27.3.24

Rosemarie Zeplin: Alpträume aus der Provinz

Rosemarie Zeplin wurde 1939 in Güstrow geboren. Sie studierte Theaterwissenschaft in Leipzig, war kurze Zeit am Theater Dramaturgin und am Rundfunk in Berlin. 1967 wechselte sie in einen Beruf der Informationsverarbeitung und ist seit 1977 freischaffend.

Diese kurzen Infos stammen aus ihrem ersten Buch "Schattenriß eines Liebhabers".


Inhalt

„Erwachsen werden hieß, daß sich dann alles, alles wendet. Es war die Verheißung, die Lenis blindem, eingeschränktem Dasein Sinn gab.“ Ihrem Dasein in einer überaus komplizierten Familienordnung, in der der Vater nach seiner Rückkehr aus dem Krieg als schweigsamer Fremder lebt und zugleich eine dominierende Rolle spielt. Alle sollen sich ihm unterordnen: die unfähige Mutter, die hilflos seiner Tyrannei ausgesetzt ist, und die drei Töchter. Anngret, die rebellische Älteste, mit ihrem Talent zum Schwierigkeitenmachen, die unscheinbare Jüngste, Wiebke, vom Vater im stillen für eine Mißgeburt gehalten, und Leni, die es nicht viel Energie kostet, ein unproblematisches Kind zu sein. Es gelingt ihr sogar, für sich einen Freiraum zu errichten und eine gewisse Zuneigung des Vaters zu erwerben. Ihr eröffnet er Züge seines Wesens.

Die ärztliche Praxis des Doktor Moritzen gibt seinen Töchtern eine Sonderstellung in dem Provinzstädtchen Prieschow. Sie erfahren vieles, worüber sie nicht reden dürfen. Ihre Umwelt, das Kleinstadtleben in den fünfziger Jahren, erscheint ihnen drückend eng und feindlich. Sie rebellieren jeweils auf besondere Weise dagegen, suchen nach neuen Bindungen, nach gesellschaftlichen Idealen, nach einem erfüllten Leben, das für keine von ihnen in Prieschow denkbar ist.


Buchanfang

Für einen Arzt verstand es sich, daß er die eigene Familie nicht behandelte. Dieses Verbot beachtete der Vater streng wie alle Normen seines Standes. Als Laie konnte man den Sinn der Vorschriften nicht immer leicht begreifen, vor allem dann nicht, wenn der nie erklärt wurde. Kinder verstanden diese Dinge sowieso nicht, auch mit Erklärung. Was etwa hätte es genützt, Kindern zu sagen: Bei nah Verwandten ist man als Arzt befangen und von Gefühl verwirrt, die Hand mit dem Skalpell über der aufgeschnittenen Bauchwand kommt ins Zittern, in jedem Hüsterchen hört man schon eine Pneumonie!

Man konnte aber solche Hintergründe im Lauf der Zeit erfassen, wenn man sich aufmerksam verhielt und alle Auskünfte, auch die der Mutter, einbezog. Die Mutter wußte ungefähr, was Ärzte tun und lassen mußten, doch nie genau, warum. Deshalb vergaß sie es wahrscheinlich auch so oft. Wenn eins der Kinder krank geworden war, versuchte sie sofort, es als Patient dem Vater vorzuführen. Kannst du vielleicht nachher mal Wiebke ansehen, sagte sie mittags, wenn der Vater aß und dringend Ruhe brauchte. Oder sie setzte weniger direkt an, indem sie tat, als sei es ihre Pflicht, zu informieren. Schlechtes Gewissen machte sie noch ungeschickter, als sie es ohnehin im Umgang mit dem Vater war, und weil dazu noch Echolosigkeit sie irritierte, kam ihre Rede bald aus angestrebter Richtung, drehte sich ausweglos im Kreise und hörte schließlich ohne Abschluß einfach auf.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 


12.3.24

Lisa Fittko: Erinnerungen 1933 - 1941

Von Lisa Fittko gibt es "nur" zwei Bücher ihrer Erinnerungen. Sie  war eine österreichische Widerstandskämpferin gegen die nationalsozialistische Diktatur in Deutschland und im Zweiten Weltkrieg Fluchthelferin über die Pyrenäen zwischen Frankreich und Spanien. 

Am 12. März 2005 starb sie. 


Solidarität unerwünscht: Meine Flucht durch Europa - Erinnerungen 1933-40

Was heißt eigentlich Alltag im Widerstand? Wie sieht ein ganz normaler Tag für eine 24jährige Emigrantin aus? Lisa Fittko erzählt sehr konkret, wie brennend die Frage sein kann, woher Essen, wo ein Bett, wie Kleidung zu besorgen sind. Aber auch, wie man die Stunden verbringt, in denen man die alles bestimmende Politik vergißt, ist selten so persönlich geschildert worden. Lisa Fittko fügt mit ihren Erinnerungen unserem Wissen über die Jahre 1933-1940 eine persönliche, sehr anschauliche Dimension hinzu.

Mein Weg über die Pyrenäen - Erinnerungen 1940/41


Fragt man Lisa Fittko, was sie dazu gebracht hat, unter Einsatz des Lebens den Exilierten zur Flucht zu verhelfen, sagt sie: »Es war das Selbstverständlichste.« 

In einigen Exil-Erinnerungen ist, wenn es um einen Pyrenäen-Fluchtweg aus dem besetzten Frankreich ging, von einer "F-Route" die Rede – wer oder was sich hinter dem F verbirgt, wird nicht erklärt. Das vorliegende Buch löst dieses Rätsel: Der alte Schmugglerpfad wurde nach Lisa und Hans Fittko benannt, die monatelang von der Auslieferung bedrohte Hitlergegner zur spanischen Grenze geführt hatten. Es wäre nicht geschrieben worden, wenn nicht durch einen Zufall Gershom Scholem von Lisa Fittko gehört und sie gedrängt hätte, ihre Pyrenäenüberquerung mit Walter Benjamin (der sich dann, seine Verhaftung befürchtend, nach dem Grenzübertritt in Spanien das Leben nahm) aufzuschreiben. 

Die "F-Route" ist für die Fittkos nur eine Station einer langen Odyssee, die 1933 in Berlin begann und sie über Prag, Zürich und Amsterdam nach Paris führte. 1940 wurde Lisa Fittko als "feindliche Ausländerin" in dem berüchtigten Frauenlager von Gurs interniert. Sie entkam nach Marseille und stieß dort auf Varian Fry und das Emergency Rescue Commitee, das – meist illegal – organisierte Fluchthilfe betrieb. An seinen Hilfsaktionen hatten die Fittkos maßgeblichen Anteil. Der Strom der Flüchtlinge riss nicht ab; sie machten den gefährlichen Weg über die Pyrenäen bis zu dreimal in der Woche.

11.3.24

Kressmann Taylor: So träumen die Frauen

Aus dem amerikanischen Englisch von Marion Hertle
Mit einem Nachwort von C. Douglas Taylor

Inhalt

Zwischen Sehnsucht und Angst, Hoffnung und Wehmut, zwischen Glücksgefühlen und gebrochenen Herzen: Auf höchst einfühlsame Weise erzählt Kathrine Kressmann Taylor von fünf Frauen an Wendepunkten ihres Liebens und Strebens.

Die Autorin des weltweiten Erfolgs "Adressat unbekannt" hat Zeit ihres Lebens wunderbare Erzählungen geschrieben - fünf von ihnen erscheinen hier erstmals auf Deutsch.


Buchbeginn

In Ellie Pearl stieg eine unbestimmte Angst auf, dass der Duft der Bäume in dieser frühen Dunkelheit süßlich und stark sein könnte - der Geruch der feuchten Erde, der Pech-Kiefern und Nadeln - und so intensiv wie damals, als sie noch ein Dreikäsehoch war, barfuß herumrannte und jeden Pfad dieser Gegend kannte, als sie, ganz gleich ob im Kiefernwald oder über Granit, schnell laufen konnte und nicht darauf achten musste, wohin sie ihren Fuß setzte. Das alles kam nun in ihr hoch, und sie wusste selbst nicht genau, warum es ihr Unbehagen bereitete, während sie das letzte steile Stück durch den Wald bergan ging und auf glitschige Kiefernnadeln trat, auf denen sie mit ihren glatten Stadtschuhen ins Rutschen geriet.


Zitat

"Aber ich weiß, was ich will", versuchte Ellie Pearl ihr zu sagen. "Ich bin froh über alles, was ich getan habe. Nur bin ich nicht glücklich", sagte sie schwach.

10.3.24

Judith Hermann: Wir hätten uns alles gesagt

Inhalt

Eine Kindheit in unkonventionellen Verhältnissen, das geteilte Berlin, Familienbande und Wahlverwandtschaften, lange glückliche Sommer am Meer.
Judith Hermann spricht über ihr Schreiben und ihr Leben, über das, was Schreiben und Leben zusammenhält und miteinander verbindet. Wahrheit, Erfindung und Geheimnis - wo beginnt eine Geschichte und wo hört sie auf? Wie verlässlich ist unsere Erinnerung, wie nah sind unsere Träume an der Wirklichkeit?

Wie in ihren Romanen und Erzählungen fängt Judith Hermann ein ganzes Lebensgefühl ein: Mit klarer poetischer Stimme erzählt sie von der empfindsamen Mitte des Lebens, von Freundschaft, Aufbruch und Freiheit.

"Ein Zauberkunststück der Literatur."

Meike Feßmann, Deutschlandfunk


Buchbeginn

Vor einiger Zeit bin ich mitten in der Nacht auf der Berliner Kastanienallee in einem sogenannten Spätkauf zufällig und unverhofft meinem Psychoanalytiker begegnet - zwei Jahre nach dem Ende der Psychoanalyse und zum allerersten Mal außerhalb des Raumes, in dem ich jahrelang auf seiner Couch gelegen hatte.


Zitat

Das Schreiben entfernt sich mit dem Älterwerden von einem sicher geglaubten Zentrum, einer selbstverständlichen Gelassenheit. Es entfernt sich von der Gedankenlosigkeit. Es wird schärfer, zugleich weniger. Möglicherweise klingt es aus. Oder kehrt zu diesem Zentrum zurück und versucht es anders, versucht es noch einmal von vorne.
 

8.3.24

Irène Némirovsky: Das Mißverständnis

Dies ist das erste Buch von Irène Némirovsky. Jahrzehntelang wurde es nicht als Buch gedruckt, nur in einer Zeitschrift veröffentlicht. Dabei war hier schon ihr großes Talent erkennbar.

Ives hatte als Sohn reicher Eltern eine glückliche Kindheit. Die Eltern bemühten sich, ihm früh einen Sinn für Schönheit und Philosophie einzupflanzen. Er lernte, schöne Dinge zu lieben, Geld auszugeben, reiten, fechten, sich gut zu kleiden. Sein Vater lehrte ihm diskret den Umgang mit Frauen.

Mit achtzehn war Ives Waise und er ging auf Reisen. Und dann, mitten in sein schönes Leben, brach der Erste Weltkrieg hinein. Erste Begeisterung, dann Kälte, Hunger, Schützengräben, Dreck, Müdigkeit, Resignation, der Tod als ständiger Begleiter. Die Erinnerung daran ließ ihn nach dem Krieg nicht los. Dreimal verwundet und ausgezeichnet mit dem Kriegskreuz, kehrte er nach Paris zurück.

Ein bisschen Geld blieb ihm, es reichte für Zigaretten und Taxifahrten. Er hatte Glück und fand eine Stelle in einer großen internationalen Presseagentur.

Er lebte genügsam, um sich das Geld zu ersparen für einen Sommerurlaub in dem Seebad, das er schon als Kind liebte.

Dort begegnet er Denise, die verheiratet ist und eine kleine Tochter hat. Als ihr Mann für einige Zeit den Urlaubsort verlässt, kommen sich die beiden näher. Denise liebt Ives, aber von ihm wartet sie vergeblich auf die bestimmten drei Worte.

Merklich kühler wird das Verhältnis, als sie wieder in Paris sind. Ives muss jeden Tag ins Büro, Geld verdienen. Denise hat den ganzen Tag Zeit und Muße und kann über sich, Ives und ihr Verhältnis nachdenken. Er wird zu ihrem Lebensinhalt, sie wartet nur noch auf seinen Anruf.

Kann dieses Verhältnis von Dauer sein? Hätte die bisher verwöhnte Denise die Stärke, sich von ihrem Mann zu trennen, um an der Seite eines "armen" Mannes zu leben? Das lest selbst...

3.3.24

Mariama Bâ: Ein so langer Brief - Ein afrikanisches Frauenschicksal

 Aus dem Französischen von Irmgard Rathke


Inhalt

Nach dreißig scheinbar glücklichen Ehejahren wird eine Frau von ihrem Mann verlassen. Aber nicht wegen einer Geliebten: Er heiratet ein zweites Mal; ein Schulmädchen, das dieselben Rechte haben wird wie sie. Dieser preisgekrönte Briefroman ist ein erschütternder Aufruf zum Kampf gegen die Tradition der Polygamie und die Selbstaufgabe der Frau.


Buchbeginn

Aïssatou,

Ich habe deinen Gruß erhalten. Als Antwort und um mir einen Halt in meiner Verwirrung zu geben, beginne ich dieses Heft: aus unserer langjährigen Praxis habe ich gelernt, daß die vertrauliche Aussprache den Schmerz stillt. 

Deine Existenz in meinem Leben ist kein Zufall. Unsere Großmütter, deren Besitz durch einen Zwist getrennt wurde, tauschten täglich Nachrichten aus. Unsere Mütter wetteiferten darum, auf unsere Onkel und Tanten aufzupassen. Wir, wir haben auf demselben steinigen Weg zur Koranschule unsere Tücher und Sandalen abgenutzt. Wir haben unsere Milchzähne in denselben Löchern vergraben und dabei die Mäusefee angefleht, sie uns noch schöner wiederzugeben.


Zitate

Durch ihre Dauerhaftigkeit fordert die Natur die Zeit heraus und nimmt Rache am Menschen.


Während eine Frau im Laufe der Jahre, trotz des Alterns ihres Partners, sich diesem immer stärker verbunden fühlt, engt der Mann das Feld seiner Zärtlichkeit mehr und mehr ein. Sein egoistisches Auge schaut seiner Ehefrau über die Schulter. Er vergleicht das, was er hat, mit dem, was er haben könnte.