1.6.23

Tove Ditlevsen: Kopenhagen-Trilogie

Kindheit

Inhalt

Tove Ditlevsen schreibt über ein Frauenleben, ihr eigenes, so unmittelbar und eindringlich wie niemand sonst: In Kindheit erzählt sie von den Anfängen im Kopenhagen der 1920er Jahre, von Tove, die sich als junges Mädchen aus ihrer Familie und den einfachen Verhältnissen, in die sie geboren wird, wegsehnt und den unbändigen Wunsch hat, Schriftstellerin zu werden. Dafür ist sie bereit, alles hinter sich zu lassen.


Buchbeginn

Am Morgen war die Hoffnung da. Sie saß als flüchtiger Schimmer im glatten, schwarzen Haar meiner Mutter, das ich nie zu berühren wagte, und sie lag mir auf der Zunge wie der Zucker im lauwarmen Haferbrei, den ich langsam verspeiste, während ich ihre schmalen, gefalteten Hände betrachtete, die reglos auf den Zeitungsberichten über die Spanische Grippe und den Versailler Vertrag ruhten...


Zitate

Für meine Klassenkameraden bin ich nach wie vor unfassbar komisch, aber ich habe mich an die Clownsrolle gewöhnt und finde sogar einen traurigen Trost darin, denn sie beschützt mich, zusammen mit meiner bescheinigten Dummheit, vor dieser eigentümlichen Bösartigkeit gegenüber jedem, der anders ist.


Dunkel ist die Kindheit, und sie winselt wie ein kleines Tier, das man in einen Keller eingesperrt und vergessen hat.


Ich weiß genau, wie schlimm es ist, nicht normal zu sein, ich habe ja selbst meine liebe Not damit, so zu tun, als wäre ich es. 


Jugend

Inhalt

"Ein Mädchen kann nicht Dichterin werden", hatte der Vater zu ihr gesagt. In Jugend zeichnet Tove Ditlevsen das Porträt einer jungen Frau im Kopenhagen der 1930er, die ihren eigenen Weg geht - unmittelbar, wild, lebendig erzählt.
Buchbeginn
Ich blieb nur einen Tag an meinem ersten Arbeitsplatz. Morgens ging ich um halb acht von zu Hause los, um überpünktlich dort zu sein, denn am Anfang müsse man sich Mühe geben, meinte meine Mutter, die in sämtlichen Haushalten, wo sie in ihrer Jugend eine Stelle angenommen hatte, selbst nie über den Anfang hinausgekommen war...

Zitate

Ich trinke meinen Kaffee, und meine Mutter fragt: "Du bist so still, es wird doch wohl nichts sein?" Sie sagt es mit scharfer Stimme, denn sie mag mich nur, wenn meine Seele ganz in der ihren ruht und ich keinen heimlichen Winkel davon für mich behalte.


Aber ich hätte so gern einen Ort, an dem ich üben könnte, richtige Gedichte zu schreiben. Ich hätte gern ein Zimmer mit vier Wänden und einer geschlossenen Tür. Ein Zimmer mit einem Bett, einem Tisch und einem Stuhl, mit einer Schreibmaschine oder einem Block und einem Bleistift, mehr nicht. All das kann ich nicht haben, bevor ich achtzehn bin und von zu Hause ausziehen darf.


Abhängigkeit

Inhalt
In Abhängigkeit schreibt Tove Ditlevsen offen und absolut gegenwärtig über ihr Leben als Frau, Schriftstellerin und Mutter, über Liebe, Freundschaft und die Verlockungen der Sucht. Die Geschichte einer Befreiung, und das eindringliche Porträt einer Frau - verletzlich, souverän, eigenständig.

Buchbeginn
Alles im Wohnzimmer ist grün, die Wände, die Teppiche, die Gardine, und ich befinde mich immer darin, wie in einem Bild. Jeden Morgen wache ich gegen fünf Uhr auf und beginne auf der Bettkante sitzend zu schreiben, während ich frierend die Zehen anziehe, denn da wir Mitte Mai haben, wurde die Heizung schon ausgestellt...
Zitat I
Es ist eine verblüffende Erfahrung, einen Studenten zu treffen, der tatsächlich fertig geworden ist.

Zitat

"Es ist ein Graus mit Männern, die zwei Frauen gleichzeitig haben", sagt sie. "Beide Frauen leiden vor sich hin, und der Mann will keine Entscheidung treffen."



Fazit

Absolute Leseempfehlung für die Kopenhagen-Trilogie. Tove Ditlevsens Schreibstil lässt einen verleiten, durch die Bücher zu rauschen. Doch man sollte ein wenig zwischen den Zeilen lesen.

Auf den ersten Blick könnte man sie für eine oberflächliche Person halten. Doch das ist sie absolut nicht. In "Kindheit" lernt sie einen älteren Herrn kennen, der ihr sagt, es sei gut, wenn jeder von jedem etwas erwartet. 

Das kommt schon in "Jugend" zum Tragen, als sie sich von ihrem ersten Mann Unterstützung erhofft, ihre Gedichte zu veröffentlichen. Und gleich noch ihren ersten Roman. 

Tove Ditlevsen war wohl immer eine Suchende. Sie wünschte sich sehnlichst eine Familie, Kinder. Das merkt man zwischen den Zeilen, obwohl sie nie weinerlich oder verzweifelt klingt. Ihr erster Mann, der auch wesentlich älter ist als sie, erfüllt ihr diesen Wunsch nicht.

Das Verhältnis zur Mutter empfinde ich als unmenschlich vonseiten der Mutter. Wie kann man es sonst nennen, wenn man der Tochter so ganz nebenbei ins Gesicht sagt, man hätte in der Schwangerschaft Seife gefuttert, damit das Kind nicht komme.



17.4.23

Marlen Haushofer: Bartls Abenteuer

Ein Buch, das ich allen Katzenliebhaberinnen* ans Herz lege. Ihr werdet es lieben.


Im September, vier Tage vor meinem Geburtstag, mussten wir unsere Nelly gehen lassen. Die Monate davor und Wochen nachher waren sehr schwer für uns. Aber wir konnten uns von ihr verabschieden und waren bis zur letzten Minute bei ihr.

Vor einiger Zeit - nachdem ich "Die Wand" von Marlene Haushofer mit Begeisterung gelesen habe - habe ich beschlossen, alles von ihr zu lesen. Das zweite, das ich gelesen habe, war "Himmel, der nirgendwo endet". Reichte nicht an Ersteres heran, hab es aber gerne gelesen.

Nun fiel mir die Tage "Bartels Abenteuer" in die Hand und hat mir erst mal einen Hieb verpasst. Aber ich bin neugierig, weil Marlen Haushofer schon in "Die Wand" so schön über die Tiere geschrieben hat, mit denen sie zusammenlebte. Nach den ersten 20 Seiten war ich schon hin und weg. Was konnte die Frau schreiben. Obwohl es sich hier um einen Kater handelt, überschwemmten mich Erinnerungen an Nellys erste Wochen und Monate, die sie bei mir war. Und sie kam schon mit elf Wochen zu mir.

Eigentlich hätte ich das Büchlein in ein, zwei Stunden auslesen können, aber ich habe es tatsächlich geschafft, es mir in vier Tage einzuteilen. Vier Tage ein wundervolles Lesevergnügen.


Klappentext

Bartl teilt sein Schicksal mit vielen jungen Katzen auf der Welt: Kaum stubenrein, wird er von der Mutter getrennt und muß sich in einem neuen Zuhause einrichten. Der kleine verspielte Kater aber hat Glück und wird sehr schnell heimisch. Er beginnt behutsam die Welt zu erkunden und sich als "Hauptperson" in der Familie zu fühlen. Immer weiter dehnt er sein Revier aus, macht aufregende Entdeckungen, schließt Bekanntschaften mit anderen Vierbeinern, besteht Abenteuer und vollbringt wahre Heldentaten. Als unbestrittener Liebling von Eltern und Kindern wird er umsorgt und schmerzlich vermißt, wenn er einmal verspätet oder tagelang gar nicht nach Hause kommt. Marlen Haushofer hat in dieser bezaubernden, vergnüglichen und mit Humor erzählten Geschichte nicht nur sich selbst und ihr Zuhause skizziert, sondern das in Worte gefaßt, was unzählige Katzenfreunde so oder ähnlich erleben. "Ein Roman in der Sprache der Vierbeiner, aber ohne den Katzenton vieler Erwachsener", rühmte Geno Hartlaub im ,Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt'.


Buchbeginn

Als er noch ganz winzig war, nannten ihn die Menschen Peter. Er lag bei seiner Mutter Tschitschi in einem weichgepolsterten Korb, und es ging ihm sehr gut. Seine Mutter war weich und warm, roch sehr angenehm und versorgte ihn mit süßer Milch. Manchmal juckte ihn etwas, aber er wußte nicht, daß es ein Floh war, und er vergaß den kleinen Schmerz gleich wieder. Seine Mutter war eine zarte silbergraue Katze, die sehr viel auf Reinlichkeit hielt und ihn immer wieder sauberleckte. Sein Vater war der ärgste Raufbold der Stadt, sein Großvater ein riesiger Dorfkater, der berühmt war wegen seiner Stimme, und einer seiner fernen Urahnen war ein Wildkater gewesen. Von ihm stammte die Schöne Zeichnung auf Peters Fell und sein unbändiges Temperament.


Zitat

Bartl lebte in zwei ganz verschiedenen Welten. Sosehr er seine Menschen liebte, trieb es ihn doch immer wieder in die abenteuerliche Welt der Katzen hinaus. Er konnte nichts dagegen tun, sein Vater war ein großer Raufbold gewesen, sein Großvater Herr über alle Katzen eines Dorfes, und manchmal regte sich in Bartl das Blut seines fernen Ahnherrn, des großen Wildkaters, der die Urwälder durchstreift und ein freies und wildes Leben geführt hatte. Es war sehr schwer für Bartl, seine beiden Welten immer säuberlich auseinanderzuhalten, und es gelang ihm nicht immer. Manchmal vergaß er mitten im Spiel, daß er nicht einem dichtbepelzten Kater gegenüberstand, und Mama trug wieder ein paar Kratzer und Bisse davon. Er wußte dann sofort, daß er nicht hätte vergessen dürfen, auf ihre dünne nackte Haut zu achten, und um es wiedergutzumachen, leckte er reumütig ihren Handrücken und stieß mit dem Kopf gegen ihre Stirn. Mama war auch nie wirklich böse, denn sie konnte sich vorstellen, wie es zu derartigen kleinen Unfällen kam.