30.4.21

Simin Daneschwar

1994 schrieb Zeit-Online: Aufgrund der Rushdie-Affäre ist vielfach der Eindruck entstanden, im Iran herrsche intellektuelle Einöde. Doch davon kann nicht die Rede sein. Im Gegenteil, die iranische Gegenwartsliteratur zählt zu der interessantesten und vielseitigsten in der gesamten islamischen Welt.

Ich kenne bisher leider keine iranischen Schreibenden, von daher glaube ich das und möchte zumindest eine Autorin vorstellen, die am 28. April 1921 geboren wurde: Simin Daneschwar kam in Schiras, der Hauptstadt der zentralen Südprovinz Fars, die zu den fünf größten Städten des Iran gehört, zur Welt. In Teheran, wo sie in einem amerikanischen Internat lebte, studierte sie nach dem Abitur Literatur. Sie stammt aus einem wohlhabenden Elternhaus (der Vater war Arzt); trotzdem arbeitete sie während des Studiums. Sie war für Radio Teheran tätig und für die Zeitung Iran, bei der sie Anfang der 1940er Jahre unter dem Pseudonym Schiraziye Binam Kurzgeschichten veröffentlichte. 1948 war für Simin Daneschwar ein ereignisreiches Jahr: Mit Das erloschene Feuer war sie die erste iranische Frau, die einen Erzählband veröffentlichte. Die 16 Kurzgeschichten, die der Band vereint, erschienen zuvor in der Tageszeitung Keyhān, der Frauenzeitschrift Bānu und dem Magazin Omid. Zudem promovierte sie im Fach Literatur und lernte den Schriftsteller und Essayisten Dschalāl Āl-e Ahmad kennen, den sie 1950 heiratete, obwohl dessen Vater dagegen war, da sie keine islamische Kopfbedeckung trug.

Simin Daneschwar blieb auch nach der Heirat literarisch aktiv: An der Universität Stanford (USA) studierte sie zu Beginn der 1950er-Jahre mit einem Fulbright-Stipendium, welches eines der prestigeträchtigsten Stipendienprogramme der Welt ist. Von 1961 war sie bis zu ihrer Emeritierung 1981 als außerordentliche Professorin an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Teheran tätig. Allerdings verweigerte man ihr dort wegen ihrer kritischen Einstellung einen regulären Lehrstuhl. Als erste Frau wurde sie 1968 zur Vorsitzenden des neu gegründeten Schriftstellerverbandes Irans gewählt. Ein Jahr später veröffentlichte sie mit Drama der Trauer ihr Meisterwerk und erlangte damit Anerkennung als unverzichtbare Schriftstellerin der modernen persischen Literatur. Es war auch der erste Roman, der von einer iranischen Frau aus der Perspektive einer Frau geschrieben wurde. 16 Auflagen gab es.
1969, einige Monate vor Veröffentlichung ihres Romans, schied ihr Mann aus unbekanntem Grund aus dem Leben; sie beteiligte sich aber weiter an den Aktivitäten, die ihm wichtig waren: Er war zum Beispiel an der Gründung der Writers 'Association beteiligt, in der sie nun eine führende Rolle übernahm und junge Schriftsteller bei ihren Bemühungen unterstützte. Moralisch half sie Intellektuellen und Dissidenten, die sich gegen das Pahlavi-Regime aussprachen, unterstützte ihre Studenten akademisch und finanziell. 
Mitte der 1970er Jahre blieb es relativ ruhig um sie: Sie blieb außerordentliche Professorin und wurde Vorsitzende der Abteilung für Kunstgeschichte und Archäologie. Neben der Arbeit an der Uni schrieb sie weiterhin Kurzgeschichten, die in Magazinen erschienen und 1980 als Wen sollte ich grüßen als Buch veröffentlicht. Sie hält mit ihnen an ihren bekannten Qualitätsstandards fest. In dieser letzten Sammlung erweitert Daneshvar ihre früheren Überzeugungen. Die Vielfalt ihrer Charaktere und ihre Themenauswahl spiegeln ihr gründliches Verständnis der facettenreichen iranischen Gesellschaft wider. Sie fängt die Mentalität, die Ideale, Bestrebungen, Lebensstile, Redeweise und populäre Äußerungen der verschiedenen sozialen Schichten des Iran ein. Ihre abgerundeten Charaktere sind repräsentativ für ihre Zeit und ihren Ort und bieten eine farbenfrohe Sicht auf das iranische Verhalten.
Jalal Ale Ahmad
In ihren Kurzgeschichten finden sich die Themen ihrer Gesellschaft wider: Kinderdiebstahl, Ehebruch, Ehe, Geburt, Krankheit, Tod, Verrat, Profit, Analphabetismus, Ignoranz, Armut und Einsamkeit. Es sind die sozialen Probleme der 1960er- und 1970er-Jahre in ihrem Land.
Woher nimmt sie ihre Inspiration?: Einfache Menschen haben viel zu bieten. Sie müssen in der Lage sein, frei und mit Verstand zu geben. Auch wir müssen ihnen im Gegenzug das Beste geben, was wir können. Wir müssen mit all unseren Fähigkeiten und dem Herz versuchen, ihnen zu helfen, das zu erlangen, was sie wirklich verdienen. 

1979 zog sich Simin Daneschwar zurück; 1981 vollendete sie die Monografie Der Verlust von Jalal über ihren Mann - ihr bewegendstes Stück und die beste Arbeit über einen der iranischen Literaturführer. Bis zu ihrem Tod am 8. März 2012 lebte sie als freie Schriftstellerin allein in Teheran.

Nur zwei ihrer Werke gibt es als deutsche Ausgabe: Drama der Trauer und Frag doch die Zugvögel


Simin Daneschwar: Drama der Trauer, Glare Verlag, 1997
Zari ist eine traditionelle, sich zugleich als emanzipiert verstehende Frau - hin und her gerissen zwischen dem großen gesellschaftlichen Engagement und ihrer häuslichen kleinen Freiheit als Ehefrau des Großgrundbesitzers Yussof. Erst der gewaltsame Tod ihres Mannes ermutigt sie und eröffnet ihr neue Entscheidungsmöglichkeiten. "Einer muss aufstehen und nein sagen", dieses Motiv spielt in dem Roman eine herausgehobene Rolle, umfasst aber bei weitem noch nicht den ganzen Inhalt. Die europäische Herausforderung, die durch die Anwesenheit der in den zweiten Weltkrieg verwickelten Engländer im Iran hautnah erfahren wird, führt die Notwendigkeit einer Umgestaltung der Gesellschaft vor Augen. Der Weg dorthin ist jedoch lang und mühevoll und nicht von einer Generation allein zu bewältigen.



Simin Daneschwar: Frag doch die Zugvögel, Glare Verlag, 2012
Simin Daneshwar, die unermüdliche Kritikerin ihrer Zeit, ist heute aktuell wie eh und je. Die große Dame der iranischen Literatur zeigt in ihren jüngeren Erzählungen ebenso wie in ihren frühen literarischen Arbeiten die Verlogenheit derjenigen, die die Macht haben und die immer wieder gleichen Unterdrückungsmechanismen anwenden, unter denen die Frauen stets doppelt leiden. Dass im Namen ihres Glaubens Unheil angerichtet wird, konnte sie ebenso wenig hinnehmen wie das Leiden der Menschen unter Hunger und Armut. Und doch glauben ihre Protagonistinnen, wie sie selbst es stets tat, an den Sieg des Guten über das Böse.

Quelle: 
Wikipedia.de
iranchamber.com 


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