29.5.20

Margaret Forster: Dieses so kostbare Leben

Margaret Forster erzählt über die Beziehung zu ihrem Vater, der mittlerweile 94 Jahre alt und eine ganz eigene Type ist. Mir ist er ziemlich unsympathisch, da ihn nur seine eigene Person interessiert. Ich kann gut drüber wegsehen, dass er nicht in ein Heim möchte, dass er vieles nicht annehmen möchte, was ihm das Leben erleichtern würde.
Als seine Frau noch lebte, war das Haus oft voll von Besuch. Nach ihrem Tod hat er alle Kontakte abgebrochen. Nicht etwa aus Gram, nein, sie interessierten ihn nicht. Und nun plötzlich erwartet er, dass die Leute ihn besuchen kommen. Und wenn sich jemand erbarmt, erwartet er, dass derjenige sich jeden Tag Zeit für sich nimmt. Im Prinzip ist er nur am Rummotzen.

Margaret Forster nimmt in diesem Buch nicht nur von ihrem Vater Abschied, sondern auch von ihrer Schwägerin, die an Krebs erkrankt ist und der alle Chemotherapie nicht geholfen hat, und die nun das letzte halbe Jahr vor sich haben soll.
Sie schreibt sehr bewegend über diese zwei Leben und Sterben, lässt uns teilhaben an ihren Gedanken. Wie es ist, wenn man daran denken muss, einen Elternteil in einem Heim unterzubringen. Macht sich Gedanken über die Flasche flüssigen Morphiums am Bett der Schwägerin.

Wem es gerade nicht gut geht, sollte dieses Buch nicht lesen. Denn mehr als vom Leben handelt es vom Sterben zweier Menschen. Zwei unterschiedlichen Sterben.
Marion, die Schwägerin, klammerte sich bis zur letzten Sekunde ans Leben. Irgendwann war der Zeitpunkt überschritten, an dem sie das bereitstehende Morphium alleine nehmen konnte, auch wenn sie es gewollt hätte. Doch sie wollte nicht. Ihr Ende hat sie nicht mehr ganz bewusst erlebt.

Der Vater hingegen wollte nicht wahrhaben, dass er am Ende seines Lebens angekommen war. Er sprach immer davon, wieder zu Kräften zu kommen, und dass es ihm doch endlich wieder besser gehen müsse. Er hat seinen Verfall bewusst miterlebt und hat dagegen rebelliert.

"Offenbar sind sind wir stolz darauf zu beobachten, um wie viel wir ein Leben verlängern können, das eindeutig vorüber ist.
Das kommt einem seltsam vor. Kommt einem falsch vor." - Seite 324

Trotzdem macht das Buch auch Mut. Diese beiden Menschen mussten nicht alleine sterben. Die Familie und Freunde waren da. Es gab genug Pflegepersonal, das sich kümmerte. Man hat alles nur Mögliche getan für den letzten Weg.

23.5.20

Armin Strohmeyr - Weltensammlerinnen: Spektakuläre Reiseabenteuer mutiger Frauen



Momentan bin ich in der Verfassung, laut auszurufen: Ich möchte nur noch Bücher von reisenden Frauen lesen. Was für Abenteuer, was für ein Vergnügen, über diese Frauen zu lesen. Und wie groß wird erst das Vergnügen sein, wenn ich ihre eigenen Geschichten lese - sofern ich sie zu kaufen bekomme.
Und über all die Abenteuer, über die Armin Strohmeyr hier schreibt, setze ich das Zitat von der Reiseschriftstellerin Ella Maillart, das mir seit dem ersten Lesen nicht mehr aus dem Kopf geht.

"Wir sind frei, das zu wählen, was es wert ist, getan zu werden."

Um jetzt nicht von mir aus dritter Hand die Abenteuer zu erfahren, stelle ich euch nur die Frauen vor, die in diesem Buch enthalten sind. Vielleicht werdet ihr ja neugierig:

Annie Taylor (1838-1921) überlebte als erste Person in einem Fass die Niagarafälle.

Lina Bögli (1858-1941) war die erste Schweizer Reiseschriftstellerin und bereiste von 1892-1902 die Welt.

Maria Leitner (1892-1942) war eine investigative Journalistin, die sich Undercover bewegte und den Kapitalismus anprangerte.

Odette du Puigaudeau (1894-1991) zog es als Entdeckungsreisende durch das Land der freien Berber, Mauretanien.

Clärenore Stinnes (1901-1990) umrundete 1927 bis 1929 als erster Mensch in einem serienmäßigen Personenwagen mit Carl-Axel Söderström – einem damals bereits ausgewiesenen Kameramann, Fotograf und zeitweise als Fahrer eines Begleitfahrzeugs – die Erde.

Ella Maillart (1903-1997) war eine wahre Vagabundin des Meeres.

Martha Gellhorn (1908-1998) hatte einen Höllentrip durch Afrika. Anhand der wenigen Zitate von ihr bin ich ungeheuer neugierig auf ihre Bücher.

Dervla Murphy (geb. 1931) fuhr auf ihrem Fahrrad "Rozinante" bis nach Indien und

Lynne Cox (geb. 1957) schwamm am 7. August 1987 gegen den Kalten Krieg und durchschwamm als erste Frau den Baikalsee.

Fazit: Durchweg faszinierende, wahnsinnige, mutige und coole Frauen.

22.5.20

Ilse Korn

Bücherbasar mit Ilse Korn und Willi Meinck in Berlin beim Volksfest am 1. Mai 1954 im Pionierpark „Ernst Thälmann“ Wuhlheide

Ilse Korn wurde am 23. April 1907 in Dresden geboren. Der Vater war Steuerberater. In Leipzig erlernte sie den Beruf der Bibliothekarin und arbeitete nach der Ausbildung an der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden. Dort arbeitete sie bis zu ihrer Verhaftung im Jahr 1943.

Die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 war für sie ein so einschneidendes Erlebnis, dass sie beschloss, etwas gegen die Nazis zu unternehmen. Ihr Mann Vilmos Korn - mit ihm zusammen veröffentlichte sie das bekannte Kinderbuch "Mohr und die Raben von London" (Schullektüre) - lebte als kommunistischer Schriftsteller und Journalist illegal. Weil sie ihn nicht als Vater der am 19. Juni 1938 geborenen Tochter angeben konnte, musste sie diese zu Pflegeeltern geben.

Während des anglo-amerikanischen Bombenangriffs auf Dresden konnte sie aus dem Dresdner Frauengefängnis fliehen und sich im Erzgebirge verstecken.

Schon im Juni 1945 wurde sie von der Sowjetischen Militäradministration in der Dresdner Landesbibliothek als Leiterin eingesetzt. Sie war die geistige Urheberin des „Gesetzes über die Demokratisierung des Büchereiwesens“ und folgte dem Ruf ins Ministerium für Volksbildung der DDR. Sie übernahm die Leitung einer Sonderkommission, die damit beauftragt war, im ganzen Land Bibliotheken eigens für Kinder zu gründen. Da sie jedoch die Schriftstellerei und die Arbeit im Ministerium zeitlich nicht vereinbaren konnte, schied sie „aus persönlichen Gründen“ bereits 1952 dort aus und arbeitete fortan als freischaffende Autorin.

Bei Kinderbibliotheks-Eröffnungen trat sie mangels Büchern als Märchenerzählerin auf; Kinder wie Erwachsene waren so begeistert, dass sie immer öfter als Märchenerzählerin zu Veranstaltungen eingeladen wurde, als die sie bis zu ihrem Tod am 14. Juni 1975 bekannt und beliebt blieb.


14.5.20

Erik Neutsch

Dieter Noll (l.), Erik Neutsch (m.) und Jürgen Kuczynski (r.) 1981
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Erik Neutsch wurde am 21. Juni 1931 in Schönebeck, Kreis Calbe a./S., preußische Provinz Sachsen, geboren.
Er stammte aus einer Arbeiterfamilie. Nachdem er die Oberschule besuchte und das Abitur bestand, trat er 1949 der SED und der FDJ bei. Anfang der 50er-Jahre studierte er Gesellschaftswissenschaften und Journalistik an der Universität Leipzig. Er verließ die Uni als Diplom-Journalist und arbeitete anschließend bis 1960 in der Kultur- und Wirtschaftsredaktion der Zeitung „Die Freiheit“ in Halle/Saale.

Im Anschluss war Neutsch als Schriftsteller und Journalist tätig, trat 1960 dem Schriftstellerverband der DDR bei (von 1963 bis 1965 war er Vorsitzender des Bezirksverbandes Halle) und wurde 1963 Mitglied der SED-Bezirksleitung Halle/Saale. 1966 spielt er in dem mehrteiligen Fernsehfilm „Columbus 64“ von Ulrich Thein sich selbst. 1970/71 leistete er ein freiwilliges Jahr als Politoffizier bei der Nationalen Volksarmee.

Erik Neutsch war vielseitig. Er schrieb Romane, Erzählungen, Kinderbücher, Essays, Gedichte und Drehbücher. Sie setzten sich durchweg mit gesellschaftlichen Problemen des real existierenden Sozialismus auseinander, waren aber stets parteitreu. Sein wohl bekanntester Roman und auch der größte Erfolg war das Buch Spur der Steine, in dem sich der Arbeiter Balla auf einer Großbaustelle vom Nonkonformisten zum angepassten Mitglied der sozialistischen Gesellschaft entwickelte. Mit einer Auflage von über 500.000 Exemplaren war es eines der erfolgreichsten Bücher der DDR-Literatur; die Verfilmung durch Frank Beyer mit Manfred Krug wurde 1966 drei Tage nach der Uraufführung vom Spielplan abgesetzt und erst 1989 nach der Wende wieder aufgeführt. Auch sein Roman „Auf der Suche nach Gatt“ wurde erst fünf Jahre nach Fertigstellung 1973 veröffentlicht.
Sein erklärtes Hauptwerk war „Der Friede im Osten“, an dem er seit 1970 bis zum Lebensende schrieb. Das Schlußkapitel des 5. Bandes blieb unvollendet; den bis 1990 konzipierten 6. Band „Jahre der ruhigen Sonne“ konnte Neutsch nicht mehr verfassen.
Seit 1974 gehörte er als ordentliches Mitglied der Akademie der Künste der DDR an; seit 1990 war er Mitglied des Verbandes deutscher Schriftsteller.
1994 erschien sein erster Roman nach der Wende: „Totschlag“. Darin geht es um die Folgen von ungelösten Eigentumsproblemen nach der Wiedervereinigung.

Neutsch war zweimal verheiratet und lebte zuletzt in Halle-Dölau. Aus seiner ersten Ehe mit Helga Neutsch, geb. Franke, (verstorben 1996) hat er zwei Töchter: Marita Neutsch, geb. 1954 (Autorin von „Auf der Spur meiner Träume“) und Corinna Schmidt, geb. Neutsch, geb. 1962 (Autorin von „Lea wünscht sich einen Hund“).
Marita Neutsch pflegt zur Erinnerung an ihren Vater einen Blog: http://erik-neutsch.de/

Erik Neutsch starb am 20. August 2013 in Halle (Saale), Sachsen-Anhalt.

Fünfzehn IMs behielten ihn im Auge, seine Stasi-Akte ist 500 Seiten stark. Es machte ihm bis zuletzt zu schaffen, dass er sich Mitte der 70er-Jahre an den Kampagnen gegen Stefan Heym, Wolf Biermann und Rainer Kunze beteiligte.
Im 4. Teil von „Der Friede im Osten“ schloss er sich der DDR-Lüge an, dass die Nationale Volksarmee 1968 nicht am Einmarsch des Warschauer Pakts in der ČSSR beteiligt war – dafür schrieb er zumindest an Vaclav Havel noch einen Entschuldigungsbrief.

Zitat
„Ich für meinen Teil zog mir oft den Unmut gewisser Funktionäre zu, wenn ich meinte, statt des realen sollte man wieder mal den idealen Sozialismus auf die Fahnen schreiben, dessentwegen ich in die Partei eintrat.“


Marita Neutsch hinterließ auf dem vorigen Blog einen Kommentar, den ich hier anhänge:

Wer sich für die Bücher von meinem Vater interessiert, sollte vielleicht auch mein zweites Büchlein „Erik Neutsch – Der Wahrheit ein Stück näher“ lesen. Und wer es gelesen hat, kann gern mir schreiben und Fragen stellen.

Übrigens, meine Vater hat meine Mutter 2 X geheiratet, und war mit ihr insgesamt fast 50 Jahre fest zusammen!

Mit den besten Grüßen
Marita Neutsch

13.5.20

Gisela Steineckert

Gisela Steineckert wurde am 13. Mai 1931 in Berlin als Tochter eines Dienstmädchens und eines Schneiders geboren. Sie wurde während des Zweiten Weltkriegs nach Österreich evakuiert; hier besuchte sie eine Volksschule und lebte das erste Mal ohne Angst vor Hunger und Schlägen. Sie kehrte 1946 nach Berlin zurück und arbeitete in Kindergärten als Sozialhelferin; es folgten eine kaufmännische Lehre und die Tätigkeit als Sprechstundenhilfe. Sie las und informierte sich über Naziverbrechen, wodurch sich eine antifaschistische Haltung bildete.

Gisela Steineckert bildete sich literarisch und kulturell autodidaktisch weiter. Die Eltern und Geschwister siedelten 1953 in die BRD über. Seit 1957 war sie zumeist freischaffend tätig. In den 1960er Jahren war sie Kulturredakteurin beim Satire-Magazin Eulenspiegel, war Mitglied des Bezirksvorstandes Berlin des Schriftstellerverbandes der DDR und begann mit der Arbeit in der Singebewegung. Von 1984 bis 1990 war sie Präsidentin des Komitees für Unterhaltungskunst in der DDR. Sie war Gremienmitglied des Zentralen Lektorats beim Staatlichen Komitee für Rundfunk der DDR und hatte so Zensur-Einfluss auf Pop- und Rocktexte und stellte sich u. a. gegen Titel der Gruppe Pankow.
1987 erschien das Lied "Als ich fortging" der Band Karussell, dessen Text von ihr stammt. Seit 1990 ist sie ehrenamtliche Vorsitzende des Demokratischen Frauenbundes e.V.

Gisela Steineckert lebt in Berlin; ist in dritter Ehe mit Wilhelm Penndorf, einem ehemaligen Rundfunk-Chefredakteur für Musik, verheiratet. Die Schriftstellerin Kirsten Steineckert ist ihre Tochter aus erster Ehe. In zweiter Ehe war sie mit Heinz Kahlau verheiratet.

Sie schrieb Bücher (Lyrik, Kurzprosa, Briefe) und verfasste viele Liedtexte (Schlager, Chansons, Kinderlieder, Rockmusik) für unterschiedliche Interpreten und arbeitete an Filmen der DEFA mit.

Gisela Steineckert ist eine aktive Unterstützerin und Beiträgerin der linken Tageszeitung Junge Welt, an deren „Künstlerkonferenz“ im Juni 2019 sie mit Volker Lösch, Konstantin Wecker, Chris Jarrett, Black Heino u. a. teilnahm, und gehört zu den ständigen Autoren der linken Zeitschrift RotFuchs.

2.5.20

Lâle Müldür

© Dincer Gücyeter, Verleger des ELIF VERLAG

Lâle Müldür, geboren am 21. Februar 1956 in Aydin, zählt zu den einflussreichsten türkischen Dichterinnen* und Schriftstellerinnen* der letzten Jahrzehnte. Was sie von ihren Kolleginnen* unterscheidet, ist ihr exzentrischer Stil.

Lâle Müldür besuchte das Robert College und ging dann nach Florenz , wo sie mit einem Poesiestipendium studierte. Wieder zurück in der Türkei, studierte sie an der Orta Doğu Teknik Üniversitesi in Ankara jeweils ein Jahr Elektronik und Wirtschaft, ging zwei Jahre später nach Großbritannien und bekam dort ihren Bachelor of Science in Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Manchester und ihren Master of Science in Soziologie der Literatur an der Essex University.

Von 1983 bis 1987 lebte sie mit ihrem Mann Patrick Claeys in Brüssel. Sie arbeitete eine Weile als Kolumnist für die Zeitung Radikal.

2002 erlitt Müldür eine Gehirnblutung , erholte sich jedoch bald wieder.

Einige ihrer Gedichte wurden vertont, das berühmteste ist "Destina" von Yeni Türkü.
Müldür fand auch international Anerkennung. Sie wurde ins Englische und Französische übersetzt.

Die Übersetzerin Özlem Özgül Dündar brachte eine breite Auswahl ins Deutsche und der ELIF VERLAG um Dincer Gücyeter hat es sich verdient gemacht, dass diese dem deutschen Publikum vorgestellt werden konnten. Wie er das geschafft hat, berichtet er ganz kurz auf Facebook.