19.6.09

Walter Kempowski: Sirius

Klappentext

"Sirius" versammelt Walter Kempowskis Tagebuchaufzeichnungen des Jahres 1983, des Jahres seiner "Hundstage" (Sirius ist der Hundsstern). Durchsetzt ist dieses Tagebuch mit Kommentaren aus der Sicht von 1990, dem Jahr der Veröffentlichung. Schon zu dieser Zeit wendet Kempowski die "Echolot-Technik" an, ein Stimmungs- und Zeitbild aus den alltäglichen, kleinen, scheinbar banalen Gegebenheiten zu gewinnen. Zugleich aber entsteht ein bissiges, böshumoriges, schonungsloses Selbstporträt des Erfinders des "Echolot".


Ich liebe seine Tagebücher. Der Mann nimmt kein Blatt vor den Mund, schreibt seine Meinung zum Tagesgeschehen. zu seinen Besuchern, spart nicht mit Kritik an Kollegen und übt auch Selbstkritik ("Kempowski ist schwierig.")

Er notiert seine Träume (viel von der Haft in Bautzen), was er gerade liest, im TV gesehen hat und welche Musik er hört.


Zitate

Nartum, Sa 29. Jan 1983

Im Bildarchiv lagern jetzt ca. 200.000 Fotos. Sie machen etwas mehr Arbeit als die Biographien, sie müssen regelrecht gepflegt werden.

"Was wollen Sie mit all diesen Bildern?"

Mit einer solchen Frage kann ich nichts anfangen. Die bloße Bewahrung vor der Vernichtung gibt der Sammlung schon einen Sinn. Genausowenig kann ich sagen, wozu die Sammlung von Biographien und Tagebüchern dienen wird. Bisher ist es noch immer so gewesen, daß ich mit dem, was ich aus subjektiver Getriebenheit tat, etwas Sinnvolles anfangen konnte. Nichts schöner, als eine Biographie lesen, und wundervoll, alte Fotos anzusehen. Die schönsten Fotos suche ich heraus und lege sie unter selbstgeschnittene Passepartouts.

1990: Inzwischen hat sich ganz von selbst ein Projekt ergeben, in das ein großer Teil der zeitgenössischen Berichte eingehen könnte: Das "Echolot", ein kollektives Tagebuch von 1943 - 1949. Damit werde ich mich wahrscheinlich den Rest meiner Tage beschäftigen.

Oktober 2000: Einweihung des Archivanbaus. Er beherbergt auf 200 qm das Kempowski-Archiv für unpublizierte Autobiographien und das Archiv der Alltagsfotografien. 

4.6.09

Diane Setterfield: Die dreizehnte Geschichte

Das Buchcover ist schon mal eine Wucht. Das stach mir sofort ins Auge, als ich in meinem Buchladen die Regale langspaziert bin. Als ich dann im Klappentext las, dass eine Schriftstellerin und eine Buchhändlerin mitspielen, war es um mich geschehen. Ganz hin und weg war ich dann, als ich auf den ersten Seiten las, dass Margaret Biografien schreibt. Das ist nämlich ein Hobby von mir. Noch dazu teilt sie meinen Lesegeschmack: Biografien, Autobiografien, Memoiren, Tagebücher und Briefe.


Vida Winter hat in 56 Jahren 56 Bücher geschrieben. Zweiundzwanzig Biografen haben schon versucht, ihr Leben zu erzählen. Sie hat sie alle an der Nase herumgeführt. Warum? Weil sie ein Geheimnis zu hüten hat. Ein Familiengeheimnis. Welches sie jetzt aber, wo sie todkrank ist, jemandem beichten möchte. Nur nicht irgend jemandem. Margaret Lea muss es sein.

Warum ich, fragt sich Margaret, als sie eines Tages einen Brief von Vida Winter erhält und nach einem Besuch bei ihr erfährt, dass sie deren Biografie niederschreiben soll.

Und wie in einen Strudel wird Margaret in die Geschichten der Vida Winter hineingezogen. Sie verliert sich fast darin. Kein Wunder: Sie macht sich Notizen, wenn Vida Winter erzählt, dann schreibt sie sie in ihrem Zimmer in Klartext auf und selbst nachts ist sie in ihren Träumen darin gefangen.

Und so langsam, mit Hilfe ihres Vaters und eigener Recherchen, bringt sie Licht in das Dunkel dieser Familie und auch in ihre eigene, bisher geheim gehaltene Geschichte.

Die Autorin hat einen wundervollen Schreibstil, der es mir sehr schwer machte, das Buch mal aus der Hand zu legen. Sie führt uns von einem Rätsel zum anderen. Manchmal denkt man, ha, jetzt hab' ich es. Jetzt weiß ich, wohin der Hase läuft. Und dann schlägt er wieder Haken. Aber jede noch so kleine Unklarheit wird am Ende aufgelöst.

Und Vida Winter? Die hat uns des Rätsels Lösung in ihrem ersten Gespräch mit Margarete mitgeteilt. Aber: Weiß selbst sie die ganze Wahrheit?


Nach einigen Versuchen habe ich festgestellt, dass Leserunden einfach nichts für mich sind. Das nun Folgende habe ich zu einer Runde beigetragen. Wobei es mir noch schwerer als ohnehin fiel, weil ich die Einzige war, die das Buch schon kannte:


Das erste Kapitel, Der Brief, habe ich soeben abgeschlossen. Ich bin schon wieder hin und weg von dem Schreibstil der Autorin, deren Erstlingswerk das ja auch noch ist. Durch den Brief lernen wir Ida Winter schon ein ganz klein wenig kennen. Journalisten hat sie über ihr Leben ständig an der Nase herumgeführt. 22 Biografen haben schon versucht, ihr Leben zu erzählen. Ist ja Wahnsinn. Sie hat in 56 Jahren 56 Bücher geschrieben, die millionenfach verkauft wurden, in zig Sprachen übersetzt wurden und: Margaret kennt kein einziges davon.

Was mag diese Ida Winter nun von ihr wollen?

Ich bin ja kein von Neid zerfressener Mensch, aber diese Margaret beneide ich. Sie führt ihr Antiquariat, obwohl es kaum etwas abwirft. Sie und ihr Vater leben davon, dass er ungefähr sechsmal im Jahr ein Buch von A nach B transportiert.

Das wäre mein Lebenstraum. Dieses Leben werde ich führen, wenn ich einen Millionen-Lotto-Gewinn habe. Da bin ich mir ganz sicher.

Margaret ist mir absolut sympathisch. Sie teilt mit mir den Lesegeschmack: Biografien, Autobiografien, Memoiren, Tagebücher und Briefe. Und sie schreibt selbst auch Biografien. Darin versuche ich mich ja auch.

Die gesamte Familie Angelfield scheint im Oberstübchen nicht ganz richtig zu laufen.

Charlie, der seiner Schwester weh tut, und die es sich gefallen lässt. Das findet man bei den Zwillingen auch wieder.

Der alte Vater, der nach dem Tod seiner Frau, das Haus verkommen lässt und sich um nichts mehr kümmert, Charlie, der dieses Sichnichtkümmern nach dem Tod des Alten weiterführt und im eigenen Dreck haust.

Die Zwillinge sind den ganzen Tag sich selbst überlassen. Die können anstellen, was sie wollen, es hat keine Konsequenzen. Das wird noch ganz übel.

Mir drängt sich ein wenig der Verdacht auf, dass in der Familie vielleicht schon lange Inzucht fabriziert wird. Das würde vielleicht einiges erklären.

Toll finde ich die Beschreibung von Vida Winter, wie sie ihr Leben geführt hat (S. 149, ziemlich in der Mitte, der Satz beginnt mit "Ich erinnere mich nur deshalb...") Sie muss ja schon ewig gewusst haben, dass ihre Schwester am Ende wartet. Und sie schreibt und schreibt, und was passiert dann?

So richtig schön finde ich die Passage, als Margaret mit ihren Nachforschungen beginnt und in den Almanachen nach den Angelfields sucht.

Das wäre eine Beschäftigung ganz nach meinem Herzen. Damit könnte ich mein Geld verdienen. In solchen Almanachen steht ja nicht viel drin. Aber man wird neugierig. Und man versucht, andere Quellen aufzutreiben, in denen man etwas über die gesuchten Personen herausfinden kann.

Eine neue Person taucht auf: Aurelius Alphonse Love. Die erste Person, mit der Margaret sich so richtig gut unterhalten hat, finde ich. Mal schaun, was er für ein Geheimnis birgt.

Vida Winter erzählt weiter:

Für die Zwillinge musste endlich etwas getan werden. Da Charlie in seiner eigenen Welt lebte, kümmerten sich der Doktor und der Anwalt der Familie darum, dass eine Gouvernante ins Haus kam.

Hester Barrow, sie stellt nun den Haushalt Angelfield auf den Kopf. Sie bringt einen Glanz mit, den das Haus und deren Bewohner ewig nicht gesehen haben. Selbst die Zwillinge hat sie ausgetrickst. Emmeline blüht unter ihrer Führung richtig auf.

Aber hält das auch an?

Margaret hat immer noch zu wenig Fakten für eine Biografie. Was sie bisher von Vida Winter erhalten hat, ist eine tolle Geschichte, mehr nicht.

Bei dem einen Gespräch zwischen Hester und dem Doktor könnte man fast herauslesen, dass Adeline schizophren ist. Dieses Gespräch läuft auf mehr hinaus, was eine einfache Gouvernante wissen kann. Sie muss aufpassen, um sich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen.

Es kommt aber zu einer Zusammenarbeit zwischen ihr und dem Doktor. Sie haben die Zwillinge getrennt, um zu experimentieren. In ihrem Eifer merken sie nicht, oder wollen sie es nicht merken, was für einen Schaden sie damit anrichten. Als die Sache dann abrupt beendet wird, haben sie nichts erreicht und Hester ist spurlos verschwunden.

Ich bin ja einfach dermaßen von dem Schreibstil der Diane Setterfield begeistert. Wie sie die aufkommende Vergesslichkeit der Missus beschreibt. Sie schreibt von Durchgängen, Fluren und Treppenhäusern in ihrem Gehirn, die ihre Gedanken miteinander verbinden, aber auch trennen.

Nach unserem Verständnis kann es sich dabei nur um Alzheimer handeln. Ich habe erst einmal nachgeschaut, ob es den Begriff damals schon gab. Und wirklich: Alois Alzheimer beschrieb den ersten Fall schon 1901. Aber unter den Menschen war das damals sicher noch kein gebräuchlicher Begriff.

3.6.09

Eric-Emmanuel Schmitt: Oskar und die Dame in Rosa

Klappentext

Der zehnjährige Oskar hat Leukämie und weiß, dass er nicht mehr lange leben wird. Die ehemalige Catcherin Madame Rosa bringt ihn auf die Idee, über alles nachzudenken, was ihn bewegt – in 13 Briefen an den lieben Gott. Unsentimental und unerschrocken erzählen Oscars Briefe von Liebe, Schmerz, Freude und Verlust. In nur wenigen Tagen erlebt er auf wundersame Weise ein ganzes Menschenleben.


Buchbeginn

Lieber Gott,

ich heiße Oskar, ich bin zehn Jahre alt, und ich habe die Katze, den Hund und das Haus angezündet (ich glaube, ich habe sogar die Goldfische gegrillt), und das ist der erste Brief, den ich Dir schicke, weil ich bis jetzt wegen der Schule nicht dazu gekommen bin.

Ich sag's Dir lieber gleich: Ich hasse das Schreiben. Muß mich wirklich dazu zwingen. Weil schreiben wie Lametta ist, Firlefanz, Schmus, Kokolores und so weiter. Schreiben ist nichts anderes als Schwindeln mit Schnörkeln drum herum.

Erwachsenenkram.