24.7.21

Gegen das Vergessen - Zum Tode von Esther Bejarano

Niemand kann aus der Geschichte seines Volkes austreten. Man soll und darf die Vergangenheit nicht auf sich beruhen lassen, weil sie sonst auferstehen und zu neuer Gegenwärtigkeit werden könnte.

Jean Amery, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und ein Opfer des Nationalsozialismus


Am 10. Juli 2021 starb eine weitere große Stimme "Gegen das Vergessen": Esther Bejarano - deutsche jüdische Überlebende des KZ Auschwitz-Birkenau. Bis zu ihrem Tod war sie im Internationalen Auschwitz-Komitee aktiv. Zum ersten Mal begegnete ich ihr in Reiner Engelmanns Buch "Wir haben das KZ überlebt - Zeitzeugen berichten", in dem sie sich neben anderen Überlebenden an diese unsägliche Zeit erinnert.

Das zweite Mal sah ich sie dann in einem Konzert mit der Rapgruppe Microphone Mafia aus Köln. Leider nicht live, sondern nur in einem Video. Mit 89 Jahren stand sie dort auf der Bühne - 170 Konzerte in nur drei Jahren - meine Hochachtung.


Nun ist diese Stimme verstummt - an uns liegt es nun, regelmäßig an sie, ihr Leben und ihren Kampf zu erinnern. Zum Beispiel mit ihren persönlichen Erinnerungen "Esther Bejarano, Erinnerungen".

Von Reiner Engelmann habe ich hier schon einige Bücher vorgestellt, wie zum Beispiel Der Fotograf von Auschwitz, in dem wir Wilhelm Brasse kennenlernen, durch den wir wiederum von Czesława Kwoka erfahren, die das KZ Auschwitz nicht überlebt hat.

Reiner Engelmann wurde 1952 in Völkenroth geboren, war im Schuldienst tätig, wo er sich besonders in den Bereichen der Leseförderung, der Gewaltprävention und der Kinder- und Menschenrechtsbildung starkmachte. Er organisiert für Schulklassen und Erwachsene regelmäßig Studienfahrten nach Auschwitz.

Weitere Bücher sind unter anderem: "Alodia, du bist jetzt Alice!" oder "Der Buchhalter von Auschwitz".

Einem weiteren Kämpfer gegen das Vergessen bin ich auf Facebook begegnet: Luigi Toscano mit seinen ausdrucksstarken überlebensgroßen Porträts von Holocaustüberlebenden. Ich glaube, als ich ihn das erste Mal auf Facebook sah, nahm sein Projekt gerade Fahrt auf. Und was ist in den Jahren daraus geworden. Luigi Toscano ist ein deutsch-italienischer Fotograf und Filmemacher aus Mannheim. In viele Länder ist er gereist, um sie zu fotografieren. Und aus vielen Ländern wurde er eingeladen, seine Ausstellung dieser Porträts vorzustellen. 2015 erschien der Bildband "Gegen das Vergessen". Sein Dokumentarfilm "GEGEN DAS VERGESSEN" wurde für den Deutschen Menschenrechts-Filmpreis 2020 nominiert.

Im Gespräch mit Luigi Toscano - Gegen das Vergessen --- Wie alles begann


Eine Bücherliste zum Thema, die ich nach und nach erweitere, findet ihr auf meiner Literaturplattform:

21.7.21

Danuta Bieńkowska

 


Nur eines ihrer vielen Werke (Prosa, Sachbücher, Jugendbücher) wurde ins Deutsche übersetzt: "Wenn du mich liebtest", übersetzt von Christa und Johannes Jankowiak, 1981 im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar in der Reihe Edition Neue Texte erschienen.

Danuta Bieńkowska (31. Januar 1920 - 20. August 1992) war nicht nur eine fleißige Schriftstellerin, sie hat auch viele Werke aus dem Rumänischen übersetzt.

Und noch eine interessante Sache am Rande: Die polnische Wikipedia hat wesentlich weniger Informationen als die deutsche.

Danuta Bieńkowska machte 1937 in Posen ihr Abitur und studierte an der dortigen Universität Medizin. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs kam sie nach Rumänien und konnte in Bukarest ihr Studium fortsetzen. 1943 wurde sie Mitglied der Rumänischen Kommunistischen Partei und leitete nach Abschluss des Studiums für einige Zeit ein Krankenhaus im heutigen Moldawien. 

Im Juli 1945 - wieder zurück in Polen - war sie in Breslau als Ärztin tätig, engagierte sich politisch und trat verschiedenen Vereinen bei. Von 1949 bis 1951 arbeitete sie als medizinische Beraterin in der Anstalt für Arbeitersiedlungen (Zakład Osiedli Robotniczych) in Warschau.

1948 debütierte Danuta Bieńkowska in der Zeitung Trybuna Dolnośląska mit ihrer Erzählung "Zdrada". Sie trat im selben Jahr dem  Verband der Polnischen Literaten bei. Sie konzentrierte sich dann aufgrund einer Erkrankung auf ihr literarisches Schaffen; leitete in der Wochenzeitung Żołnierz Polski den Literaturteil und arbeitete von 1965 bis 1974 als Literaturkritikerin in Głos Pracy.

Ihre Werke wurden anscheinend hauptsächlich in polnischen Monatszeitschriften veröffentlicht.



Danuta Bienkowska: Wenn du mich liebtest

Inhalt
Große Erwartungen knüpft Jadwiga an ihre erste Arbeitsstelle auf dem Lande, nachdem sie das unterkühlte intellektuelle Elternhaus in Warschau verlassen hat, um sich aus eigener Kraft ein sinnerfülltes Leben aufzubauen. Mit wachen Augen beobachtet sie die Menschen in ihrem täglichen Tun, verfolgt sie voll innerer Spannung die neue Umgebung, die sich nur allmählich erschließt. Gewiß, in dieser ihr zunächst fremden dörflichen Welt einen festen Platz zu finden, setzt sie ihr ganzes fachliches Können für die Bewältigung der Aufgaben auf dem Staatsgut ein, was ihr mit der Zeit die Sympathien der Mitarbeiter einbringt. Dennoch spürt sie, daß ihr, einer unverheirateten Frau in verantwortlicher Position, die volle Anerkennung versagt bleibt.
Innerlich zutiefst verletzt, überprüft sie noch einmal ihre Haltung, vergleicht sie ihre Vorstellungen von Arbeit und persönlichem Glück mit dem Los der Frauen im Dorfe. Sie weiß, daß sie die überkommenen Denkweisen nicht akzeptieren kann. Wird sie aber den Mut haben, gegen die noch bestehenden Barrieren anzugehen? Oder wird auch sie, enttäuscht und resigniert, in eine wenig befriedigende Partnerschaft flüchten?

Buchbeginn
"Wenn wir heiraten, wirst du endlich anfangen, wie ein Mensch zu leben", sagte Zygmunt mit solcher Überzeugung, daß mir der Mut fehlte, ihm zu widersprechen...

Zitat
Nur daß ich mich nicht zur Hüterin des häuslichen Herdes eignete.
Ich erwähne das bloß deshalb, weil ich damals erst begriff, welch ein hartes Leben mich erwartete, wie schwer es mir fallen würde, mich ganz der Berufsarbeit hinzugeben, ohne Rückhalt in einem gut geordneten Zuhause zu haben, wo ständig jemand darauf bedacht war, mir zu helfen, mich mit Fürsorge zu umgeben.

17.7.21

Henry Beston - Das Haus am Rand der Welt


 Henry Beston ist Jahrgang 1888, er war Schriftsteller und Naturforscher. Er studierte, war Unilehrer und während des Ersten Weltkriegs diente er als Krankenwagenfahrer. 1918 wurde er Pressevertreter der US Navy und war zu der Zeit der erste amerikanische Kriegskorrespondent. Nach dem Krieg schrieb er Märchen, heiratete Elizabeth Coatsworth, die auch Kinderliteratur schrieb, und bekam zwei Töchter.

Henry Beston war von den Erlebnissen während des Krieges so erschüttert, dass er sich zurückziehen wollte. Er verbrachte ein Jahr in der Natur von Cape Cod, am Außenstrand von Eastham: "Die Natur ist Teil unserer Menschlichkeit, und ohne ein Bewusstsein für dieses göttliche Geheimnis hört der Mensch auf, Mensch zu sein", schrieb er.

Beston gilt als einer der Väter der modernen Umweltbewegung und war Motor für die Gründung der Cape Cod National Seashore.

1928 erschien dieses Buch, in dem er über dieses Jahr schrieb. Das Haus, in dem Beston während dieses Jahres lebte und von ihm "das Fo'castle" genannt wurde, wurde im späten Frühjahr 1925 vom Eastham-Zimmermann Harvey Moore gebaut.

Ich mag ja maritime Geschichten, und der Autor hat mich schon mit seinem ersten Satz gehabt, wie man so schön sagt:

Östlich der Küste Nordamerikas und ihr vorgelagert, etwa dreißig Meilen und mehr vom Gestade Massachusetts entfernt, erhebt sich aus dem offenen Atlantik der verbliebene Rest eines alten und untergegangenen Landes.

Und so folgt Seite für Seite, aus denen ich Zitate rausschreiben könnte. Wie zum Beispiel die Passage, in der er über die Geräusche des Meeres, der Brandung erzählt und ich kann mich einfach nicht satt lesen. Er selbst schreibt, dass er zu seiner Zeit noch nie etwas darüber gelesen hat. Ich habe es bis heute nicht und habe es wie gebannt gelesen.

So ganz einsam war er nicht. In der Nähe waren Leute vom Küstenschutz und er hatte viel zu beobachten. Er erzählt auch von Schiffsunglücken, bei den man damals noch nicht helfen konnte, wie es heute der Fall ist. Oftmals blieb den Menschen am Strand nichts weiter übrig, als zuzuschauen und später das angeschwemmte Holz zu sammeln.

Als sein Jahr zu Ende geht, kommt noch ein kleiner Bericht über die Vogelwelt, der sich wunderbar liest.

Zum Schluss noch ein Zitat, das wir uns alle ans Revers heften sollten:

Wer die Natur gering schätzt, schätzt auch den Menschen gering.

15.7.21

Enchi Fumiko

 Die japanische Schriftstellerin Enchi Fumiko (2.10.1905-12.11.1986) lernte von Privatlehrern Französisch, Englisch und klassisches Chinesisch. Schon während der Schule las sie Oscar Wilde und Edgar Allan Poe. Sie besuchte die Frauenuniversität Ochanomizu und Vorlesungen von Osanai Kaoru über das Theater. Ihren literarischen Durchbruch schaffte sie mit dem Roman Himojii Tsukihi, für den sie 1953 den Preis der Gesellschaft der Schriftstellerinnen erhielt.

Leseprobe aus "Ahorn im Winter", abgedruckt in "Erkundungen - 19 japanische Erzähler" (Verlag Volk und Welt Berlin, 1989):

"Verliebt bin ich...", flüsterte Yoko vor sich hin, während sie im Spiegel ihr Gesicht betrachtete. Die Linien, die von den Wangen zu den Mundwinkeln führten, verzogen sich zu unbestimmten Wellenbergen und -tälern. Bedeuteten sie nun unterdrückten Schmerz oder zurückgedrängte Freude? Jedenfalls glaubte Yoko in dieser unnatürlichen Miene, von der sie sich selbst abgestoßen fühlte, den Kampf zu erkennen, den die zu ihrem Alter wenig passende, plötzlich aufgeflammte, sie bestürmende Lebensenergie gegen eine sich dagegenstemmende Kraft ausfocht. Im Augenblick aber, in dem ihr das klar wurde, regte sich in ihr auch schon der Instinkt der Schauspielerin, und prüfend blickte sie regungslos in den Spiegel, während ihre Fingerspitzen, die in Kreisen über die Wangen strichen, herauszufinden suchten, wie der Mechanismus, der hinter dieser unbestimmten Verzerrung steckte, die Muskeln in Bewegung setzte...

Eine deutsche Ausgabe des Buches habe ich leider nicht gefunden.

Bild: Enchi Fumiko, links, 1960


13.7.21

Ada Leverson

 


Ada Leverson (10.10.1862-30.08.1933) war eine englische Schriftstellerin und Freundin von Oscar Wilde. Durch ihre Mutter wurde sie musikalisch gefördert, spielte Klavier und komponierte kleinere Stücke. Doch ihr Interesse galt der Literatur. Die Ehe mit dem wesentlich älteren Ernest Leverson ging in die Brüche, eine kurze Liaison verband sie mit George Moore. Sie leitete einen Salon, in dem sie namhafte SchriftstellerInnen und andere KünstlerInnen empfing. 

Ihr anscheinend einziges auf deutsch erschienenes Werk "Liebe auf den zweiten Blick" erschien 1916 und wurde 1998 in 1. Auflage vom Insel-Verlag herausgegeben.


"Liebe auf den zweiten Blick ist die Geschichte einer in Konventionen erstarrten Ehe. Ort der Handlung: London zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Ein unerwarteter weiblicher Dauergast und das überraschende Lebenszeichen eines früheren Liebhabers bringen endlich Bewegung in das Leben von Bruce und Edith Ottley."


Insel Taschenbuch 2192

12.7.21

Maria Nurowska

Porträt von Maria Nurowska Autor Zbigniew Kresowaty

 Die polnische Schriftstellerin Maria Nurowska wurde am 3. März 1944 in Okólek (damals Landkreis Sudauen in Ostpreußen, vorher und danach Suwałki in Polen) geboren. Sie studierte Polonistik und Slawistik an der Universität Warschau, arbeitete unter anderem als Stewardess und Modell. 

Ihr erstes Werk veröffentlichte sie 1974 in der Zeitschrift Literatura. 1977 trat sie dem polnischen Schriftstellerverband bei. Seit Ende der 1980er Jahre gehört sie zu den meistgelesenen Schriftstellerinnen Polens. Doch nicht nur in Polen, sondern auch im Ausland, vor allem im deutschsprachigen, fand sie ihre Leserschaft. Von ihren bisher 17 erschienenen Romanen (Stand 2008) wurden zwölf ins Deutsche übersetzt. Ihre Werke gehören zur sogenannten Frauenliteratur. Sie schreibt über die Psyche der Frau, vor allem in extremen, oft pathologischen Lebenssituationen. Die Handlungen werden getragen von Gefühlshaltungen im Spannungsgefüge der Liebe und Erniedrigung, Verantwortung und Ausgrenzung. Die Begebenheiten sind eingebettet in historischen und politischen Ereignissen der jüngsten polnischen Geschichte, zum Beispiel des Warschauer Aufstandes, der Lebensanomalien in der Volksrepublik, in Zeiten des Kriegszustandes (1981) und des latenten polnischen Antisemitismus. 

In ihrem Roman Briefe der Liebe nahm sie das Leben der Holocaustüberlebenden Krystyna Żywulska auf. 


Ich habe von ihr das Jugendbuch Das Mädchen im Elfenbeinturm, 1985 erschienen im Aufbau-Verlag, gelesen: 

Es ist nicht leicht für Anka. Ihr Leben wird von ihrer Herzkrankheit bestimmt. Bei ihr läuft alles langsamer ab. Strengt sie sich an oder regt sie sich auf, wird das in der Regel sofort mit einem Anfall bestraft. Es gäbe eine Möglichkeit, dem ein Ende zu machen; eine Herz-Operation soll ihr helfen. Aber die Eltern sind noch dagegen. Besonders ihre Mutter ist übervorsichtig mit ihr. Hat ihr eigenes Selbst aufgegeben.

Als Anka Marek kennenlernt und sie Freunde werden, klappt das ganz gut, solange Marek nichts von ihrer Krankheit weiß. Doch eines Tages kommt er dazu, nachdem sie einen Anfall hatte und sich ein alter Mann um sie kümmerte. Seitdem sehnt Anka die Operation herbei. Als ihre Mutter für einige Zeit ins Ausland verreist, ist das ihre Chance. Gemeinsam mit Marek tüftelt sie einen Plan aus… 

Ich habe keine Erinnerung mehr daran, ob mich das Buch damals als Jugendliche vom Hocker gerissen hat. Heute tat es das nicht. Allerdings waren die Tochter-Vater-Gespräche sehr spannend. 

Weitere Bücher finden sich auf meiner Literaturplattform yourbook,shop.


1.6.21

Claire Etcherelli

 


Eigentlich müsste ich offline gehen und nur lesen, lesen, lesen. Aber dann würdet ihr Autorinnen wie diese verpassen: Claire Etcherelli, die es nicht in die deutsche Wikipedia geschafft hat. Und deren Buch Elise oder das wahre Leben - wohl das einzige auf Deutsch erschienene - mit mehreren Auflagen in der DDR erschien. Jeweils eine habe ich bei Classen und dtb entdeckt.

Die französische Schriftstellerin wurde am 11. Januar 1934 in Bordeaux in ärmlichen Verhältnissen geboren. Der Vater wurde im Zweiten Weltkriegs von den Deutschen verhaftet und 1942 deportiert. Sie lebte beim Großvater im Baskenland und war neun Jahre jung, als ihr Vater hingerichtet wurde. Von der Mutter habe ich keine Informationen gefunden.

Die Regierung finanzierte ihre Ausbildung  in einem schicken katholischen Internat in Bordeaux. Doch wegen der Klassenunterschiede fühlte sie sich hier nicht wohl und weigerte sich, ihr Abitur zu machen. Sie brach die Schule ab und heiratete mit 18 Jahren. Diese und auch eine zweite Ehe hielten jedoch nicht.

Claire Etcherelli, Mutter von zwei Söhnen, arbeitete in den verschiedensten Betrieben, unter anderen in einem Automobilmontagewerk, einem Kugellagerhersteller und nach einem Klinikaufenthalt in einem Tourismusbüro, da sie keine schweren Arbeiten mehr machen konnte. 1975 dann begann ihre schreibende Tätigkeit als Redaktionssekretärin für die Zeitschrift Les Temps. 

Elise oder das wahre Leben (1967) war ihr Debütroman. Fünf Verlage hatten ihn ausgeschlagen, bevor  Éditions Denoël ihn veröffentlichte und für den sie dann den Prix ​​Femina erhielt. 1970 wurde er auch noch von Michel Drach verfilmt. Im November 1967 erschien eine erste positive Rezension von Claude Lanzmann in Elle, gefolgt von einer zweiten von Simone de Beauvoir in Le Nouvel Observateur.

Die Literaturkritikerin Liz Heron sagte über den Roman: Etcherellis Roman ist bedeutsam, weil er die Spannungen und Widersprüche beschreibt, die das Pariser Leben für Elise, Etcherellis Heldin, Wirklichkeit werden lassen.

In all ihren Büchern erzählt Claire Etcherelli von Frauen aus der Arbeiterklasse und wie sie in den Städten ihr Leben meistern:

In A Propos de Clémence (Über Clémence) (1971) geht es um die Schwierigkeit, sich selbst zu kennen und die Unmöglichkeit, eine andere Person zu kennen

In Un Arbre voyageur (Ein reisender Baum) (1978) versuchen zwei Frauen, eine unkonventionelle Familie zu gründen, die keinen Patriarchen hat. Diesen Roman zu schreiben bereitete der Autorin das größte Vergnügen. In der Encyclopedia of Continental Women Writers, Volume 1 steht in einer Rezension zu lesen, dass es uns einen schönen, durchdringenden Bericht über das Leben gewöhnlicher, wenn auch klug intelligenter und unauffällig sensibler Frauen der späten sechziger und frühen siebziger Jahre Frankreichs bietet

1982 gab Claire Etcherelli noch eine Zusammenstellung poetischer Texte mit dem Titel Delirante (Delirious Woman) raus.


31.5.21

Rick Gekoski

 


Der am 25. August 1944 in St. Louis geborene Richard Abraham ("Rick") Gekoski ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Rundfunksprecher, Verleger und Händler von seltenen Büchern. 1954 zog die Familie - Vater Bernard, Rechtsanwalt, Mutter Edith, Sozialarbeiterin - nach Huntington, wo Rick Gekoski bis 1962 die High School besuchte und an der University of Pennsylvania 1966 seinen Bachelor machte. Dann ging er nach England, um in Englischer Literatur an der University of Oxford zu promovieren. 1965 wurde er zum Phi Beta Kappa gewählt.

Ab Mitte der 1980er Jahre begann er, mit seltenen Büchern zu handeln. Er kaufte und verkaufte Erstausgaben, Manuskripte, Archivalien und Kunstwerke mit Bezug zur Literatur. The Guardian brachte die Buchverkaufsaktivitäten von Gekoski auf den Punkt: „Gekoski liebt es, eine bessere Klasse von Büchern zu haben als der Rest von uns und hat es durch Geschick, Glück und Chuzpe geschafft.“ Er gilt weltweit als einer der führenden Händler. Über seine Aktivitäten kann man auf der Homepage nachlesen.

Selbst schrieb er über Lieblingsthemen wie Fußball, seltene Bücher und das Lesen an sich. Wie z. B. Eine Nacht mit Lolita - Begegnungen mit Menschen und Büchern - das einzige Buch von ihm, das ins Deutsche übersetzt wurde. Hier berichtet Gekoski anhand von 15 Beispielen, wie der Handel mit seltenen Büchern vonstatten gehen kann. Und das ist äußerst interessant. Weil es halt nicht nur bedeutet, dass man ein Buch erwirbt und versucht, es teurer zu verkaufen. Das wurde auch bei H. P. Kraus ganz toll beschrieben. Colm Tóibin bezeichnete ihn als „ein hervorragendes Beispiel für einen natürlichen und geschickten Geschichtenerzähler“ und das britische Magazin Tatler beschrieb ihn als den Bill Bryson der Buchwelt.

Rick Gekoski gründete auch zwei Privatdruckereien: The Sixth Chamber Press und zusammen mit T. G. Rosenthal The Bridgewater Press. Diese brachten limitierte Auflagen bekannter Schriftsteller heraus. Er moderierte für BBC Radio 4 als Gast-Kommentator eine Reihe zum Thema Buchhandel und seltene Bücher mit dem Titel Rare Books. Rare People und war 2005 Jurymitglied beim Booker Prize.

Rick Gekoski ist verheiratet mit Belinda Kitchin und Vater einer Tochter und eines Sohnes.


Eine Nacht mit Lolita - Die ersten Sätze

Zuerst sah ich sie bei einem Freund - es war Liebe auf den ersten Blick. Damals, 1969, war ich vierundzwanzig Jahre alt und brütete über meiner Doktorarbeit in Englischer Literatur. Es war eine aufregende Zeit, und ich fühlte mich auf doppelter Weise sehr empfänglich: für das Leben in Oxford und für die berauschende Atmosphäre der späten Sechziger. Doch der Augenblick meiner Verwandlung hatte nichts Psychedelisches an sich, er war ziemlich prosaisch. Im Bücherregal meines Freundes stand, wie ich bemerkte, inmitten der üblichen kunterbunten Mischung aus Lehrbüchern und abgegriffenen Taschenbüchern eine zwanzigbändige Ausgabe von Charles Dickens' Werken, gebunden in braunem Leinen.

30.5.21

Christianna Brand

 Die brit. Schriftstellerin Christianna Brand wurde am 17. Dezember 1907 in Britisch-Malaysia geboren (geborene Mary Christianna Milne, seit ihrer Heirat Mary Christianna Milne Lewis). Internationale Bekanntheit erlangte sie vor allem durch ihre Kriminalromane. Sie veröffentlichte auch unter den Pseudonymen Mary Ann Ashe, Annabel Jones, Mary Roland und China Thomson.



Katz und Maus

Katinka Jones, Briefkastentante bei einer Frauenzeitschrift, erhält seltsame Briefe einer gewissen ›Amista‹. Bei einem Besuch in Südwales stellt sie fest, daß es diese ›Amista‹ gar nicht gibt.

Hat sie nie existiert – oder ist sie verschwunden?

Vielleicht kann Carlyon, ihr angeblicher Vormund, diese Frage beantworten ...

Marie Sophie von La Roche


 Marie Sophie von La Roche geb. Gutermann von Gutershofen wurde am 6. Dezember 1730 in Kaufbeuren geboren. Sie war eine deutsche Schriftstellerin und Salonnière, die in der Zeit der Aufklärung im Stil der Empfindsamkeit schrieb. Sie gilt als erste finanziell unabhängige Berufsschriftstellerin in Deutschland. La Roche war Herausgeberin und Autorin der ersten deutschen Frauenzeitschrift Pomona.



Sophie von La Roche entwirft in ihrer Geschichte des Fräuleins von Sternheim, zuerst 1771 erschienen, die utopische Vision einer Frau, die die Werte und Bezugssysteme der höfisch-männlichen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts durch eine ländlich-weibliche Gesellschaft ersetzt, die auf der Grundlage "übender Tugend" gedacht ist. Der Roman endet mit einer weiblichen Utopie.



Dea Trier Morch

geb. 9. Dezember 1941 in Kopenhagen
gest. 26. Mai 2001

Ich habe im Netz zwar einige deutsche Titel der dänischen Künstlerin und Schriftstellerin Dea Trier Morch gefunden, doch sie selbst scheint bei uns nicht so bekannt zu sein.

Sie studierte an der Königlich Dänischen Akademie der Schönen Künste Malerei. Ihr erstes Buch, Sorgmunter socialisme. Sovjetiske raderinger, erschienen 1968, ist mit eigenen Radierungen illustriert und berichtet von ihren Reisen in die Sowjetunion. Sie war Mitglied in der Dänischen Kommunistischen Partei und hat das 1969 das sozial orientierte Kulturkollektiv "Rote Mutter" mitbegründet. 

Das auch ins Deutsche übersetzte Vinterbørn (Winterkinder) basiert auf persönlicher Erfahrung, wurde in 22 Sprachen übersetzt und gipfelte 1979 in Astrid Henning-Jensens preisgekrönter Verfilmung. Auch in anderen Werke geht es um Familie und Sozialismus. Veröffentlicht wurden auch noch Reisebücher.


 Winterkinder

„Ein Kind zur Welt zu bringen, das ist wie eine Reise in ein fremdes Land. Das war es, was ich fühlte, als ich meine drei Kinder im Abstand von wenigen Jahren bekam. Aber es ist ein Land, das sich von allen anderen unterscheidet, weil man nie dorthin zurückkehren kann. Da ich befürchtete, daß dieses Land für immer verschwinden könnte, schrieb und illustrierte ich meinen Roman ,Winterkinder‘.“

Dea Trier Morch stellt in ihrem Buch eine Gruppe von Frauen vor, die sich um die Jahreswende 1974/75 in der Spezialabteilung einer Kopenhagener Geburtsklinik befinden. Die Empfindungen der Mütter während dieser Zeit und der Vorgang der Geburt werden ebenso geschildert wie das Leben der Frauen außerhalb der abgeschirmten Welt der Klinik, das von ihrem unterschiedlichen sozialen Status geprägt ist.

Die Autorin erhielt für „Winterkinder“, die in Dänemark in kurzer Zeit zum Bestseller wurden, den Goldenen Lorbeer des Buchhändlerklubs. Das Buch wurde verfilmt und in verschiedenen Sprachen übertragen.

VEB Hinstorff Verlag Rostock, 1979
Mit 15 Linolschnitten der Autorin

29.5.21

Margarete Neumann

Margarete Neumann (19.2.1917-4.3.2002) war nach dem Krieg Neubäuerin in Mecklenburg und Leichtmetallschweißerin in Halle (Saale); sie arbeitete als Hilfsarbeiterin im Neubrandenburger Ölheizgerätewerk und als Schichtarbeiterin in der Abteilung Gase des Petrolchemischen Kombinates Schwedt. Seit 1952 lebte sie als freie Schriftstellerin. Margarete Neumann galt als parteinahe Schriftstellerin und Vertreterin des sozialistischen Realismus in der DDR.


Lene Bastians Geschichte
Novellen, 1956

Diesmal ist es ein Sammelband mit zehn Novellen und Skizzen, den uns Margarete Neumann vorlegt, zehn kleine Kostbarkeiten, die man gern gelesen hat und bei deren Lektüre man ungern gestört sein wollte. Der Band bestätigt erneut ihr Talent und den guten Ruf, den sie als Erzählerin genießt. Dabei geht es hier nicht um große ökonomische Umwälzungen. Es sind Kleinigkeiten, die sie darstellt, alltägliche Begebenheiten, an denen wir gewöhnlich achtlos vorübergehen. Margarete Neumann macht sie uns wichtig.

Oft bedauert man, daß die Geschichte schon zu Ende ist. Man wünscht mehr zu wissen über den jungen Mann und das Fräulein im S-Bahn-Abteil oder den Mann, der sieben Lieder dichtete, weil er sieben Geliebte hatte.

Wie geht es weiter? Aber gerade weil es nicht „weitergeht“, weil Margarete Neumann nur andeutet, nichts breit ausführt, sind die Geschichten so reizvoll.

Aufbau-Verlag Berlin 1956

15.5.21

Marian Engel

geb. 24. Mai 1933 in Toronto, Ontario
gest. 16. Februar 1985 in Toronto, Ontario

Ihre ersten Lebensjahre verbrachte Marian Ruth Engel, geb. Passmore, in Pflegefamilien, bis sie dann von Frederick Searle und Mary Elizabeth (Fletcher) Passmore adoptiert wurde. Die Familie zog oft um, sodass sie ihre Kindheit in Port Arthur, Brantford, Galt, Hamilton und Sarnia im Südwesten von Ontario verbrachte. Sie studierte an der McMaster University in Hamilton, Ontario, und an der McGill-Universität in Montreal und unterrichtete nach dem Studium an der McGill-Universität und der University of Montana. Ihr Mentor an der McGill war der Autor Hugh MacLennan, mit dem sie bis zu ihrem Tod korrespondierte. Mit einem Stipendium studierte sie an der Université d'Aix-Marseille in Aix-en Provence, Frankreich, ein Jahr französische Literatur und arbeitete im Anschluss in England als Übersetzerin und war tätig an ihrem unveröffentlichten Manuskript Women Travelling Alone.

Marian Engel lernte den Krimi-Autor und Radioproduzenten der Canadian Broadcasting Corporation (CBC) kennen und heiratete ihn 1962 in England. Zwei Jahre später war das Paar zurück in Toronto, wo sie eine Familie gründeten. Sie bekamen Zwillinge und Marian verfolgte ihre Karriere als Schriftstellerin. 1977 ließ sich das Paar nach zweijähriger Trennung scheiden.

In den folgenden Jahren unterrichtete Marian Engel an verschiedenen Unis.

Schon zu Beginn der 1970er-Jahre setzte sich Marian Engel leidenschaftlich für die Rechte kanadischer Schriftsteller*innen auf nationaler und internationaler Ebene ein. 1973 wurde die Writers Union of Canada gegründet, deren erste Vorsitzende sie war; auch die ersten Treffen fanden in ihrem Haus in Toronto statt. Sie half auch dabei, die Public Lending Right Commission von 1975 bis 1978 als Treuhänder im Toronto Public Library Board einzusetzen. Und sie engagierte sich für Renten für Schriftsteller*innen und Lizenzgebühren aus Bibliotheksleihen.

Sie skizzierte eine Vision für eine Autorenentschädigung auf der Grundlage von Statistiken zur Bibliotheksauflage. Sie argumentierte, dass von den Autor*innen erwartet werde, dass sie von dieser dampfförmigen Substanz Prestige leben, und schlug vor, dass die unentgeltliche Verwendung der Werke kanadischer Schriftsteller*innen eine Verletzung des Urheberrechts darstellt (siehe Maclean-Leitartikel Unsere Autoren werden abgezockt von 1974.

Marian Engel gehört zu den wichtigsten Vertreterinnen zeitgenössischer kanadischer Literatur. Meistens stehen Frauen mit ihren täglichen Lebenserfahrungen in ihren Büchern im Mittelpunkt. Sie beschäftigte sich mit Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern, die auf Erkundungen der Identitätsbildung und subjektiven Erfahrungen beruhten. Auch doppelte Identitäten war ein häufiges Thema bei ihr, um die Herausforderung der Wahl zwischen dem Hin und Her des täglichen Lebens zu veranschaulichen - nämlich traditionelle Geschlechterrollen und die imaginäre Möglichkeit des Anderen.  Die Autorin Alice Munro bemerkte, dass Engel eine der ersten war, die das Leben von Frauen in ihrer verworrensten Form untersuchte, um zu zeigen, dass es möglich war, nicht nur zu schreiben, sondern auch veröffentlicht zu werden, wenn man über weibliche Erfahrungen schreibt. 

Zu ihren Werken gehören auch drei Kinderbücher.

Ihr berühmtestes und umstrittenstes Werk ist die Novelle Bär (1976), eine Geschichte erotischer Liebe zwischen einer Archivarin und einem Bären. Ihr Herausgeber bei Harcourt Brace lehnte das Manuskript wegen seiner relativen Kürze, gepaart mit seiner extremen Fremdheit ab. Es wurde schließlich von McClelland & Stewart veröffentlicht, nachdem es von Robertson Davies verfochten wurde. 1976 gewann sie damit den Literaturpreis des Generalgouverneurs für Belletristik.
Laut der DNB ist Bär auch der einzige ins Deutsche übersetzte Titel von ihr.

Der Writer's Development Trust of Canada richtete nach Marian Engels Tod den Marian Engel Award in Höhe von 10.000 US-Dollar ein, der einer Schriftstellerin in der Mitte ihrer Karriere jährlich verliehen wurde. Die Idee dazu kam von Freund*innen und Kolleg*innen, die auch einen Stiftungsfonds gründeten. Margaret Atwood war die erste Spenderin.

14.5.21

Shirley Jackson: Wir haben schon immer im Schloss gelebt

Da das Buch vom Festa-Verlag rausgebracht wurde, habe ich mich irgendwie auf Horror eingestellt. Auch der schwarze Schutzumschlag mit dem roten Auge lässt eine Lektüre in diese Richtung erwarten. Doch von Horror habe ich nichts mitbekommen. Außer dem, dass wieder mal bestätigt wird, wozu eine aufgeheizte Menschenhorde fähig ist. 

Nichtsdestotrotz kann ich mich Neil Gaiman anschließen, der über Shirley Jackson meint: "Eine erstaunliche Autorin ... Wenn du sie nicht gelesen hast, hast Du etwas Wunderbares verpasst."

Denn Horror oder nicht, Shirley Jackson ist eine Erzählerin par excellence. 

Merricat lebt mit ihrer Schwester Constance und dem kranken Onkel Julian, der an den Rollstuhl gefesselt ist, im Schloss der Familie Blackwood am Rande eines Dorfes. Der Rest der Familie wurde vor Jahren vergiftet. Als Verdächtige galt Constance, sie wurde jedoch vor Gericht freigesprochen. Seitdem sind sie aus der Gemeinschaft ausgestoßen.

Es ist bedrückend zu lesen, wie abgeschnitten die drei Menschen im Schloss von allem sind. Einzig Merricat verlässt einmal in der Woche das Heim, um im Dorf Erledigungen und Einkäufe zu machen. Doch die drei scheinen glücklich zu sein. Erst als Cousin Charles auftaucht, der unbedingt an den Inhalt des Familiensafes kommen will, gerät das Gefüge ins Wanken.

Das Lesen der Geschichte war unheimlich spannend. Nicht nur allein, weil ich mich fragte, wann nun der Horrorteil beginnt. Nein, Shirley Jackson versteht es, so zu erzählen, dass man jedes Wort, jeden Satz, jeden Absatz, jedes Kapitel in sich aufsaugt. Ich freue mich wahnsinnig darauf, mehr von ihr zu lesen.

Kurzbiografie Shirley Jackson

12.5.21

Shirley Jackson

Shirley Hardie Jackson (14.12.1916 - 8.8.1965) war besonders für ihre Horror- und Mysteriegeschichten bekannt. Ihr Gesamtwerk umfasst sechs Romane, zwei Memoiren und mehr als 200 Kurzgeschichten.

Sie wurde in San Francisco geboren und besuchte die Syracuse University in New York. Hier engagierte sie sich für das Literaturmagazin der Universität und lernte ihren späteren Mann Stanley Edgar Hymen kennen. Nach ihrem Abschluss lebte das Paar in New York, wo sie für The New Yorker schrieben. Nach der Geburt des ersten Kindes zog das Paar nach North Bennington in Vermont, an dessen Fakultät des Bennington College Hyman wechselte. 

Das Ehepaar galt als großzügiger Gastgeber, das sich mit literarischen Talenten umgab. Zudem waren sie beide begeisterte Lesende, geschätzte 25.000 Bücher umfasste ihre private Bibliothek.

Nach ihrem Debütroman The Road Through the Wall (1948) erhielt sie große öffentliche Aufmerksamkeit mit ihrer Kurzgeschichte The Lottery. Weitere Kurzgeschichten folgten in den 1950er-Jahren in Literaturzeitschriften und -magazinen. Einige von ihnen fanden 1953 Platz in ihren Memoiren Life Among the Savages. Der übernatürliche Horror-Roman The Haunting of Hill House, der als eine der besten Geistergeschichten gilt, die je geschrieben wurden, erschien 1959.

Die Ehe war überschattet von Hymans Untreue, vor allem mit seinen Schülerinnen. Widerstrebend stimmte sie zu, die Ehe als offene Beziehung weiterzuführen. Obwohl sie viel mehr verdiente als er, kontrollierte er ihre Finanzen und zahlte ihr Geld nach eigenem Ermessen aus.

Shirley Jackson zog nicht nur die vier Kinder des Paares auf, sie arbeitete auch in einer Zeit, als dies für Frauen nicht üblich war und war sogar die Hauptverdienerin der Familie:

- "Sie hat hart gearbeitet", sagte ihr Sohn Laurence. "Sie schrieb immer oder dachte über das Schreiben nach, und sie erledigte auch alle Einkäufe und das Kochen. Die Mahlzeiten waren immer pünktlich. Aber sie liebte es auch zu lachen und Witze zu erzählen. Auf diese Weise war sie sehr lebhaft." Als Beispiele für ihren Witz verweist er die Leser auf ihre vielen humorvollen Cartoons, von denen einer einen Ehemann zeigt, der eine Frau warnt, während der Schwangerschaft keine schweren Dinge zu tragen, aber keine Hilfe anbietet. - The Guardian

Viele Autor*innen wurden von ihr beeinflusst, zum Beispiel:  Neil Gaiman, Stephen King, Sarah Waters, Nigel Kneale, Claire Fuller, Joanne Harris, und Richard Matheson.

In den 1960er-Jahren verschlechterte sich ihre Gesundheit, 1965 starb sie wegen einer Herzerkrankung im Alter von 48 Jahren.

Seit 2008 gibt es den Shirley Jackson Award, ein Literaturpreis, der für Werke aus dem Bereich der psychologischen Horrorliteratur und Phantastik verliehen wird, die in der Tradition der Werke von Shirley Jackson stehen.

Er wird jährlich für folgende Kategorien verliehen:

novel (Roman),
novella (Kurzroman),
novelette (Novelle),
short story (Kurzgeschichte)
collection (Sammlung von Erzählungen eines Autors) und
anthology (Zusammenstellung von Erzählungen mehrerer Autoren).


Deutsche Buch-Ausgaben

Wir haben schon immer im Schloss gelebt

Die Teufelsbraut. 25 dämonische Geschichten

Nicht von schlechten Eltern

Spuk in Hill House

Der Gehängte

Krawall und Kekse

Hermine Villinger


 

Hermine Villinger (Pseudonyme: H. Wilfried, H. Willfried) wurde am 6. Februar 1849 in Freiburg im Breisgau als Hermine Anna Theresia Xaveria Villinger geboren. Sie war eine deutsche Schriftstellerin.

Sie besuchte die höhere Töchterschule und war Schülerin im Augustinerinnenkloster in Offenburg. In Karlsruhe fand sie Kontakt zum literarischen Kreis um Anna Ettlinger, sowie zum Theater. Sie besuchte das neugegründete Auguste-Victoria-Lyzeum in Berlin und wandte sich dann endgültig der Schriftstellerei zu. Sie war mit Marie von Ebner-Eschenbach und der Schauspielerin Luise Schönfeld-Neumann befreundet.

Hermine Villinger war eine erfolgreiche Verfasserin von Romanen, Erzählungen, Kinderbüchern und Theaterstücken. Die meisten ihrer vom Realismus beeinflussten Werke sind in ihrer badischen Heimat angesiedelt.

Am  3. März 1917 starb sie in Karlsruhe.

9.5.21

Božena Němcová

Božena Němcová
Foto um 1850

 Božena Němcová wurde am 4. Februar 1820 in Wien geboren. Sie war eine tschechische Schriftstellerin und wurde so richtig bekannt wohl durch ihren Roman "Die Großmutter". Im sogenannten Großmuttertal Babiččino údolí steht ein Denkmal. Der Film, "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel", der alljährlich zur Weihnachtszeit im TV-Programm läuft, stammt aus ihrer Feder.

Ihr eigenes Leben wurde unter dem Titel "Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern" verfilmt.





Die Großmutter
Die Titelfigur der Großmutter Magdalena Novotná zählt zu den schönsten Frauengestalten der Weltliteratur

In dem 1855 erschienenen Werk schildert die Dichterin ihre idealisierten, poetisch ausgeschmückten Kindheitserinnerungen, zum Trost gegen die harte, von Armut, Krankheit und Schicksalsschlägen geprägte Wirklichkeit. Die Großmutter steht im Mittelpunkt der 18 Bilder aus dem ländlichen Leben und die anheimelnde, doch keineswegs konfliktlose Atmosphäre der "guten alten Zeit" wird in ihrem Leben und Wirken eingefangen. Kein geringerer als Franz Kafka schwärmte von der "Sprachmusik" des Werkes und ließ sich durch den Stoff inspirieren.




8.5.21

Vicki Baum

 

Max Fenichel: Vicki Baum (um 1930)

Vicki Baum wurde am 24. Januar 1888 in Wien geboren. Sie wurde an der Wiener Musikhochschule als Harfenistin ausgebildet und begann 1914 zu schreiben. Ab Mitte der 20er Jahre arbeitete sie als Redakteurin im Berliner Ullstein-Verlag, der viele ihrer Romane als Vorabdruck in der "Berliner Illustrirten" veröffentlichte.

Ihren Durchbruch hatte sie 1929 mit ihrem Roman "Menschen im Hotel", der in Hollywood als "Grand Hotel" von E. Lubitsch verfilmt wurde. Als Vicki Baum in die USA zur Premiere reiste, blieb sie gleich da, nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an und schrieb viele Bücher in englischer Sprache. In Deutschland wurde sie von den Nationalsozialisten verboten.

Vicki Baum gehört zu den am meisten gelesenen und am meisten übersetzten Unterhaltungsschriftsteller*innen des 20. Jahrhundert.

Sie war zweimal verheiratet - in erster Ehe mit dem Journalisten M. Preis, in zweiter Ehe mit dem Dirigenten R. Lert, mit dem sie zwei Söhne hatte.

Vicki Baum starb am 29. August 1960 in Hollywood.

Quelle

Ursula Köhler-Lutterbeck, Monika Siedentopf: Lexikon der 1000 Frauen, Dietz

6.5.21

Edwidge Danticat

Danticat, September 2019; wikipedia.en

 Edwidge Danticat wurde am 19. Januar 1969 in Port-au-Prince auf Haiti geboren. Sie ist eine amerikanische Schriftstellerin.

Zu Beginn der 1970er Jahre emigrierten die Eltern in die USA. Sie selbst wuchs bei einer Tante in Port-au-Prince auf. Erst mit 12 Jahren folgte sie den Eltern 1981 nach Brooklyn.

Ein erster Zeitungsartikel von ihr erschien 1983, in dem sie über ihre Auswanderung in die USA berichtete.

Edwidge Danticat studierte am Barnard College und der Brown University Literatur. Heute lebt und arbeitet sie in New York.

In ihren Romanen greift sie die Emigrationserfahrung und Episoden aus der Geschichte Haitis auf wie das Massaker an haitianischen Immigranten in der Dominikanischen Republik 1937. Ihr Buch "Brother, I'm Dying" ist autobiografisch; in einzelnen Passagen in "Der verlorene Vater" spiegelt sich die Geschichte ihrer Familie.


Der verlorene Vater

Eigentlich wollte sie bei der Reise in den Süden der USA ihrem Vater näherkommen und sich bedanken für all die Anregungen, die er ihr schenkte. Doch dann entdeckt die junge Künstlerin, dass ihr Vater keineswegs ein Opfer der Diktatur in Haiti war, sondern ein Folterer, der das Leben unzähliger Menschen zerstörte. Alles, worauf sie ihr Leben baute, bricht nun zusammen. Wie kann Vergebung gefunden werden?

Edwidge Danticats Sprache ist luzide und lyrisch, sie beherrscht die Kunst der Andeutung und Aussparung. Der Leser wird immer tiefer hineingezogen und so zu einem faszinierten und zugleich angewiderten Mitwisser.

5.5.21

Camilla Collett


 

Camilla Collett wurde als Camilla Jacobine Wergeland am 23. Januar 1813 in Kristiansand, Norwegen, geboren. Sie war eine norwegische Schriftstellerin und gilt heute als erste norwegische Frauenrechtlerin.

Sie wurde auf einem Mädcheninternat in Kristiania und einer von Herrnhutern geleiteten Schule in Christiansfeld (Schleswig) ausgebildet und ging danach öfter auf Auslandsreise. In Hamburg kam sie mit den Schriften der literarischen Bewegung Junges Deutschland in Berührung. Für ihren Brief- und Tagebuchstil orientierte sie sich an ihrem Vorbild Rahel Varnhagen.

Verheiratet war sie seit 1841 mit dem  liberalen Juristen und Literaturkritiker Peter Jonas Collett, der ein wichtiger Gesprächspartner für sie wurde und sie zum Schreiben anregte.

Es gibt nur einen Roman von Camilla Collett: „Die Töchter des Amtmanns“. Er erschien 1854 und 1855 in zwei Bänden. Mit diesem Werk und ihren weiteren Schriften übte Camilla Collett nicht nur großen Einfluss auf die allmählich entstehende Frauenbewegung Norwegens aus, sondern auch auf Schriftsteller wie Jonas Lie, Henrik Ibsen und Alexander Kielland. Sie kämpfte gegen die allein ökonomisch motivierte Versorgungsehe und forderte Respekt für die Empfindung der Frauen.

Des Weiteren veröffentlichte sie Erzählungen, ihre Memoiren und Schriften.

Am 6. März 1895 starb Camilla Collett in Kristiania, heute Oslo.


Quelle und Literatur
Antonius Lux (Hrsg.): Große Frauen der Weltgeschichte. Tausend Biographien in Wort und Bild. Sebastian Lux Verlag, München 1963


Die Töchter des Amtmanns

Aus dem Norwegischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Berit Klein. 
Für einen Mann wird die Betrachtung einer enttäuschten Liebe in den seltensten Fällen etwas Demütigendes an sich haben. Wenn er bei sich selbst weiß, dass er alles aufgeboten hat, was in seiner Macht steht, um auf die Geliebte zu wirken, dass er kein Mittel unversucht gelassen hat, um die Unerbittliche zu besiegen, so kann er ruhig sein, er hat sich nichts vorzuwerfen. Er hat sein Bestes getan. Er kann sich sicher bei der Betrachtung seiner Leiden ausruhen, sie besingen, wenn er kann, und sich selbst und andere rühren, während die Hoffnung auf einen neuen Kampf, eine neue Liebe süß aus dem abgemähten Grund hervorsprießt. 
Wenn sie hingegen bei sich selbst weiß, dass sie alles getan hat, was in ihrer Macht steht, um sich vor dem Geliebten zu verbergen, dass sie kein Mittel unversucht gelassen hat, um ihr Gefühl zu besiegen, dass sie ihre Sehnsüchte getötet hat, sorgfältig jeden furchtsamen Keim der Hoffnung herausgerissen hat, und wenn sie dieses Werk der Selbstzerstörung wie jene wilden Fakire, ohne eine Miene zu verziehen, hat vollstrecken können, dann, ja, dann hat sie ihr Bestes getan, aber es ist deshalb nicht gesagt, dass sie ruhig sein kann.

2.5.21

Ken Bugul

 Ken Bugul (ihr Name bedeutet so viel wie "Eine die unerwünscht ist") stammt aus Senegal. Sie wuchs in einem polygamen Umfeld auf, der Vater war ein 85-jähriger Marabut (Heiliger). Sie besuchte die Grundschule, das Gymnasium, studierte in Dakar und bekam dann ein Stipendium, um ihre Studien in Belgien fortzuführen.

Wieder zurück in der Heimat, wurde sie die 28. Ehefrau des Marabuts in dem Harem ihres Heimatdorfes. Als der starb ging sie wieder in die Großstädte, arbeitete für die NGO International Planned Parenthood Federation in Kenia, Kongo und Tog. Sie heiratete, wurde Mutter und lebt und arbeitet heute in Senegal.

Silvia Voser, schweizerische Dokumentarfilmerin, brachte das filmische Porträt "Ken Bugul. Personne n’en veut/Ken Bugul. Niemand will sie", über die 68-jährige Autorin heraus.




Ken Bugul: Die Nacht des Baobab: Eine Afrikanerin in Europa. Autobiografischer Bericht

Aus einem senegalesischen Dorf kommt Ken Bugul nach Europa. Sie beginnt an der Universität, und sie endet in den Bars. Sensibel und schonungslos schildert sie, was es bedeutet, unter Weißen schwarz und schön zu sein.

Ken Bugul: Riwan oder der Sandweg

Als Ken Bugul ernüchtert aus Europa in ihr Dorf zurückkehrt, ist sie zu einer Außenseiterin geworden. Sie ist die Gescheiterte, die mit leeren Händen nach Hause gekommen ist - ohne Geld, ohne Mann, ohne zu wissen, wie es weitergehen soll. Erneut macht sie sich auf die Suche. Fasziniert von Sanftmut und Toleranz des großen Serigne, zieht sie an seinen Hof und wird zu seiner achtundzwanzigsten Ehefrau.

Dieser Roman erzählt mutig über afrikanische Traditionen und Polygamie, Verführung und Selbstbestimmung.

Riwan oder der Sandweg wurde zu einem der hundert bedeutsamsten afrikanischen Bücher des 20. Jahrhunderts gewählt und mit dem wichtigsten afrikanischen Literaturpreis (Grand Prix Littéraire de l’Afrique Noire) ausgezeichnet.

Ken Bugul: Keine andere Wahl?

An den Küstenorten Senegals frisst das Meer das Land weg, die Überfischung den Fischerfamilien die Lebensgrundlage. Das Leben der Bewohner verändert sich drastisch. Auch der Teenager Malik und seine Lieblingsvögel, die Dorfweber, bekommen die klimatischen Veränderungen zu spüren. Muss Malik wie schon sein Vater Senegal wirklich verlassen?




30.4.21

Simin Daneschwar

1994 schrieb Zeit-Online: Aufgrund der Rushdie-Affäre ist vielfach der Eindruck entstanden, im Iran herrsche intellektuelle Einöde. Doch davon kann nicht die Rede sein. Im Gegenteil, die iranische Gegenwartsliteratur zählt zu der interessantesten und vielseitigsten in der gesamten islamischen Welt.

Ich kenne bisher leider keine iranischen Schreibenden, von daher glaube ich das und möchte zumindest eine Autorin vorstellen, die am 28. April 1921 geboren wurde: Simin Daneschwar kam in Schiras, der Hauptstadt der zentralen Südprovinz Fars, die zu den fünf größten Städten des Iran gehört, zur Welt. In Teheran, wo sie in einem amerikanischen Internat lebte, studierte sie nach dem Abitur Literatur. Sie stammt aus einem wohlhabenden Elternhaus (der Vater war Arzt); trotzdem arbeitete sie während des Studiums. Sie war für Radio Teheran tätig und für die Zeitung Iran, bei der sie Anfang der 1940er Jahre unter dem Pseudonym Schiraziye Binam Kurzgeschichten veröffentlichte. 1948 war für Simin Daneschwar ein ereignisreiches Jahr: Mit Das erloschene Feuer war sie die erste iranische Frau, die einen Erzählband veröffentlichte. Die 16 Kurzgeschichten, die der Band vereint, erschienen zuvor in der Tageszeitung Keyhān, der Frauenzeitschrift Bānu und dem Magazin Omid. Zudem promovierte sie im Fach Literatur und lernte den Schriftsteller und Essayisten Dschalāl Āl-e Ahmad kennen, den sie 1950 heiratete, obwohl dessen Vater dagegen war, da sie keine islamische Kopfbedeckung trug.

Simin Daneschwar blieb auch nach der Heirat literarisch aktiv: An der Universität Stanford (USA) studierte sie zu Beginn der 1950er-Jahre mit einem Fulbright-Stipendium, welches eines der prestigeträchtigsten Stipendienprogramme der Welt ist. Von 1961 war sie bis zu ihrer Emeritierung 1981 als außerordentliche Professorin an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Teheran tätig. Allerdings verweigerte man ihr dort wegen ihrer kritischen Einstellung einen regulären Lehrstuhl. Als erste Frau wurde sie 1968 zur Vorsitzenden des neu gegründeten Schriftstellerverbandes Irans gewählt. Ein Jahr später veröffentlichte sie mit Drama der Trauer ihr Meisterwerk und erlangte damit Anerkennung als unverzichtbare Schriftstellerin der modernen persischen Literatur. Es war auch der erste Roman, der von einer iranischen Frau aus der Perspektive einer Frau geschrieben wurde. 16 Auflagen gab es.
1969, einige Monate vor Veröffentlichung ihres Romans, schied ihr Mann aus unbekanntem Grund aus dem Leben; sie beteiligte sich aber weiter an den Aktivitäten, die ihm wichtig waren: Er war zum Beispiel an der Gründung der Writers 'Association beteiligt, in der sie nun eine führende Rolle übernahm und junge Schriftsteller bei ihren Bemühungen unterstützte. Moralisch half sie Intellektuellen und Dissidenten, die sich gegen das Pahlavi-Regime aussprachen, unterstützte ihre Studenten akademisch und finanziell. 
Mitte der 1970er Jahre blieb es relativ ruhig um sie: Sie blieb außerordentliche Professorin und wurde Vorsitzende der Abteilung für Kunstgeschichte und Archäologie. Neben der Arbeit an der Uni schrieb sie weiterhin Kurzgeschichten, die in Magazinen erschienen und 1980 als Wen sollte ich grüßen als Buch veröffentlicht. Sie hält mit ihnen an ihren bekannten Qualitätsstandards fest. In dieser letzten Sammlung erweitert Daneshvar ihre früheren Überzeugungen. Die Vielfalt ihrer Charaktere und ihre Themenauswahl spiegeln ihr gründliches Verständnis der facettenreichen iranischen Gesellschaft wider. Sie fängt die Mentalität, die Ideale, Bestrebungen, Lebensstile, Redeweise und populäre Äußerungen der verschiedenen sozialen Schichten des Iran ein. Ihre abgerundeten Charaktere sind repräsentativ für ihre Zeit und ihren Ort und bieten eine farbenfrohe Sicht auf das iranische Verhalten.
Jalal Ale Ahmad
In ihren Kurzgeschichten finden sich die Themen ihrer Gesellschaft wider: Kinderdiebstahl, Ehebruch, Ehe, Geburt, Krankheit, Tod, Verrat, Profit, Analphabetismus, Ignoranz, Armut und Einsamkeit. Es sind die sozialen Probleme der 1960er- und 1970er-Jahre in ihrem Land.
Woher nimmt sie ihre Inspiration?: Einfache Menschen haben viel zu bieten. Sie müssen in der Lage sein, frei und mit Verstand zu geben. Auch wir müssen ihnen im Gegenzug das Beste geben, was wir können. Wir müssen mit all unseren Fähigkeiten und dem Herz versuchen, ihnen zu helfen, das zu erlangen, was sie wirklich verdienen. 

1979 zog sich Simin Daneschwar zurück; 1981 vollendete sie die Monografie Der Verlust von Jalal über ihren Mann - ihr bewegendstes Stück und die beste Arbeit über einen der iranischen Literaturführer. Bis zu ihrem Tod am 8. März 2012 lebte sie als freie Schriftstellerin allein in Teheran.

Nur zwei ihrer Werke gibt es als deutsche Ausgabe: Drama der Trauer und Frag doch die Zugvögel


Simin Daneschwar: Drama der Trauer, Glare Verlag, 1997
Zari ist eine traditionelle, sich zugleich als emanzipiert verstehende Frau - hin und her gerissen zwischen dem großen gesellschaftlichen Engagement und ihrer häuslichen kleinen Freiheit als Ehefrau des Großgrundbesitzers Yussof. Erst der gewaltsame Tod ihres Mannes ermutigt sie und eröffnet ihr neue Entscheidungsmöglichkeiten. "Einer muss aufstehen und nein sagen", dieses Motiv spielt in dem Roman eine herausgehobene Rolle, umfasst aber bei weitem noch nicht den ganzen Inhalt. Die europäische Herausforderung, die durch die Anwesenheit der in den zweiten Weltkrieg verwickelten Engländer im Iran hautnah erfahren wird, führt die Notwendigkeit einer Umgestaltung der Gesellschaft vor Augen. Der Weg dorthin ist jedoch lang und mühevoll und nicht von einer Generation allein zu bewältigen.



Simin Daneschwar: Frag doch die Zugvögel, Glare Verlag, 2012
Simin Daneshwar, die unermüdliche Kritikerin ihrer Zeit, ist heute aktuell wie eh und je. Die große Dame der iranischen Literatur zeigt in ihren jüngeren Erzählungen ebenso wie in ihren frühen literarischen Arbeiten die Verlogenheit derjenigen, die die Macht haben und die immer wieder gleichen Unterdrückungsmechanismen anwenden, unter denen die Frauen stets doppelt leiden. Dass im Namen ihres Glaubens Unheil angerichtet wird, konnte sie ebenso wenig hinnehmen wie das Leiden der Menschen unter Hunger und Armut. Und doch glauben ihre Protagonistinnen, wie sie selbst es stets tat, an den Sieg des Guten über das Böse.

Quelle: 
Wikipedia.de
iranchamber.com 


24.4.21

Emma Smith

Die öffentliche literarische Wahrnehmung der britischen Schriftstellerin Emma Smith, die am 21. August 1923 in Newquay, Cornwall, als Elspeth Hallsmith geboren wurde, war ein Auf und Ab. Doch erst etwas über ihr Leben:

Ihre Eltern führten eine unglückliche Ehe; die Mutter und Elspeth Hallsmith und ihre Geschwister hatten unter der Gewalttätigkeit und Missachtung des tyrannischen Vaters zu leiden. Elspeth teilte das künstlerische Interesse des Vaters, von daher kam sie noch einigermaßen gut davon. Es schien kein Alkohol gewesen zu sein, das erklärt ja immer so einiges. Nein, der Vater litt darunter, dass er nach dem Ersten Weltkrieg und Kriegsgefangenschaft nicht als Künstler tätig sein konnte. Entsprechende Bewerbungen für Ausstellungen wurden abgelehnt. Und so musste er sein Leben als Bankangestellter fristen.
Zugang zu Bildung erhielten Elspeth und ihre Schwester erst, als Elspeth zwölf Jahre jung war. "Wunderbar" wurde es dann, als der Vater nach einem Nervenzusammenbruch die Familie verließ.

Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete sie erst als Sekretärin im britischen War Office, dann ab 1943 bis zum Ende des Krieges als Kanalschifferin. Sie führte da zwar einerseits ein eingeschränktes Leben, doch andererseits gab ihr die Tätigkeit eine Freiheit der Lebensführung, wie sie eine damalige Frau sonst kaum hatte.
Nach dem Krieg arbeitete sie beim Film, traf den Dichter, Romancier und Drehbuchautor Laurie Lee, auf dessen Idee sie den Künstlernamen Emma Smith annahm und wurde Regieassistentin seines Filmteams, das sie 1946 für neun Monate nach Indien begleitete. Dann ging sie nach Paris und versuchte sich als Schriftstellerin. 

Es war immer ihr Traum, einmal Schriftstellerin zu werden. Sie pflegte ihn, indem sie fleißig Tagebuch schrieb. Als Kanalschifferin und auf der Reise nach Indien hatte sie sicherlich viel Erzählenswertes erlebt. Als sie in Paris lebte, veröffentlichte sie dann Kurzgeschichten, doch sie konnte davon nicht leben. Erst ihr Debüt-Roman Maidens' Trip, in dem sie die Erlebnisse als Kanalschifferin verarbeitet, brachte den ersehnten Erfolg. Es wurde ausgezeichnet, zum Bestseller, und finanziell so erfolgreich, dass sie ihren Traum weiterleben konnte.
Auch ihr zweiter Roman, The Far Cry (beschäftigt sich mit ihrer Indienfahrt) wurde ein Erfolg und als Der Ruf der Ferne sogar ins Deutsche  übersetzt.

Dann wurde es ruhig um Emma Smith. 1951 heiratete sie, war nur Ehefrau und Mutter, die ihre Kinder nach dem frühen Tod des Mannes 1957 alleine großzog. Sie ging mit den Kindern nach Radnorshire in Wales, zog 1980 in den Londoner Stadtteil Putney, wo sie bis zu ihrem Tode am 24. April 2018 lebte.

Sieben Jahre stand ihre Schreibmaschine unbenutzt rum. Sie begann nach dem Tod ihres Mannes wieder zu schreiben, erfolgreiche Kinderbücher, 1978 noch mal einen Roman - jedoch wurde sie von der literarischen Öffentlichkeit nicht mehr wahrgenommen.

Doch dann fand die britische Schriftstellerin Susan Hill auf einem Flohmarkt The Far Cry und schrieb eine begeisterte Rezension, was dazu führte, dass es 50 Jahre nach Erscheinen der Erstausgabe noch einmal veröffentlicht wurde. Und es führte dazu, dass sich Emma Smith noch einmal an die Schreibmaschine setzte und ihre Memoirenwerke The Great Western Beach (2008, über die Kindheit in Newquay) und As Green as Grass (2013, über die Jugend bis zur Hochzeit), schrieb. Diese wurden in England als Entdeckung gefeiert, und Emma Smith gelangte noch einmal zu literarischem Ruhm.
Vielleicht schaffen es ihre Kinderbücher ja auch, noch einmal entdeckt zu werden. 



Als die vierzehnjährige Teresa in der ausklingenden Kolonialzeit nach Assam reist, um ihre Halbschwester Ruth zu besuchen, bricht das farbenprächtige Indien mit der Macht einer Explosion über sie herein. Doch Teresa begegnet nicht nur einer neuen Welt, sondern auch der Blick auf ihre Familie wird sich für immer verändern ...

Ein Roman voll bunter Impressionen, Leichtigkeit und Gefühl. Sprachlich brillant, feinfühlig und herzerwärmend – eine grandiose Wiederentdeckung!

Quelle: Wikipedia

23.3.21

Hallie Rubenhold: The Five. Das Leben der Frauen, die von Jack the Ripper ermordet wurden / Aus dem Englischen von Susanne Höbel

 Die Autorin muss wahnsinnig recherchiert haben, fast 20 Seiten lang ist die Bibliografie am Ende.

Mehr als die Benennung im Titel spielt Jack the Ripper im Buch keine Rolle. Hier soll es um seine Opfer gehen. Denen hat Hallie Rubenhold nachgeforscht.

Vorab sind im Buch ein paar Zeilen von der US-amerikanischen Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde (1934-1992) zu lesen. Sie bezeichnet sich selbst als Schwarze, Lesbe, Feministin, Mutter, Dichterin, Kriegerin:

Ich schreibe für die Frauen, die nicht sprechen,
für die, die keine Stimme haben,
weil sie so voller Angst sind, denn wir wurden gelehrt,
die Angst mehr als uns selbst zu respektieren.
Uns wurde beigebracht, dass die Stille uns retten wird,
aber das wird sie nicht.


Vorangestellt sind ein Stadtplan von London. Den angezeigten Straßen ist jeweils der Anfangsbuchstabe einer der fünf Frauen hinzugefügt. Ich schätze, das waren ihre Wohnorte. 

Im Vorwort wird über London zur Zeit 1887 allgemein berichtet. Aus der Sicht der Reichen und der Armen. Mehr aus der Armensicht: Wenn die Morde in Whitechapel etwas ans Licht brachten, dann die entsetzlichen, unfassbaren Bedingungen, unter denen die Armen in diesem Bezirk lebten. Und dies in allen Lebensbereichen. Die hygienischen Bedingungen, unter denen die Menschen gehaust haben, können, ja mögen wir uns nicht vorstellen. Die, denen es ganz schlimm erging, hausten als Familie in einem Zimmer, das man so gar nicht bezeichnen mag. Da fand alles statt. Da wurde Kohle gelagert, Babys liefen nackig umher, die Notdurft wurde hier getätigt und im Beisein der Kinder wurden neue fabriziert.

Fünf Prostituierte soll Jack the Ripper ermordet haben, doch von dreien der Frauen konnte gar nicht nachgewiesen werden, dass sie diesem Gewerbe nachgingen. Von ihnen wusste man nur, dass sie gelegentlich auf der Straße schliefen, weil ihnen das Geld für eine Unterkunft fehlte. Laut Autopsie wurden alle Frauen in liegender Position ermordet. Niemand in der Nähe hörte Schreie. Eine wurde in ihrem Bett ermordet.

Es lag also nahe, dass sich der Ripper schlafende Frauen suchte. Doch die Polizei hielt hartnäckig an ihrer Theorie von den Prostituierten fest und suchte somit gar nicht erst nach anderen Tätern.

In der Folge werden die fünf Frauen vorgestellt, die bis heute dem Vergessen anheimgefallen sind. Mir war leider auch nur Polly ein Begriff, da sie immer als sein erstes Opfer bezeichnet wurde. 

Aber es ist doch bezeichnend für unsere Gesellschaft, dass wir uns der Täter erinnern und den Opfern, wenn überhaupt, nur mal einen kurzen Gedanken widmen.

Ich beende hier die Buchvorstellung, obwohl ich noch ganz am Anfang bin. Aber die fünf Frauen

Annie Chapman,
Elizabeth Stride,
Catherine Eddowes und
Mary Jane Kelly

sollen im Biografischen Blog in nächster Zeit ihren jeweils eigenen Beitrag bekommen.

21.3.21

Sir Arthur Conan Doyle: Eine Studie in Scharlachrot

Die Geschichten über Sherlock Holmes liebe ich schon seit meiner Jugendzeit. Damals habe ich eine Zeit jeden Sonntagabend die Serie geschaut, noch in Schwarz-Weiß, mit Basil Rathbone.

Vor ein paar Jahren habe ich sie dann als Hörspiel entdeckt und gehe abends quasi mit Holmes und Watson ins Bett.

Vor Längrem habe ich mir eine dicke Gesamtausgabe gekauft und bei Weltbild entdeckte ich einen Schuber, den ich einfach haben musste. Alleine schon die Aufmachung der Bücher gefällt mit sehr gut. Das Papier fasst sich sehr schön an, nicht zu fest und grob, aber auch nicht so dünn, dass man Angst hat, es einzureißen. Und das Schönste für mich sind die wunderschönen Illustrationen von George Hutchinson.

Die erste Geschichte, die ich daraus las, war Eine Studie in Scharlachrot. Doyle hat sie mit 27 Jahren geschrieben und niemand wollte sie haben. Er war noch als Arzt beschäftigt und hatte schon einige Geschichten an Zeitschriften verkauft.

Endlich fand er einen Verlag, Ward, Lock & Co., dem er die Rechte für £25 verkaufte, der ihm aber keine Hoffnung auf Veröffentlichung machte. Im November 1887 erschien der Roman im Magazin Beeton's Christmas Annual als Titelgeschichte. Bis Weihnachten war es ausverkauft. 28 bestätigte Exemplare gibt es heute noch von dieser Ausgabe, die natürlich unter Sammlern einen hohen Wert haben. Bei einer Versteigerung von Sotheby's in New York einer vollständigen, aber leicht beschädigten Ausgabe im Jahr 2004 wurde ein Preis von $153.600 erzielt. Es war zu der Zeit das teuerste Magazin der Welt und gilt als Renditeobjekt.

In der ersten Buchauflage von 1888 stammten die Illustrationen von Charles Altamont Doyle, dem Vater Arthur Conan Doyles. Ein Jahr später erschien schon eine zweite Auflage, diesmal mit Illustrationen von George Hutchinson.

Hier lernen sich Mister Sherlock Holmes und Dr. John H. Watson kennen.

Watson, im Afghanistankrieg verwundet, kehrt nach London zurück, wo er auf der Suche nach einer preiswerten Wohnmöglichkeit durch einen Bekannten auf Sherlock Holmes stößt. Sie beziehen gemeinsam eine Wohnung in der Baker Street Nr. 221B. So nach und nach findet Watson heraus, welcher Tätigkeit sein neuer Bekannter nachgeht. Er ist "beratender Detektiv". Nicht nur Privatleute, nein, auch Scotland Yard wendet sich an ihn, wenn die Ermittler dort nicht mehr weiter wissen.

Und so flattert eines Tages ein Brief von Inspektor Tobias Gregson ins Haus, der Holmes um Hilfe bittet. Ein Toter, ermordet, liegt in einem Haus, in deutscher Schrift ist an eine Wand das Wort "Rache" geschrieben und man findet den Ring einer Frau bei ihm.

Und so macht sich Sherlock Holmes an die Arbeit und Watson darf ihn begleiten.

Es war schon eigenartig, eine Sherlock-Holmes-Geschichte zu lesen. Ich hatte dabei immer die etwas langsame und behäbige Stimme des Dr. Watson von den Hörspielen im Ohr und passte mich irgendwie der Geschwindigkeit an. Das tat meinem Lesevergnügen aber keinen Abbruch. 

18.3.21

Helga Schubert: Vom Aufstehen - Ein Leben in Geschichten

Helga Schubert ist für diesen Text 2020 mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet worden. Da war sie 80 Jahre alt und somit die älteste Teilnehmerin an diesem Wettbewerb überhaupt. Laut Wikipedia sei ihr Text

"eine Hommage an Ingeborg Bachmanns Erzählung Das dreißigste Jahr', die mit einer Reflexion über das Aufstehen beginnt und die den Protagonisten am Ende zum Aufstehen auffordert – Ich sage dir: Steh auf und geh! Es ist dir kein Knochen gebrochen –, sagte Schubert in ihrer Dankesrede, die sie live in einer Videoübertragung von zu Hause aus hielt. Ursprünglich hätte sie den Text, anspielend auf ihr eigenes Alter und Ingeborg Bachmanns Text, Das achtzigste Jahr nennen wollen, habe die Idee dann aber verworfen".

Dies war nicht die erste Einladung zu dem Wettbewerb. Die Schriftstellerin, 1940 in Berlin geboren, erhielt schon mal eine auf Vorschlag von Günter Kunert, das war 1980. Sie sollte ihren Ausreiseantrag zurückziehen, was sie nicht tat. So verbot man ihr die Ausreise aus der DDR nach Österreich. Begründung? Es gebe keine "deutsch Literatur". Mit dem Unternehmen "Bachmannpreis" wolle man nur das Phänomen der deutschen Literatur vorantreiben. Außerdem sah die Stasi Marcel Reich-Ranicki, der Juryvorsitzender war, als "berüchtigten Antikommunisten" an.

Neunundzwanzig Erzählungen enthält dieses Buch - Erzählungen aus einem reichen Leben, einem deutschen Jahrhundertleben. Helga Schubert erzählt ganz unaufgeregt aus der Kinderzeit, in der ihr der Vater fehlt, der im Krieg gefallen ist, und sie die Sommer bei der Großmutter verlebt. Aus ihrem Leben in der DDR, wo sie sich erst mit Macht an den Gedanken zu gewöhnen versucht, dass dieses Leben, in einem eingemauerten Land, wirklich ihres ist. Mit 47, das war 1987, durfte sie nach Amerika. Da dachte sie, völlig verausgabt, dass sie diese wunderbare Welt nie sehen würde.

"Es hat seine eigene Komik, dass ein E-Book-Verlag alle meine Bücher, auch die ohne Druckgenehmigung innerhalb der DDR-Zeit und die nach 1990 erschienenen, unter dem Label DDR-Autoren herausgibt."

Die Wendezeit, als die Mauer fiel - für mich damals eine unwirkliche Zeit, da ich mich immer wieder fragte: Passiert das gerade wirklich? Eine glückliche Zeit für die Autorin, die mehr als 14 Jahre von einem Spitzel des MfS (Deckname Adler), der ein früherer SS-Mann war, beobachtet wurde.  

Helga Schubert lässt uns teilhaben an ihren Gedanken zum Thema Heimat, an Erinnerungen an ihre Mutter, die sie nie lieben konnte und die einen größeren Raum einnehmen. Was soll man aber auch von einer Mutter halten, die ihrer Tochter erklärt, sie hätte sie nicht abgetrieben, sie während des Zweiten Weltkriegs auf die Flucht mitgenommen und sie beim Einmarsch der Russen nicht erschossen, wie es der Großvater verlangte. Und damit soll es nun gewesen sein? Mehr Ansprüche braucht sie an sie nicht stellen? 
Ich kann solche Mutter-Tochter-Probleme gut nachvollziehen. Die hat man nicht nur als Kind und streift sie als Erwachsene ab. So etwas kann einen ewig begleiten. Entweder man schafft es, für sich einen Schlusspunkt zu setzen und sein Leben weiterzuleben, oder man geht dran zugrunde. Ich freue mich, dass Helga Schubert ihren Weg gefunden hat. 

Und sie denkt übers Alter nach:

"Denn ich habe mir in meinem langen Leben alles einverleibt, was ich wollte an Liebe, Wärme, Bildern, Erinnerungen, Fantasien, Sonaten. Es ist alles in diesem Moment in mir. Und wenn ich ganz alt bin, vielleicht gelähmt und vielleicht blind, und vielleicht sehr hilfsbedürftig, dann wird das alles auch noch immer in mir sein. Das ist nämlich mein Schatz."

Glücklich, wer das von sich sagen kann.

Glück wünsche ich auch diesem Buch, das hoffentlich sehr viele Leser*innen findet.


Ich bedanke mich beim dtv-Verlag für dieses Rezensionsexemplar.

12.3.21

Bruno Apitz: Nackt unter Wölfen

Bruno Apitz, 1900 geboren, war in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert, zuletzt acht Jahre bis zur Befreiung im KZ Buchenwald.

Schon ziemlich zu Beginn bin ich über diesen Satz gestolpert:

"Deutsches Volk, was für ein Rindvieh bist du ... Erst verdunkelst du dir das Gehirn und dann die Fenster."

Wenn ich so schaue, mit was wir uns heutzutage beschäftigen, was die Masse für ein TV-Format schaut, wie die Politiker uns für dumm verkaufen und nur noch eine Politik des Geldes betreiben, dass der Paragraf 1 des Grundgesetzes schon längst überholt ist, was uns alles verschwiegen wird, was für Kriegstreiber wir eigentlich sind, da finde ich das Zitat beängstigend aktuell.

Zweiter Weltkrieg, die letzten Monate vor der Befreiung.

Ein kleiner Junge wird von einem polnischen Häftling mit ins KZ Buchenwald geschmuggelt. Ein paar Männer verstecken ihn entgegen den Befehlen des illegalen Internationalen Lagerkomitees, als der Pole nach Bergen-Belsen verlegt wird. Das wäre das Todesurteil des Jungen gewesen.

Dieser kleine Junge bringt aber nun alle, die von ihm wissen, in Gefahr. Und der Kreis derer, die Bescheid wissen, wird immer größer. Pippig nimmt die Sache in die Hand. Kümmert sich; sogar Milch treibt er für den Kleinen auf.

Dann taucht ein Zettel auf, der in die falschen Hände gerät. Im Lager soll ein Kind versteckt sein. Höfel und Kropinski, die in der Effektenkammer arbeiten, werden aufs Schwerste gefoltert. Die Genossen, die sich im Geheimen treffen, überlegen, wie ihnen geholfen werden kann.

Die Effektenkammer bekommt einen Neuen. Als Ersatz für Höfel und Kropinski. Doch die Männer bekommen raus, dass dieser Wurach ein Zinker ist.

Und wieder ist es Pippig, der sich in Gefahr begeben muss. Versteckte Waffen müssen umgelagert werden.

Höfel und Kropinski befinden sich immer noch in Zelle Nr. 5. Höfel lag nach der Tortur mit der Leimzwinge mit hohem Fieber auf dem nasskalten Zementboden. Seine Peiniger stehen um ihn herum und horchen, ob er in seinem Fieberwahn seine Geheimnisse preisgibt.

Neue Häftlinge werden gesucht, aus denen man etwas herauspressen könnte: Rose, der vor Angst schlottert, und Pippig.

Die Befreier rücken immer näher. Aber schaffen sie es rechtzeitig? Ich fiebere mit ihnen mit. Wage mir nicht auszumalen, was nun mit Pippig geschieht. Oder mit Höfel, über den Reineboth gerade sagt:

"Heb ihn und den Polen noch auf, die laufen uns nicht davon. Lass den Mandrill noch eine Weile mit ihnen spielen, vielleicht quetscht er doch noch was aus ihnen raus. Umlegen kann er sie am letzten Tage noch. Abgeschrieben sind sie ja bereits..."

Mir kommen die Tränen bei so viel Menschenverachtung.

Plötzlich geistert das Wort "Evakuierung" herum. Was sollen die Genossen tun? 50.000 Menschen evakuieren lassen und damit unweigerlich in den Tod schicken? Diese Entscheidung muss das ILK treffen.

Pippig holten sie zum Verhör und Rose bleibt in der Zelle alleine zurück. Er erinnert sich an die ersten Jahre im Lager:

"Den Graben hatten wir zuzuwerfen, das war unsere Arbeit. Wie harmlos das klingt! Haben Sie eine Ahnung! [...] Aber da gibt's noch Schlimmeres. Die verfluchte Scheißerei! Du möchtest dir die Hosen herunterreißen und an Ort und Stelle ... Das ist verboten. Du musst dich beim Posten abmelden und in den Wald gehen. Hahahaaa, in den Wald ... Das heißt: über die Postenkette, und wer da drübergeht, wird auf der Flucht erschossen. Nun scheiß mal ... Aber der Wanst will dir auseinanderplatzen! Im letzten Moment, wenn es schon in die Hosen abgehen will, ist dir alles egal. Scheißen ist notwendiger als sterben. Du lässt die Picke fallen, stolperst über den Erdhaufen zum Posten, die Sensenmesser zerschneiden dir den Rücken, zitternd ziehst du vor dem Knaben dein Krätzchen. ,Häftling bittet austreten zu dürfen...'

Kauerst du dich nun zu nah bei dem nieder, dann springt er auf dich los, kracht dir den Kolben ins Kreuz: "Schwein! Willst du mir deinen Mist vor die Nase setzen?" Gehst du aber einen Meter zu weit, dann reißt er vielleicht den Karabiner an die Backe...

Von Beginn an sind in der Geschichte zwei Dinge klar. Wie groß die Hoffnung der Häftlinge auf ihre Befreiung ist. Deutlich an den Landkarten an den Wänden, an denen der Frontverlauf markiert wurde.

Und dass die Häftlinge nicht als Menschen angesehen wurden. Wie viel Kraft muss in ihnen stecken, dass sie bei all dem Grauen doch menschlich blieben.

Doch sie mussten auch Entscheidungen fällen, die uns unmenschlich anmuten. Wie Bochow, der Höfel befiehlt, das Kind auf den nächsten Transport zu schicken, der unweigerlich in den Tod führt.

"Es ist ein Wunder gewesen, dass er den Koffer überhaupt bis hierher gebracht hatte. Jankowski wies zitternd alle Gedanken ab, um das Wunder nicht zu verscheuchen. Nur an eines glaubte er mit heißer Inbrunst: Der barmherzige Gott wollte es sicher nicht zulassen, dass der Koffer in die Hände der SS geriet."

Und was Höfel mit den Gedanken an seine eigene Familie für einen innerlichen Kampf ausficht.

Und es hängt ja nicht nur die Entscheidung in der Luft, bleibt der Junge oder nicht. Für den Fall, dass man ihn behält, muss jemand entscheiden, jemand anderen auf den Transport zu schicken. Wer soll dieser Jemand sein? Und wer trifft die Entscheidung?

In was für einem Zwiespalt müssen diese Männer gesteckt haben.

Und wem konnte man vertrauen? Die Häftlinge waren ja nicht alle politische Gefangene. Allein unter den deutschen Häftlingen gab es jede Menge Berufsverbrecher. Und selbst unter den politischen Gefangenen gab es viele, denen das eigene Hemd näher war als alles andere.

Beim Erstellen der Transportliste meinte Krämer zu Pröll:

"Manchmal denke ich, manchmal denke ich, wir sind doch eine verdammt hartgesottene Gesellschaft geworden..."

Das mussten sie doch werden. Wie hätte es anders sein können unter diesen Bedingungen. Und trotzdem haben sie sich ihre Menschlichkeit bewahrt. Auch wenn sie schreckliche Entscheidungen treffen mussten:

"Walter! Zum Donnerwetter! Deiner eigenen Sicherheit wegen sollst du nie mehr von den Dingen wissen, als für dich notwendig ist, verstehst du es nicht? Es geht um deinen Schutz!"

"Um den Schutz eines Kindes geht es! {Du verlangst von mir, du - ihr - was weiß ich - ihr verlangt von mir, dass ich blind und stur ein Kind in den Tod schicke!}"

{"Wer sagt, dass das Kind in den Tod..."

"Bergen-Belsen! Genügt das? Ich bin doch kein kalter Mörder!"...}

In der Neuauflage vom Aufbau-Verlag stehen viele Wörter, Satzteile und Sätze in Klammern, die in vorherigen Ausgaben nicht vorhanden sind. Es sind meist Passagen, die sehr krass klingen. Die die Gefahr und den Ernst der Lage noch deutlicher widerspiegeln. Auch wie die SS mit den Gefangenen umgeht, wird mit solchen Passagen deutlicher.

Das Schlimme ist ja: Die politischen Gefangenen mussten in den KZ Ungeheuerliches erleiden. Und wenn sie das überlebt haben und dann in der DDR weitergelebt haben, haben sie unter Umständen wieder Schlimmes erleben müssen.

Es sei denn, sie haben sich angepasst.