24.1.24

Elizabeth Maguire: Fenimore

Elizabeth Maguire schreibt in Romanform über die Bekanntschaft zwischen Constance Fenimore Woolson, Großnichte von Fenimore Cooper, und Henry James. Sie lässt - ich benutze mal den Buchtitel - Fenimore - in der Ichform erzählen.

Von ihrem Großonkel hat sie die Weisheit,

"...man muß die Leser stets im ungewissen über das lassen, was als nächstes passiert. Die Menschen geben es nicht gerne zu, aber was sie in Wirklichkeit wissen wollen, ist, wie es ausgeht - am Schluß." (S. 27)

39 Jahre alt ist Fenimore, als ihre Mutter stirbt und sie sich nun endlich auf die Reise nach Europa machen kann. Seit zwanzig Jahren schon schrieb sie Geschichten und Skizzen, verdiente also ihr eigenes Geld. Sie galt als erster "weiblicher Regionalautor". (S. 31)

Doch sie hatte sich noch um eine Schwester und Nichte zu kümmern. Und ihre Reise konnte sie nur machen, wenn sie die beiden mitnahm. Und fahren muss sie, will sie doch unbedingt Henry James kennenlernen.

"Hat es Ihnen schon einmal das Herz gebrochen, wenn ein Buch zu Ende geht? Kennen Sie es, daß ein Schriftsteller Ihnen noch ins Ohr flüstert, lange nachdem sie die letzte Seite umgeblättert haben? Hätten nicht auch Sie gern einmal jene Person kennengelernt, die die Welt mit ihren Augen sieht, um das Gespräch mit ihr fortzusetzen?

So erging es mir mit Harry, lange bevor ich ihn leibhaftig begegnete." (S. 35)

Fenimore genoss die Überfahrt nach England. Den beiden anderen Frauen erging es da schlechter. Sie wurden seekrank. In London stellte Fenimore ihre Bedürfnisse hintan. Doch dann platzte ihr der Kragen:

"Achtet ihr mich so wenig, daß ich über meine Zeit und meine Gesellschaft nicht einmal so wie ein sechzehnjähriges Mädchen in den Ferien bestimmen darf?" (S. 41)

Ihr Wunsch, endlich Henry James zu treffen, erfüllte sich noch nicht. Sie erfuhr, dass er sich in Paris aufhielt, und so beschloss sie, nach Frankreich aufzubrechen. Doch dort verfehlte sie ihn, er war mittlerweile in Italien. Und er hatte absolut keine Lust oder Zeit, sich mit einer zweitklassigen Schreiberin zu treffen. Doch dann sollte es doch endlich klappen:

"In den nächsten Wochen machte Henry James mich zu seiner Aufgabe. An seiner Seite besichtigte ich viele herrliche Bilder. Er wollte, daß ich die Dinge so sah wie er. Darin war er wie die meisten Männer. Aber in anderen Dingen war er vollkommen anders - eine Quelle, von der ich am liebsten ewig getrunken hätte. Ich wünschte mir, so zu denken und zu fühlen wie der Künstler in ihm." (S. 48)

Die Freundschaft zwischen den beiden war wohl nicht ganz problemlos.

"Ich lief vor Harry fort. Und seinetwegen ließ ich King zurück, ohne zu wissen, wann ich ihn je wiedersehen würde und ob überhaupt. Plötzlich fühlte sich die Freundschaft mit Harry, um die ich mich so bemüht hatte, wie ein Joch an. Die Heftigkeit, mit der ich es am liebsten abgeschüttelt hätte, überraschte mich." (S. 98)

Er sah es nicht gerne, dass sie sich mit anderen Männern traf und legte ihr brieflich nahe, sich von ihnen zu trennen.

Fenimore hatte Probleme mit den Ohren. Das artete in Abständen zu starken Kopfschmerzen aus. Bevor sie an einen Spezialisten geriet, der sich tatsächlich um ihre Ohren kümmerte, hatte sie schon viele Ärzte konsultiert, die tatsächlich von ihr verlangten, sich nackt auszuziehen, damit sie ihren Bauch abklopfen konnten, um die hysterischen Wurzeln ihres Problems herauszufinden.

Auf dem Hügel von Bellosguardo in Florenz fand Fenimore ein Haus für sich. Es war noch gar nicht richtig fertig, da quartierte sich Henry James schon bei ihr ein. Als sie eines Tages von einem Spaziergang zurückkam, sah sie Henry auf der Terrasse, wie er sich vom Sohn des Koches "verwöhnen" ließ. Als sie ihn später darauf ansprach, gerieten sie in Streit und am nächsten Morgen war er weg.

Henry James neidete ihr ihren Erfolg. In der Zeitschrift "Harper's" tat er so, als bewundere er ihr Werk, doch "ließ der Meister es in Wirklichkeit aber nur klein erscheinen, heimatverhaftet und - was am schlimmsten war - weiblich. [...] Denn Zeile um Zeile hatte er das hinterlistige Porträt nicht nur eines Werks, sondern auch seiner Schöpferin entworfen." (S. 145/146)

Es war eine eigenartige Freundschaft. Fenimore hatte Henry gegenüber ihre Geheimnisse. So erzählte sie nichts über die Männer, mit denen sie sich traf oder über ihren Gesundheitszustand. Sie wusste, dass das Themen waren, die ihm unangenehm waren, andererseits nahm sie ihm so die Möglichkeit, sich als wahrer Freund zu erweisen. Aber nein, hier war sie egoistisch, weil sie weiterhin mit ihm zusammensein wollte.

Ein Arzt, der sich anscheinend nicht weiter mit ihrer Krankheit befassen wollte, verschrieb ihr Laudanum. Dr. Baldwin, der Arzt, der sich als einziger für ihre Krankheit interessierte und ihr helfen wollte, half ihr, von der Droge wieder runterzukommen.

Bei ihrem Ohrproblem konnte ihr anscheinend niemand helfen. Selbst die Spezialisten, die ihr Dr. Baldwin empfahl, entpuppten sich als unwillig, ihr tatsächlich zu helfen: "Die Begeisterung, mit der Ärzte einer fünfzigjährigen Frau Betäubungsmittel verschreiben, erstaunt mich immer noch. Ich glaube, sie würden alles tun, um uns zum Schweigen zu bringen. Unsere tatsächlichen Probleme langweilen sie offenbar zutiefst." (S. 230/231)

Und dann eröffnete ihr ein Arzt, dass ihre Ohrenschmerzen von einem Tumor her stammen und er sich wundere, dass sie immer noch lebt.

Bis zur letzten Seite ist mir Henry James nicht mehr sympathisch geworden.


Hier noch einige Zitate:

Für jemanden wie mich, die sich nur an ihre Arbeit gebunden fühlt, ist das Zuhause dort, wo die Phantasie blüht. Wo das Schreiben gelingt.

Immer noch kamen Harrys Briefe, manchmal zwei am Tag [...] Ich muß gestehen, daß ich, angesichts meiner eigenen Schreibpflichten, nicht immer mit dem Tempo seiner Korrespondenz Schritt halten konnte, doch ich tat mein Bestes. Wir teilten einander nicht nur mit, was wir erlebt hatten, sondern auch Ideen für Geschichten, kleine Szenen, künstlerische Zweifel und Theorien. Mein Traum von einer Schriftstellerfreundschaft begann sich zu erfüllen.


"Werden Sie sich Ihren Kontostand bei Harper's demnächst auch rahmen lassen, meine hochbezahlte Freundin?"
Oh, der Versuch, die Freude über meinen kleinen finanziellen Erfolg mit ihm zu teilen, war also ein Fehler gewesen! Mein Gesicht glühte.
"Natürlich nicht. Und Publikumsgunst macht aus mir noch nicht einen so schöpferischen Geist, wie Sie es sind, Harry. Mein Werk reicht nicht an den Saum des Ihren. Dessen bin ich mir vollkommen klar."
"Meine liebe Fenimore, ich wäre schon mit einem Bruchteil Ihres finanziellen Erfolgs sehr zufrieden. Wenn ich doch nur das Geheimnis von euch schriftstellernden Frauen lüften könnte. Nun ja." Er hielt inne.
Nichts ärgert einen Mann mehr als Eine Frau, die in einem Revier Erfolg hat, das er für sich beansprucht.

Lizzie drückte meine Hand. Wie ich ihr von den Lippen lesen konnte, flüsterte sie: "Und was, wenn er dich wirklich heiraten möchte?"
Die arme Lizzy begriff nicht, daß es das letzte war, was ich mir gewünscht hätte: Meine Talente auf immer zurückstellen, nur um in der zweiten Reihe hinter dem Meister zu stehen? Und meine Freiheit aufgeben, damit er jungen Männern, die er begehrte, nachjagen konnte? Niemals.

 

17.1.24

Brigitte Reimann: Die Geschwister

Die Geschichte spielt noch vor dem Mauerbau. Viele Menschen machen sich auf in den Westen. Was macht das mit denen, die zurückbleiben. Diese Zerrissenheit, aber auch das Verhältnis zwischen Partei und Künstlern fängt Brigitte Reimann wunderbar ein.


Inhalt

Die große Neuausgabe eines der meistdiskutierten Bücher der DDR-Literatur

Das Sensationsbuch erstmals so, wie die Autorin es schrieb

Dank eines Glücksfundes können wir diesen Roman, der aufgrund seiner verblüffenden Modernität derzeit international für Begeisterung sorgt, in einer ungekürzten, politisch ungeschönten Fassung auch hier neu entdecken.

Ostern 1961 erfährt Elisabeth, dass ihr über alles geliebter Bruder in den Westen gehen will, weil er in der DDR keine Zukunft sieht. Was wird bleiben von ihrer Gemeinsamkeit, wenn jeder seinen Idealen folgt? Wenige Tage hat sie noch Zeit, mit Uli zu reden. 

Die freiherzigere und mutigere, zugleich reifere und klarsichtigere Neuausgabe steht symbolhaft für das viel zu kurze Leben dieser faszinierenden Schriftstellerin, die sich selbst stets treu blieb. 


Buchbeginn

Als ich zur Tür ging, drehte sich alles in mir.

Er sagte: "Das vergesse ich dir nicht." Er stand gerade und ohne Bewegung mitten im Zimmer, er sagte mit einer kalten, trockenen Stimme: "Das werde ich dir nicht verzeihen."

Ich fand die Klinke, und draußen im Korridor hielt ich mich eine Weile an der Klinke fest, während ich auf seine Stimme wartete, auf einen Fluch oder darauf, dass er seinen Schuh gegen die Tür warf.

 

8.1.24

Petra Dittrich mit Rainer Moritz: Meine Inselbuchhandlung - Zwischen Bodden und Brandung

Inhalt

Direkt am kleinen, trubeligen Marktplatz von Gingst auf der schönen Insel Rügen hat sich die Rüganerin Petra Dittrich ihren Lebenstraum erfüllt: Nach zwanzig turbulenten Jahren in der Großstadt eröffnet sie hier ihre erste eigene Buchhandlung – trotz Risiken und Nebenwirkungen. Ihr Laden wird zu einem Wohnzimmer, für sie selbst sowie für all die Menschen, die sie hier besuchen und sich von ihr inspirieren lassen. Nach einem Morgenspaziergang am Meer bei Sturm und Regen wärmt sie sich mit einer Tasse Tee im Laden auf und begrüßt ihre Kundschaft mit einem Glas Sanddornlikör. Die Buchhändlerin hat für alle Lebenslagen das richtige Buch parat. Zu ihren Kund*innen gehören liebe und schräge Buchliebhaber*innen – eingefleischte Insulaner*innen ebenso wie Tourist*innen. Belohnt wird sie mit Marmelade aus Nachbars Garten, persönlichen Gesprächen und mit dem Deutschen Buchhandelspreis – zweifach! Und wenn Petra Dittrich mal frei hat, genießt sie den ganz besonderen Charme der Insel und zieht sich zum Lesen in die Dünen zurück.


 Buchbeginn

Ende Februar 2019. Nun ist es so weit. Ich stehe auf dem Gingster Marktplatz, es ist kalt, ein schneidender Wind fegt über die parkenden Autos hinweg. Wie immer um diese Jahreszeit sind die Einheimischen unter sich. Nur ab und zu verirren sich ein paar Touristen in den Ort. Ich schaue mich um, blicke hinauf zum wuchtigen Turm der St.-Jakobi-Kirche - bewusster als sonst, denn mit einem Mal habe ich Zeit, mir die geschweifte Turmhaube genauer anzusehen. Ich bin keine eifrige Kirchgängerin, doch auch dieser Bau gehört zu meinem Leben. Und dieses Leben nimmt nun eine Wendung, die ich mir nie vorstellen konnte ... und wollte.

Zitate

"Der Gingster Zauber hat mich irgendwann gepackt. Am Fuß der Kirche eine Buchhandlung zu betreiben, mich eins zu wissen mit Menschen, für die Taten mehr als Worte zählen - das ist bis heute meine allerbeste Gesundheitsvorsorge."

"Bis heute glaube ich fest daran, dass man manchmal sein Herz in beide Hände nehmen muss. Wer von einer Sache restlos überzeugt ist, wer für eine Sache brennt, der wird einen Weg finden."

"Ich weiß, Buchhändler ist ein Ausbildungsberuf, und mit keiner Silbe will ich bestreiten, dass man in dieser Phase viel lernen und sich auf seinen späteren Beruf vorbereiten kann. Dennoch glaube ich fest daran, dass man zur Buchhändlerin, zum Buchhändler geboren sein muss - wenn man es nicht als bloßen Job versteht, mit den Gaby Hauptmanns und E. L. James' dieser Welt möglichst schnell reichlich Umsatz zu machen. Anders gesagt: Ich bin überzeugt davon, dass es eine Art Buchhändler-Gen gibt, dass man tief in sich eine wahre Lust verspüren muss, in diesem Metier zu arbeiten."

Der Buchladen Rügen Gingst

7.1.24

Ingeborg Gleichauf: Denken aus Leidenschaft. Sieben Philosophinnen und ihre Lebensgeschichte

Inhalt

Die Philosophie, eine von Männern beherrschte Domäne? Die sieben hier porträtierten Philosophinnen beweisen das Gegenteil. Vom Mittelalter bis in unsere Zeit führt uns ihre Geschichte. Ein Buch, das zum Denken anregt und auch dazu, die eigenen Gedanken ernst zu nehmen.

Ein starker Wille und die ungehemmte Lust am Denken halfen den in diesem Buch porträtierten Frauen, eigenwillige Ideen zu entwickeln und sich in der von Männern beherrschten Welt zu behaupten. Dennoch haben sie das Leben nicht vergessen.

Christine de Pizan hat im Mittelalter ein heute für Frauen noch immer faszinierendes Werk verfasst; Karoline von Günderode verband Philosophie und Poesie, Rahel Varnhagen pflegte in ihrem Salon die Philosophie in Form gehobener Gespräche; Simone Weil setzte ihren scharfen Verstand ein im Kampf um die Rechte der Armen und Unterdrückten; Edith Stein, die als "Dame" nicht habilitieren durfte, resignierte dennoch nicht; Hannah Arendt hat es geschafft, Denken und Handeln, Philosophie und Politik zu vereinigen und Simone de Beauvoir entwickelte ihre eigene, von Sartre unabhängige Philosophie des Existenzialismus.

Sieben Frauen, die zeigen, wie faszinierend und lebendig das Denken sein kann. Ihr Beispiel macht Lust, auch das eigene Denken ernst zu nehmen. 

Buchbeginn

Vorwort
Philosophieren Frauen anders? Ist es nicht vielleicht sogar verfehlt, von Philosophinnen zu sprechen? Deren Existenz wurde in der Tat Jahrhunderte hinweg weitgehend geleugnet. Aber je mehr wir über ihre Geschichte erfahren, desto schneller werden die alten Vorurteile abgebaut.

Keine der sieben für dieses Buch ausgewählten Philosophinnen konnte ohne die Philosophie sein, aber sie lebten nicht nur für das Denken. Eigenwillig waren sie und manchmal schwer zu begreifen in ihrem Hang zur Exzentrik, zum Extrem.


Zitate

Lisette von Metting an Karoline von Günderrode: "Ich kann mich täglich weniger in die Welt und die bürgerliche Ordnung fügen, Karoline, mein ganzes Wesen strebt nach einer Freiheit des Lebens, wie ich sie nimmer finden werde."

Edith Stein: "Bücher nützten mir nichts, solange ich mir die fragliche Sache nicht in eigener Arbeit zur Klarheit gebracht hatte."

Simone de Beauvoir: "Wäre unser Leben unendlich, es löste sich in der Gleichgültigkeit des Universums auf."



Michaela Karl: "Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber" - Dorothy Parker - Eine Biografie

"Endlich! Endlich eine umfassende, mit Leidenschaft und Kenntnis geschriebene Biografie der wunderbaren New Yorker Schriftstellerin Dorothy Parker, die zu klug für Illusionen und damit für die Liebe verloren war und deren Leben und Schreiben uns zum Weinen und Lachen bringt."

Elke Heidenreich


Inhalt

In den Roaring Twenties war sie die Königin von New York. Ihre scharfe Zunge und ihr beißender Witz wurden Legende. Sie stritt mit Ernest Hemingway, schlief mit F. Scott Fitzgerald und soff mit Truman Capote. Dorothy Parker schrieb für Vogue, Vanity Fair und den New Yorker und gehörte zur legendären Tafelrunde des Hotels Algonquin, wo sich die kulturelle Szene der Stadt traf. Ihre sarkastischen Verse und pointierten Kurzgeschichten erzählen von zerplatzten Träumen und dem Warten auf das Klingeln des Telefons.


Buchbeginn

Prolog

Meine Reise zu Dorothy Parker

Dies ist eine Liebesgeschichte. Die Liebesgeschichte zwischen einer Stadt und einer außergewöhnlichen Frau. Die Liebesgeschichte zwischen New York City und Dorothy Parker.


Zitate

"Tragödien töten uns nicht, nur Chaos bringt uns um. Ich kann Chaos nicht ertragen."

"Das Gehalt ist Nebensache. Ich brauche nur genug, um Leib und Seele auseinanderzuhalten."

"Hass kann einen erfüllen, aber nicht ernähren."

"An dem Tag, an dem du Ungerechtigkeit akzeptierst, solltest du dich erschießen."