24.7.21

Gegen das Vergessen - Zum Tode von Esther Bejarano

Niemand kann aus der Geschichte seines Volkes austreten. Man soll und darf die Vergangenheit nicht auf sich beruhen lassen, weil sie sonst auferstehen und zu neuer Gegenwärtigkeit werden könnte.

Jean Amery, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und ein Opfer des Nationalsozialismus


Am 10. Juli 2021 starb eine weitere große Stimme "Gegen das Vergessen": Esther Bejarano - deutsche jüdische Überlebende des KZ Auschwitz-Birkenau. Bis zu ihrem Tod war sie im Internationalen Auschwitz-Komitee aktiv. Zum ersten Mal begegnete ich ihr in Reiner Engelmanns Buch "Wir haben das KZ überlebt - Zeitzeugen berichten", in dem sie sich neben anderen Überlebenden an diese unsägliche Zeit erinnert.

Das zweite Mal sah ich sie dann in einem Konzert mit der Rapgruppe Microphone Mafia aus Köln. Leider nicht live, sondern nur in einem Video. Mit 89 Jahren stand sie dort auf der Bühne - 170 Konzerte in nur drei Jahren - meine Hochachtung.


Nun ist diese Stimme verstummt - an uns liegt es nun, regelmäßig an sie, ihr Leben und ihren Kampf zu erinnern. Zum Beispiel mit ihren persönlichen Erinnerungen "Esther Bejarano, Erinnerungen".

Von Reiner Engelmann habe ich hier schon einige Bücher vorgestellt, wie zum Beispiel Der Fotograf von Auschwitz, in dem wir Wilhelm Brasse kennenlernen, durch den wir wiederum von Czesława Kwoka erfahren, die das KZ Auschwitz nicht überlebt hat.

Reiner Engelmann wurde 1952 in Völkenroth geboren, war im Schuldienst tätig, wo er sich besonders in den Bereichen der Leseförderung, der Gewaltprävention und der Kinder- und Menschenrechtsbildung starkmachte. Er organisiert für Schulklassen und Erwachsene regelmäßig Studienfahrten nach Auschwitz.

Weitere Bücher sind unter anderem: "Alodia, du bist jetzt Alice!" oder "Der Buchhalter von Auschwitz".

Einem weiteren Kämpfer gegen das Vergessen bin ich auf Facebook begegnet: Luigi Toscano mit seinen ausdrucksstarken überlebensgroßen Porträts von Holocaustüberlebenden. Ich glaube, als ich ihn das erste Mal auf Facebook sah, nahm sein Projekt gerade Fahrt auf. Und was ist in den Jahren daraus geworden. Luigi Toscano ist ein deutsch-italienischer Fotograf und Filmemacher aus Mannheim. In viele Länder ist er gereist, um sie zu fotografieren. Und aus vielen Ländern wurde er eingeladen, seine Ausstellung dieser Porträts vorzustellen. 2015 erschien der Bildband "Gegen das Vergessen". Sein Dokumentarfilm "GEGEN DAS VERGESSEN" wurde für den Deutschen Menschenrechts-Filmpreis 2020 nominiert.

Im Gespräch mit Luigi Toscano - Gegen das Vergessen --- Wie alles begann


Eine Bücherliste zum Thema, die ich nach und nach erweitere, findet ihr auf meiner Literaturplattform:

21.7.21

Danuta Bieńkowska

 


Nur eines ihrer vielen Werke (Prosa, Sachbücher, Jugendbücher) wurde ins Deutsche übersetzt: "Wenn du mich liebtest", übersetzt von Christa und Johannes Jankowiak, 1981 im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar in der Reihe Edition Neue Texte erschienen.

Danuta Bieńkowska (31. Januar 1920 - 20. August 1992) war nicht nur eine fleißige Schriftstellerin, sie hat auch viele Werke aus dem Rumänischen übersetzt.

Und noch eine interessante Sache am Rande: Die polnische Wikipedia hat wesentlich weniger Informationen als die deutsche.

Danuta Bieńkowska machte 1937 in Posen ihr Abitur und studierte an der dortigen Universität Medizin. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs kam sie nach Rumänien und konnte in Bukarest ihr Studium fortsetzen. 1943 wurde sie Mitglied der Rumänischen Kommunistischen Partei und leitete nach Abschluss des Studiums für einige Zeit ein Krankenhaus im heutigen Moldawien. 

Im Juli 1945 - wieder zurück in Polen - war sie in Breslau als Ärztin tätig, engagierte sich politisch und trat verschiedenen Vereinen bei. Von 1949 bis 1951 arbeitete sie als medizinische Beraterin in der Anstalt für Arbeitersiedlungen (Zakład Osiedli Robotniczych) in Warschau.

1948 debütierte Danuta Bieńkowska in der Zeitung Trybuna Dolnośląska mit ihrer Erzählung "Zdrada". Sie trat im selben Jahr dem  Verband der Polnischen Literaten bei. Sie konzentrierte sich dann aufgrund einer Erkrankung auf ihr literarisches Schaffen; leitete in der Wochenzeitung Żołnierz Polski den Literaturteil und arbeitete von 1965 bis 1974 als Literaturkritikerin in Głos Pracy.

Ihre Werke wurden anscheinend hauptsächlich in polnischen Monatszeitschriften veröffentlicht.



Danuta Bienkowska: Wenn du mich liebtest

Inhalt
Große Erwartungen knüpft Jadwiga an ihre erste Arbeitsstelle auf dem Lande, nachdem sie das unterkühlte intellektuelle Elternhaus in Warschau verlassen hat, um sich aus eigener Kraft ein sinnerfülltes Leben aufzubauen. Mit wachen Augen beobachtet sie die Menschen in ihrem täglichen Tun, verfolgt sie voll innerer Spannung die neue Umgebung, die sich nur allmählich erschließt. Gewiß, in dieser ihr zunächst fremden dörflichen Welt einen festen Platz zu finden, setzt sie ihr ganzes fachliches Können für die Bewältigung der Aufgaben auf dem Staatsgut ein, was ihr mit der Zeit die Sympathien der Mitarbeiter einbringt. Dennoch spürt sie, daß ihr, einer unverheirateten Frau in verantwortlicher Position, die volle Anerkennung versagt bleibt.
Innerlich zutiefst verletzt, überprüft sie noch einmal ihre Haltung, vergleicht sie ihre Vorstellungen von Arbeit und persönlichem Glück mit dem Los der Frauen im Dorfe. Sie weiß, daß sie die überkommenen Denkweisen nicht akzeptieren kann. Wird sie aber den Mut haben, gegen die noch bestehenden Barrieren anzugehen? Oder wird auch sie, enttäuscht und resigniert, in eine wenig befriedigende Partnerschaft flüchten?

Buchbeginn
"Wenn wir heiraten, wirst du endlich anfangen, wie ein Mensch zu leben", sagte Zygmunt mit solcher Überzeugung, daß mir der Mut fehlte, ihm zu widersprechen...

Zitat
Nur daß ich mich nicht zur Hüterin des häuslichen Herdes eignete.
Ich erwähne das bloß deshalb, weil ich damals erst begriff, welch ein hartes Leben mich erwartete, wie schwer es mir fallen würde, mich ganz der Berufsarbeit hinzugeben, ohne Rückhalt in einem gut geordneten Zuhause zu haben, wo ständig jemand darauf bedacht war, mir zu helfen, mich mit Fürsorge zu umgeben.

17.7.21

Henry Beston - Das Haus am Rand der Welt


 Henry Beston ist Jahrgang 1888, er war Schriftsteller und Naturforscher. Er studierte, war Unilehrer und während des Ersten Weltkriegs diente er als Krankenwagenfahrer. 1918 wurde er Pressevertreter der US Navy und war zu der Zeit der erste amerikanische Kriegskorrespondent. Nach dem Krieg schrieb er Märchen, heiratete Elizabeth Coatsworth, die auch Kinderliteratur schrieb, und bekam zwei Töchter.

Henry Beston war von den Erlebnissen während des Krieges so erschüttert, dass er sich zurückziehen wollte. Er verbrachte ein Jahr in der Natur von Cape Cod, am Außenstrand von Eastham: "Die Natur ist Teil unserer Menschlichkeit, und ohne ein Bewusstsein für dieses göttliche Geheimnis hört der Mensch auf, Mensch zu sein", schrieb er.

Beston gilt als einer der Väter der modernen Umweltbewegung und war Motor für die Gründung der Cape Cod National Seashore.

1928 erschien dieses Buch, in dem er über dieses Jahr schrieb. Das Haus, in dem Beston während dieses Jahres lebte und von ihm "das Fo'castle" genannt wurde, wurde im späten Frühjahr 1925 vom Eastham-Zimmermann Harvey Moore gebaut.

Ich mag ja maritime Geschichten, und der Autor hat mich schon mit seinem ersten Satz gehabt, wie man so schön sagt:

Östlich der Küste Nordamerikas und ihr vorgelagert, etwa dreißig Meilen und mehr vom Gestade Massachusetts entfernt, erhebt sich aus dem offenen Atlantik der verbliebene Rest eines alten und untergegangenen Landes.

Und so folgt Seite für Seite, aus denen ich Zitate rausschreiben könnte. Wie zum Beispiel die Passage, in der er über die Geräusche des Meeres, der Brandung erzählt und ich kann mich einfach nicht satt lesen. Er selbst schreibt, dass er zu seiner Zeit noch nie etwas darüber gelesen hat. Ich habe es bis heute nicht und habe es wie gebannt gelesen.

So ganz einsam war er nicht. In der Nähe waren Leute vom Küstenschutz und er hatte viel zu beobachten. Er erzählt auch von Schiffsunglücken, bei den man damals noch nicht helfen konnte, wie es heute der Fall ist. Oftmals blieb den Menschen am Strand nichts weiter übrig, als zuzuschauen und später das angeschwemmte Holz zu sammeln.

Als sein Jahr zu Ende geht, kommt noch ein kleiner Bericht über die Vogelwelt, der sich wunderbar liest.

Zum Schluss noch ein Zitat, das wir uns alle ans Revers heften sollten:

Wer die Natur gering schätzt, schätzt auch den Menschen gering.

15.7.21

Enchi Fumiko

 Die japanische Schriftstellerin Enchi Fumiko (2.10.1905-12.11.1986) lernte von Privatlehrern Französisch, Englisch und klassisches Chinesisch. Schon während der Schule las sie Oscar Wilde und Edgar Allan Poe. Sie besuchte die Frauenuniversität Ochanomizu und Vorlesungen von Osanai Kaoru über das Theater. Ihren literarischen Durchbruch schaffte sie mit dem Roman Himojii Tsukihi, für den sie 1953 den Preis der Gesellschaft der Schriftstellerinnen erhielt.

Leseprobe aus "Ahorn im Winter", abgedruckt in "Erkundungen - 19 japanische Erzähler" (Verlag Volk und Welt Berlin, 1989):

"Verliebt bin ich...", flüsterte Yoko vor sich hin, während sie im Spiegel ihr Gesicht betrachtete. Die Linien, die von den Wangen zu den Mundwinkeln führten, verzogen sich zu unbestimmten Wellenbergen und -tälern. Bedeuteten sie nun unterdrückten Schmerz oder zurückgedrängte Freude? Jedenfalls glaubte Yoko in dieser unnatürlichen Miene, von der sie sich selbst abgestoßen fühlte, den Kampf zu erkennen, den die zu ihrem Alter wenig passende, plötzlich aufgeflammte, sie bestürmende Lebensenergie gegen eine sich dagegenstemmende Kraft ausfocht. Im Augenblick aber, in dem ihr das klar wurde, regte sich in ihr auch schon der Instinkt der Schauspielerin, und prüfend blickte sie regungslos in den Spiegel, während ihre Fingerspitzen, die in Kreisen über die Wangen strichen, herauszufinden suchten, wie der Mechanismus, der hinter dieser unbestimmten Verzerrung steckte, die Muskeln in Bewegung setzte...

Eine deutsche Ausgabe des Buches habe ich leider nicht gefunden.

Bild: Enchi Fumiko, links, 1960


13.7.21

Ada Leverson

 


Ada Leverson (10.10.1862-30.08.1933) war eine englische Schriftstellerin und Freundin von Oscar Wilde. Durch ihre Mutter wurde sie musikalisch gefördert, spielte Klavier und komponierte kleinere Stücke. Doch ihr Interesse galt der Literatur. Die Ehe mit dem wesentlich älteren Ernest Leverson ging in die Brüche, eine kurze Liaison verband sie mit George Moore. Sie leitete einen Salon, in dem sie namhafte SchriftstellerInnen und andere KünstlerInnen empfing. 

Ihr anscheinend einziges auf deutsch erschienenes Werk "Liebe auf den zweiten Blick" erschien 1916 und wurde 1998 in 1. Auflage vom Insel-Verlag herausgegeben.


"Liebe auf den zweiten Blick ist die Geschichte einer in Konventionen erstarrten Ehe. Ort der Handlung: London zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Ein unerwarteter weiblicher Dauergast und das überraschende Lebenszeichen eines früheren Liebhabers bringen endlich Bewegung in das Leben von Bruce und Edith Ottley."


Insel Taschenbuch 2192

12.7.21

Maria Nurowska

Porträt von Maria Nurowska Autor Zbigniew Kresowaty

 Die polnische Schriftstellerin Maria Nurowska wurde am 3. März 1944 in Okólek (damals Landkreis Sudauen in Ostpreußen, vorher und danach Suwałki in Polen) geboren. Sie studierte Polonistik und Slawistik an der Universität Warschau, arbeitete unter anderem als Stewardess und Modell. 

Ihr erstes Werk veröffentlichte sie 1974 in der Zeitschrift Literatura. 1977 trat sie dem polnischen Schriftstellerverband bei. Seit Ende der 1980er Jahre gehört sie zu den meistgelesenen Schriftstellerinnen Polens. Doch nicht nur in Polen, sondern auch im Ausland, vor allem im deutschsprachigen, fand sie ihre Leserschaft. Von ihren bisher 17 erschienenen Romanen (Stand 2008) wurden zwölf ins Deutsche übersetzt. Ihre Werke gehören zur sogenannten Frauenliteratur. Sie schreibt über die Psyche der Frau, vor allem in extremen, oft pathologischen Lebenssituationen. Die Handlungen werden getragen von Gefühlshaltungen im Spannungsgefüge der Liebe und Erniedrigung, Verantwortung und Ausgrenzung. Die Begebenheiten sind eingebettet in historischen und politischen Ereignissen der jüngsten polnischen Geschichte, zum Beispiel des Warschauer Aufstandes, der Lebensanomalien in der Volksrepublik, in Zeiten des Kriegszustandes (1981) und des latenten polnischen Antisemitismus. 

In ihrem Roman Briefe der Liebe nahm sie das Leben der Holocaustüberlebenden Krystyna Żywulska auf. 


Ich habe von ihr das Jugendbuch Das Mädchen im Elfenbeinturm, 1985 erschienen im Aufbau-Verlag, gelesen: 

Es ist nicht leicht für Anka. Ihr Leben wird von ihrer Herzkrankheit bestimmt. Bei ihr läuft alles langsamer ab. Strengt sie sich an oder regt sie sich auf, wird das in der Regel sofort mit einem Anfall bestraft. Es gäbe eine Möglichkeit, dem ein Ende zu machen; eine Herz-Operation soll ihr helfen. Aber die Eltern sind noch dagegen. Besonders ihre Mutter ist übervorsichtig mit ihr. Hat ihr eigenes Selbst aufgegeben.

Als Anka Marek kennenlernt und sie Freunde werden, klappt das ganz gut, solange Marek nichts von ihrer Krankheit weiß. Doch eines Tages kommt er dazu, nachdem sie einen Anfall hatte und sich ein alter Mann um sie kümmerte. Seitdem sehnt Anka die Operation herbei. Als ihre Mutter für einige Zeit ins Ausland verreist, ist das ihre Chance. Gemeinsam mit Marek tüftelt sie einen Plan aus… 

Ich habe keine Erinnerung mehr daran, ob mich das Buch damals als Jugendliche vom Hocker gerissen hat. Heute tat es das nicht. Allerdings waren die Tochter-Vater-Gespräche sehr spannend. 

Weitere Bücher finden sich auf meiner Literaturplattform yourbook,shop.