Und obwohl ich weiß, dass es kein Happy End geben wird, liest sich das Buch genauso wunderschön wie das erste.
Wenn ich es irgendwann noch einmal lese, stelle ich es näher vor.

Trailer


3.11.19

Hannah Adams

Hannah Adams wurde am 2. Oktober 1755 in Medfield, Massachusetts geboren. Sie war die erste Frau in den USA, die berufsmäßig als Autorin arbeitete und durch Schriftstellerei ihren Lebensunterhalt verdiente.

Durch Studenten ihres Vaters Thomas Adams, der sich zwar auf dem väterlichen Bauernhof niederließ, dort aber ein Buchgeschäft eröffnete, erhielt sie schon früh eine umfassende literarische Bildung, aber auch in Griechisch und Latein, was zu der Zeit in Neuengland eine Seltenheit war. Tatsächlich spürte sie ihr ganzes Leben lang den Mangel an gründlicher Ausbildung in ihrer Jugend.  Als die Mutter starb, mussten sich die elfjährige Hannah und eine jüngere Schwester um die älteste Tochter Elizabeth mit dem Spitznamen "Betty" kümmern. Mit siebzehn Jahren mussten sie und ihre Geschwister sich schon selbst versorgen, weil der Vater zahlungsunfähig wurde. Während der amerikanischen Revolution und des Unabhängigkeitskrieges führte sie Handarbeiten aus. Sie nähte, strickte, spann und webte Klöppelspitzen. Sie fand die Gelegenheit, jungen Männern Griechisch und Latein beizubringen. Einer von ihnen war Pitt Clarke, der dann über 40 Jahre lang Pastor der Kirche in Norton, Massachusetts, war und in seiner Autobiografie "History of Norton" über H. Adams schrieb:  "Durch ihren Unterricht habe ich mich für das College qualifiziert und wurde im Juli 1786 an der Universität von Cambridge zugelassen."

In ihrem literarischen Debüt "View of Religious Opinions" schrieb sie über verschiedene Weltreligionen. Das Buch enthält drei Kapitel über eine alphabetische Übersicht der christlichen Konfessionen, kurze Darstellungen von Heidentum, Islam, Judentum und Deismus sowie eine Übersicht über andere Religionen der Welt. Es wurde mehrfach nachgedruckt und erschien in der 4. Auflage  unter dem Titel "Dictionary of Religions".

Auch mit ihren folgenden Büchern hatte sie Erfolg. Sie konnte damit ihren Lebensunterhalt bestreiten.  Und ihre Schulden begleichen. Und war in der Lage, Persönlichkeiten ihrer Zeit kennenzulernen. Mit Abbé Henri Grégoire zum Beispiel verband sie ein umfassender Briefwechsel, und er unterstützte sie bei der Vorbereitung ihres Buchs "History of the Jews" (1812). Sie hatte Schwierigkeiten mit ihren Augen, sodass sie sich einen Sekretär nehmen musste für das Sammeln von Materialien und das Lesen alter Manuskripte.

Ihre betriebenen Studien brachten ihr auch den Respekt und die Freundschaft mehrerer prominenter Intellektueller aus Boston ein, insbesondere William Smith Shaw und Joseph Stevens Buckminster. Diese Männer gründeten bald die Anthology Society, die Vorläuferin des Boston Athenæum, und wurden Adams lebenslange Verbündete und Gönner.

Hannah Adams war in ihrem Benehmen und ihren Ansichten eine zurückhaltende Frau. Sie unternahm einige kurze Reisen und erhielt von ihren Verbündeten eine Rente. Nach ihrem Tode  am 15. Dezember 1831 oder 15. November 1832 in Brookline, Massachusetts, wurde sie auf dem Mount Auburn Cemetery in Cambridge, Massachusetts, beigesetzt.

Ihre Autobiografie wurde posthum von Hannah Farnham Sawyer Lee veröffentlicht.

2.11.19

Vanessa Diffenbaugh: Weil wir Flügel haben

Lettys Kinder - Luna, 6 Jahre, und Alex, fast 15 - wurden von Beginn an von der Großmutter Maria Elena umsorgt. Doch dann folgt Maria Elena von heute auf morgen ihrem Mann nach Mexiko und Letty fährt ihr hinterher, um sie zurückzuholen. Wer sollte sich denn sonst um die Kinder kümmern, die nun ganz alleine zu Hause waren.
Aber es sollte noch schlimmer kommen. Maria Elena bleibt bei ihrem Mann. Sie sind dort schließlich zu Hause. Letty bleibt nichts anderes übrig, als die Heimfahrt alleine anzutreten. Unterwegs erleidet sie einen Autounfall, kommt in ein Krankenhaus, sodass ihre Kinder erst mal bei ihrer besten Freundin wohnen müssen. Doch dann kommt der Tag, an dem sie das Zepter in die Hand nehmen muss.
Aber wie soll sie das machen? Was heißt es, Mutter zu sein? Vierzehn Jahre lang hat sie in drei bis vier Jobs geschuftet, um die Familie zu ernähren. Und zwar nicht nur sie fünf, nein auch die Familie in Mexiko bekam ihren Anteil.
Nun muss sie Luna mit zur Arbeit nehmen, weil diese nicht dazu zu bewegen war, bei ihrem Bruder zu Hause zu bleiben. Und Alex geht schon seine eigenen Wege. In Yesenia hat er eine Freundin, mit der er reden kann und in die er sich langsam verliebt. Und er hat seinen Vater gefunden, den er bisher nicht kannte. Doch er kann sich noch nicht überwinden, sich ihm zu erkennen zu geben. Schließlich geht er davon aus, dass der die Familie verlassen hat.
Die Geschichte wird aus zweierlei Sicht erzählt. Einmal aus der von Letty, die sich wirklich bemüht, alles unter einen Hut zu bekommen. Solange Ferien waren, nahm sie Luna mit zur Arbeit, eine Bar am Flughafen. Das war problematisch, konnte sie das Mädchen doch kaum dazu bewegen, sechs Stunden still auf einem Stuhl zu sitzen. Sie arbeitet hart, um durch die Trinkgelder eine neue Wohnung auf der anderen Seite der Schnellstraße beziehen zu können. Durch einen Betrug hat sie ihre Kinder zumindest dort schon mal in einer besseren Schule angemeldet. Ihre Träume waren mal ganz andere gewesen. Sie hatte studieren wollen. Aber das Leben geht halt oft seine eigenen Wege.
Und dann aus der Sicht von Alex, der langsam erwachsen wird, sich verliebt und sich nicht traut, sich seinem Vater zu erkennen zu geben, von dem er zumindest schon mal weiß, wo dieser wohnt. Und der, genau wie Luna, in der neuen Schule glücklich ist.

Ob die drei es schaffen, sich ein besseres Leben zu erkämpfen, lest selbst...

Margaret Forster: Ich warte darauf, dass etwas geschieht

Vorab schon mal eines: Dieser Buchtitel ist für die Geschichte der Hauptfigur absolut unglücklich gewählt.

Was für ein Lesevergnügen. Über Bücher von Margaret Forster bin ich schon häufiger gestolpert - Frauen scheinen ein großes Thema bei ihr zu sein. Dies nun ist mein erstes Buch, das ich von ihr gelesen habe.

Aus dem Vorwort, geschrieben von der Autorin, erfahren wir, dass es um das Tagebuch einer Frau, Millicent King, geht. Sie hat es mit dreizehn Jahren begonnen. Heute ist sie über neunzig. Von dem Tagebuch hat Margaret Forster von Joanna King erfahren, deren Mann der Neffe der alten Frau ist. Nach einem Telefonat mit Millicent King erhält Forster ein paar Auszüge und ist hellauf begeistert. Sie besucht die alte Dame, die sich fragt, ob man mit ihrem gewöhnlichen Geschreibsel etwas anfangen kann.

In den folgenden Wochen liest die Autorin alle Bücher in einem Zug, ohne sich Notizen zu machen. Nach dem Lesen ist sie sich sicher, dass sie sie herausgeben möchte:

"Eines muß ich sagen: An dieser Frau war nichts gewöhnlich. Ich frage mich sogar inzwischen, ob es überhaupt so etwas wie ein ganz gewöhnliches Leben gibt."

Millicent beginnt ihr Tagebuch am 26. November 1914. Ihr Vater meinte zwar, sie müsse am 1. Januar beginnen, aber das sieht sie gar nicht ein. Auch meint ihr Vater, dass er nicht glaubt, dass sie es durchhalten würde, ein Tagebuch zu führen. Das traut er eher ihrer Schwester Matilda zu. Millicent weiß, dass Matilda ein Tagebuch führt - sie hat es nämlich gelesen. Was für sie gar nicht gut war, denn gut kommt sie bei der Schwester nicht weg. Weitere Geschwister von Millicent sind George, die Zwillinge Albert und Alfred und das Baby Michael.
Ein Lieblingssatz von Millicent scheint zu sein: Das ist mir egal. Sie ist sehr auf sich bezogen, aber auch ehrgeizig. Ich könnte mir vorstellen, dass sie mal eine Frau wird die weiß, was sie will und es sich auch nimmt. Ihr Selbstmitleid ist sehr ausgeprägt: Seitenlang klagt sie in ihrem Tagebuch darüber, wie sehr sie sich wegen der Schwangerschaft ihrer Mutter ausgenutzt fühlt. Glücklicherweise brauche ich das nicht alles lesen, da die Autorin zwischenzeitlich eine kleine Zusammenfassung präsentiert.

Gibt es auch einen sympahischen Zug an Millicent? Ja - sie liest sehr gerne. Schon auf den ersten Seiten sind acht Buchtitel aufgeführt. Ich notiere sie mir und werde sie als Liste am Ende anfügen.

Die Familie lebt in London, der Vater scheint etwas mit der Herstellung oder dem Verkauf von Möbeln zu tun zu haben. Die Familie scheint recht wohlhabend zu sein. Millicent hängt an ihrem Vater und sie hat Angst, dass er noch eingezogen wird. Doch erst mal zieht Bruder George in den Krieg. Matilda tritt der Voluntary Aid Detachment bei, was der Vater sehr egoistisch findet. Schließlich wird sie zu Hause gebraucht.

Gewöhnlich war an dieser Millicent oder ihrem Leben nichts. Sie will Lehrerin werden, was der Vater ihr nur zähneknirschend finanziert. Bruder George kommt kriegsgeschädigt wieder nach Hause. Mit Männern hat sie nichts am Hut. Sie möchte arbeiten und Geld verdienen. Zu Beginn des Jahres 1919 stirbt der Vater und Ernährer der Familie. Die Mutter war hilflos, glücklicherweise kam Tante J. und nahm das Heft in die Hand, sonst hätte es nicht mal eine Beerdigung gegeben.
Auf dem Sparkonto des Vaters waren nur ein paar hundert Pfund und 80 Pfund auf dem Girokonto. Das Haus der Familie ist mit Hypotheken belastet. Nach Wochen des Suchens findet Millicent endich einen Job als Verkäuferin.

20. Mai - der Krieg ist aus.

Die Mutter heiratet wieder. Das gibt Millicent die Möglichkeit, sich weiter als Lehrerin ausbilden zu lassen. Tom, mit dem sie schon eine Weile befreundet ist, schickt ihr Blumen zum Valentinstag. Doch Millicent denkt nicht an Romanzen, sie stürzt sich ins Studium und schneidet als Beste beim Examen ab. Sie wird an eine Grundschule in Surrey berufen, die lose Beziehung zu Tom scheint einzuschlafen.

Anfang September 1923 verbringt Millicent eine Woche Urlaub in Paris und wurde aus der Bahn geworfen. Wieder zurück, ist sie mit allem unzufrieden: mit der Schule, ihrer Wohnung, ihrer Stadt. Ohne anregende Kontakte kann sie sich über ihre Unabhängigkeit nicht freuen.

Der Stiefvater stirbt überraschend an einem Herzinfarkt. Millicents Befürchtung, nach Hause zurückkehren zu müssen, bewahrheitet sich nicht. Die Familie ist finanziell abgesichert.

Matthew Taylor, den sie bei Schwester Tilda kennenlernt, liegt ihr in den Ohren, in den Journalismus zu wechseln. So könnte sie für seine Zeitung arbeiten, was sie vehement ablehnt. Schließlich hat sie sich zur Lehrerin ausbilden lassen, was teuer genug war. Doch der Lehrerberuf gab ihr keine Freude mehr, obwohl sie gut darin war. So kündigte sie dann doch. Aber was für eine Enttäuschung, als sie bei Matthew beginnt. Ein runtergekommener, stinkender Raum über einem von Italienern geführten Café. Ein zweiter Stuhl muss erst herbeigeschafft werden. Millicentet arbeitet nun als Redaktionsassistentin, liest Manuskripte und kreuzt grammatikalische Fehler an und kürzt die Texte.
Einen ersten Streit gibt es zwischen den beiden, als Millicent Matthew nach dem Sinn der Zeitung fragt. Sie könne keine Arbeit machen, wenn sie nicht den Sinn darin erkennen kann. Die Auseinandersetzung und das Geständnis Matthews, dass er wünsche, Millicent würde ihn heiraten, ließ alles zerbrechen.

Durch eine Zeitungsanzeige findet Millicent einen Job als Lehrerin im Ausland. Sie soll die Tochter Francesca von Mr. Russo unterrichten und lebt nun in einer Villa in der Nähe von Rom mit einem herrlichen Blick über das weite Land.

Hier ende ich einfach mal. In diesem Stil begleiten wir Millicent durch ihr Leben, wie es hätte sein können, denn die Autorin hat für dieses Buch einen Trick angewandt, den ihr selbst entdecken solltet und der erst am Ende des Buches in einem Nachwort verraten wird.
Millicent lernt Männer kennen, die sie gerne heiraten möchten - obwohl sie selbst nichts von der Ehe hält. Sie möchte etwas Sinnvolles tun, wird Sozialarbeiterin (dieser Beruf ist gerade erst im Entstehen und nicht jede Gemeinde möchte dafür Geld ausgeben) und Sanitätsfahrerin im Zweiten Weltkrieg, in dem sie so einige Familienmitglieder verliert. Sie bekommt keine eigenen Kinder, muss aber trotzdem für Jahre die Mutterrolle übernehmen. Und wird auch in Friedenszeiten und im gesetzten Alter noch einmal politisch tätig.

Nein, ein gewöhnliches Leben war dies wirklich nicht. Einzig der Buchtitel ist unglücklich gewählt. Denn Millicent war keine Frau, die darauf gewartet hat, dass etwas geschieht. Im Gegenteil: Sie hat ihr Leben immer in die eigene Hand genommen.

Nach diesem Buch bin ich noch neugieriger auf mehr von Margaret Forster. Ich habe mir schon einige Bücher von ihr angeschafft und denke, dass die nicht lange warten brauchen, bis ich sie lese.

Apropos lesen. Millicent hat ja auch gerne gelesen. Hier mal die Bücher und Autoren, die ich in diesem Buch entdeckt habe:

H. G. Wells: Kipps
Charles Dickens: Eine Geschichte aus zwei Städten
Jane Austen: Stolz und Vorurteil
Harriet Beecher Stowe: Onkel Toms Hütte
Ethel M. Dell: The Way of an Eagle
Henry Fielding: Tom Jones
Charles Dickens: Oliver -twist
Richard D. Blackmore: Das Tal der Verfemten
Der geheime Garten
Heim zur Erde
Virginia Woolf: Mrs. Dalloway
Katherne Mansfield
Der Wind weht
Shakespeare: King Lear
A. J. Cronin: Zitadelle
Elizabeth Bowen
So grün war mein Tal
Evelyn Waugh: Wiedersehen mit Brideshead
C. P. Snow: Die Lehrer
Anthony Powell: Eine Frage der Erziehung
John Hersey: Hiroshima
Vera Brittain: Testament einer Jugend
Iris Mudoch: Unter dem Netz
Doris Lessing: Martha Quest
J. R. R. Tolkien: Herr der Ringe

1.11.19

Jon Krakauer: Classic Krakauer - Die besten Reportagen aus drei Jahrzehnten

Von Jon Krakauer kenne ich bisher nur das Buch über den Aussteiger Chris McCandless, der mit nur 24 Jahren im Eis von Alaska den Tod gefunden hat. Kann ich euch von Herzen empfehlen.

In dem neuen Buch von Krakauer erscheinen nun neun Beiträge aus den Jahren 1990 bis 2014 erstmals auf Deutsch. Und es sind wirklich interessante Artikel, die in mir den Wunsch wecken, noch mehr von Jon Krakauer zu lesen.

Um nichts vorwegzunehmen, schreibe ich nur auf, über wen Jon Krakauer in seinem Buch berichtet:

Mark Foos letzter Ritt: Wir tauchen ab in die Surferszene. Mark Foo wusste sich zu verkaufen. Er beschrieb sich selbst als "lebende Surf-Legende". Kritiker nannten ihn unter anderem eher großspurig. Am 23. Dezember 1994 stand er das letzte Mal auf einem Surfbrett.

Leben unter dem Vulkan: Jon Krakauer besteigt den Mount Rainier. Selbst wenn er nicht ausbricht, stellt dieser Vulkan für Tausende Menschen, die in seinem Schatten leben, darunter auch der Autor, eine Bedrohung dar.

Tod und Wut am Everest: Ein Lawinenunglück ist der Aufhänger, um die Helfer der Bergsteiger, die Sherpas in den Blick zu rücken.

Abstieg zum Mars: Es geht ab in die Tiefe - 300 Meter unter die Erdoberfläche, in den abgelegensten Bereich eines engen Höhlenlabyrinths namens Lechuguilla Cave. Hier soll festgestellt werden, ob es Leben auf dem Mars gibt.

Nach dem Sturz: Aufhänger ist der Tod eines Kursteilnehmers in den Exum Practice Rocks, einem Klettergarten bei den Hidden Falls. Im Artikel geht es um die Ausrüstungen der Bergsteiger, wie sicher sie sind und wie sich die Versicherungen für die Anbieter entwickelt haben.

Tore zur Arktis: Begegnung mit einem Grizzly in der Brooks Range.

Zu Tode geliebt: Für viele amerikanische Eltern sind Wildnistherapien das Allheilmittel für ihre Kinder, die sie nicht mehr unter Kontrolle haben. Dass es aber für ihre Kinder lebensgefährlich sein kann, wenn sie an ein schwarzes Schaf der Branche kommen, erzählt die äußerst traurige Geschichte über Aaron Bacon, der dieses Camp nicht überlebt hat. Das Schlimme daran: Die Verantwortlichen wurden nicht zur Verantwortung gezogen und können ihrem Geschäft weiterhin unbehelligt nachgehen.

Fred Beckey: Immer noch auf Tour: Er lebte für das Bergsteigen, besonders für Routen, die bisher noch niemand erklettert hat.

Das Leid annehmen: "Mit der Welt geht es den Bach runter. Doch das ist kein Grund, sich ins Hemd zu machen."

Eine richtig gute Zusammenstellung an Themen. Und trotz der Kürze hat sich jeder Beitrag wie ein eigenes Buch gelesen, spannend und interessant. Ich habe mir gleich noch sein Buch "In eisige Höhen" bestellt.