2.2.24

Christiane Ritter: Eine Frau erlebt die Polarnacht

Erst als an einer Stelle im Buch die Frage auftauchte, ob in Europa schon Krieg ist, stutzte ich und schaute mal nach: Das ganze Unterfangen fand schon 1934/35 statt. Die Autorin Christiane Ritter lebte von 1897 bis 2000.

Dabei war Christiane Ritter nicht etwa abenteuerlustig, als sie die Reise nach Spitzbergen antrat, nein, ihr Mann Hermann Ritter (deutscher nautischer Offizier, Pelztierjäger und Offizier der Kriegsmarine im Zweiten Weltkrieg, zuletzt als Leutnant zur See) meinte, sie müsse unbedingt ein Jahr auf Spitzbergen verbringen.

Den ersten Schock bekam sie schon mal, als er meinte, sie dürfte nur mitnehmen, was sie selbst tragen könne - also einen Rucksack voll an Gepäck.

Christiane Ritter war nicht die erste Frau, die es in die Arktis zog. Als erste weiße Frau, die in der Arktis überwintert hat, galt Josephine Peary (1863-1955), US-amerikanische Polarforscherin und Schriftstellerin.

"1893 erschien ihr Buch My Arctic Journal – a Year among Ice-Fields and Eskimos. Sie war die Ehefrau von Robert E. Peary, den sie bei seinen Versuchen, den Nordpol zu erreichen, aktiv unterstützte. 1955 ehrte die National Geographic Society sie mit der Medal of Achievement für ihre Verdienste um die Arktis. Isabel Coixet drehte 2014 über Josephine Peary den Spielfilm Nobody Wants the Night mit Juliette Binoche in der Hauptrolle." - Wikipedia

Ein Abenteuer wurde es dann aber doch. Und zum Schluss wollte Christiane Ritter gar nicht mehr weg von dort. Das Buch zeigt, wie weit wir Menschen uns schon damals von der Natur entfernt haben - auch von unserem eigentlichen Menschsein.


Inhalt

Im eisigen Spitzbergen, viele hundert Kilometer von der nächsten Siedlung entfernt und ohne die Hilfsmittel moderner Arktisexpeditionen, hat die Malerin Christiane Ritter ein Jahr lang allein mit ihrem Mann und einem Pelzjäger in einer Hütte gelebt. Was sie vom Schrecken der Schneestürme, von der Jagd auf Bären, Polarfüchse und Schneehühner und vor allem von der Grausamkeit monatelanger Finsternis erzählt, aber auch von der unvorstellbar strahlenden Schönheit des arktischen Sommers, ist der Schlüssel zu einer unbekannten Zauberwelt.


Buchbeginn

Die lockende Arktis

In einer Hütte in der Arktis zu leben, war von jeher meines Mannes Wunschtraum gewesen. Wenn in unserem europäischen Heim irgend etwas nicht stimmte, Kurzschluß, Rohrbruch, oder gar der Mietzins gesteigert wurde, meinte er immer wieder, so was könnte in einer Hütte in der Arktis nicht vorkommen.

Anschließend an eine wissenschaftliche Expedition blieb mein Mann in Spitzbergen, betrieb mit seinem Kutter Eismeerfang und, wenn alles vereist war, im Winter auf dem Festlande Pelztierjagd. Briefe und Telegramme kamen aus dem hohen Norden: "Laß alles liegen und stehen und folge mir in die Arktis."


Zitate

Wir fahren wieder in dichtem Nebel. Gefleckte graue Möwen fliegen ganz niedrig mit dem Schiff. Es sind ganz andere Möwen als die, die ich bis jetzt gesehen habe. Sie fliegen mit knappen, derben Flügelschlägen. Ihre stumpfen, verbissenen Gesichter sehen nach Kampf und Zähigkeit aus. In ihrem Anblick ahne ich zum erstenmal die unerbittliche Natur der Arktis.


Wir haben Vollmond. Was das bedeutet auf der vereisten Glatze der Erde, davon kann sich kein Mitteleuropäer einen Begriff machen. Uns ist es, als zerflössen wir im Mondlicht und als zehrte es uns auf. Es nützt nichts, wenn wir nach einer Mondscheintour zurückkehren in die Hütte unterm Schnee. Es ist, als verfolgte uns das Licht überallhin. Das ganze Bewußtsein ist grelle Helle, das ganze Bewußtsein verlangt zurück zum Mond.


Der Mediziner bewundert mein gesundes Aussehen und meine "unvergleichliche Seelenruhe".
Kunststück, wenn, wie hier, das Tagewerk nur aufs Lebensnotwendigste eingestellt ist und Tag und Nacht Zeit bleibt, der Natur zu leben. In unserer weiteren Unterhaltung bedauern wir alle Menschen der europäischen Städte, besonders die Hausfrauen, die, ohnedies abgehetzt vom beständigen Kampf mit Ruß, Staub, Motten und Mäusen, sich noch gegenseitig verpflichtet fühlen zu äußerem Schein. Wir sprechen weiter von Europas Kulturgenüssen, die uns dort so wertvoll sind, zum Beispiel die Musik, ohne die wir doch kaum zu leben vermögen, die die Seele erhebt und das Gemüt leicht macht. Merkwürdig genug, aber der Hunger nach Musik fehlt hier ganz. Unser Gemüt ist leicht, die Seele ist in einem dauernden Zustand der Erhebung. Die Natur scheint alles zu enthalten, was der Mensch für sein Gleichgewicht braucht.


Manchmal steigen wir auf die Berge. Nicht um Ausschau zu halten über das Eis. Nicht auf Schiffe warten wir. Nein, wir sind so wie alle Spitzbergener, die sich fürchten vor dem ersten Frühjahrsschiff. Nur nichts soll kommen, unseren Frieden zu stören!




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