16.2.24

Marlen Haushofer: Eine Handvoll Leben

Mit einem Vorwort von Angela Lehner
Mit einem Nachwort und herausgegeben von Konstanze Fliedl

So ein Lesen habe ich noch nicht erlebt. Ich wusste nicht, worum es geht, eine Inhaltsangabe oder Klappentext gibt es bei dieser Gesamtausgabe nicht.

Keine Frage, das Buch ist gut zu lesen, entwickelt einen Sog, dem ich mich kaum entziehen konnte. Habe mir auch ein paar schöne oder interessante Stellen rausgeschrieben.

Aber: Bis zum Ende hin wusste ich irgendwie nicht, worum es eigentlich ging. Waren Betty und Elisabeth ein und dieselbe Person? Oder war die eine die Ältere, die sich an die Jüngere erinnert?

War ich beim Lesen nicht konzentriert genug? Außer dem allgemeinen Weltgeschehen, das ich mehr oder weniger erfolgreich verdrängen kann, plagen mich derzeit keine Probleme, die mich hätten ablenken können.

Eine Aufklärung habe ich dann im Nachwort erfahren. Mit diesem Wissen wäre es sicher ein anderes Lesen gewesen.


Inhalt

Eine junge Frau täuscht ihren Tod vor, um von ihrer Familie fortzugehen. Nach Jahren gesellschaftlicher und häuslicher Fesseln will sie aus der Rolle der Ehefrau, Mutter und Geliebten ausbrechen: ein eigenes Leben aufbauen, statt ein fremdbestimmtes Doppelleben zu führen.
Jahre später kehrt sie zurück in das Haus, das sie einst verließ – unerkannt vom eigenen Sohn, voller Erinnerungen und doch ohne Reue. 
"Eine Handvoll Leben" ist Marlen Haushofers erster Roman und verdichtet die verschiedenen Lebensentwürfe einer Frau, die sich für den Weg in die Unabhängigkeit entscheidet.  


Aus dem Vorwort

Fast siebzig Jahre nach Erscheinen von Haushofers ,Eine Handvoll Leben' haben sich diese unsichtbaren Wände nur unwesentlich verschoben. Sich öffentlich als Feminist:in zu bekennen, wird vielerorts weiterhin verhöhnt; Stellung zu beziehen, deswegen auch heute noch von vielen vermieden. Zu groß ist die Angst vor dem Ausschluss aus einem nach diskriminierenden Bauplänen errichteten Gesellschaftssystem, das sich immer wieder selbst neu errichtet.


Buchbeginn

Im Mai 1951 starb in einer österreichischen Kleinstadt ein gewisser Anton Pfluger an den Folgen eines Autounfalls. Auf dem Weg von seinem Landhaus in die Stadt fuhr er nämlich, ohne jeden ersichtlichen Grund, gegen einen Alleebaum und zog sich einen Schädelbruch und innere Verletzungen zu. Da er nicht mehr das Bewußtsein erlangte, nahm man an, eine plötzliche Übelkeit hatte ihn befallen. Anton Pfluger hatte wenige Tage zuvor seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert und vielleicht dabei des Guten etwas zuviel getan.


Zitate

Die ersten Monate im Internat verbrachte Elisabeth wie ein Mensch, den man brutal ins Wasser geworfen hat und der jetzt um sein Leben schwimmt, wild vor Todesangst und nicht imstande, um sich zu blicken. Nur ganz langsam konnte sie damit anfangen, ein wenig Ordnung in das Chaos von Eindrücken zu bringen. Diese Bemühungen, von wenig Erfolg gekrönt, sollten sie nun jahrelang beschäftigen.

In ihren Träumen nahmen die Ungeheuer überhand und nach wilden Kämpfen und großer Bedrängnis erwachte sie am Morgen matt und leer.

Dann fiel ihr die violette Hyazinthe ein, die jemand ihr zum Geburtstag geschenkt hatte.
Noch einmal stand sie vor der feuchtblauen Blüte und roch den erregenden Duft, ganz verloren an diese gewalttätige Schönheit. Nach drei Tagen wurden die glänzenden Blumenblätter matter und auch der Duft wurde schwächer. Am fünften Tag plötzlich, gegen Abend, strömte die Hyazinthe einen so wilden Geruch aus, daß man die Fenster aufreißen mußte. Die Spitzen der blauen Blüten bogen sich in schamlosem Todeskampf zurück und aus ihrer Mitte kam dieser süße und verzweifelte Geruch, der langsam zum Gestank des Todes wurde. Eine Stunde später stand die Blume welk und erschlafft und Elisabeth trug sie aus dem Zimmer.

Ein Gefühl des Triumphes ließ sie rascher atmen, erlosch aber sogleich wieder: die Vorstellung, Lenart könne anfangen, sie zu lieben, war beklemmend und furchteinflößend. Mit einemmal wußte sie, daß sie in Wahrheit nie gewünscht hatte, geliebt zu werden. Sie selbst konnte nur lieben, was für sie schwierig und unerreichbar war und sich ihr immer wieder entzog. Es gab nichts Enttäuschenderes, als eine Aufgabe gelöst, eine Sehnsucht gestillt zu haben und plötzlich ohne Wunsch zu sein.

Das Leben war einfach zu stark, um bewältigt zu werden.

 

1 Kommentar:

  1. Liebe Anne,
    Marlen Haushofer ist eine beeindruckende Persönlichkeit, auch weil sie schon in den 50er Jahren Literatur zum Thema Frauenemanzipation veröffentlicht hat. Zunächst hat mich ihr Romananfang »Eine Handvoll Leben« auch etwas verwirrt, aber dann wird deutlich, dass Betty, Elisabeth und Liserl die gleiche Person ist, der Name jeweils angepasst an die jeweilige Lebensphase. Für mich geht es in dem Roman darum, wie die Menschen auch zukünftig mit der Geschlechterdifferenz umgehen können, wie auf vernünftigen Wegen Hierarchien abgebaut werden können, wie Mann und Frau in der Zukunft zusammenleben können, ohne dass weder Frau noch Mann unterdrückt werden? Aber ich denke, dass Elisabeth ihren Zwiespalt, ihre widersprüchlichen Wünsche nach Freiheit und Geborgenheit nicht lösen kann.
    Hier meine Rezension: https://mittelhaus.com/2023/01/03/marlen-haushofer-eine-handvoll-leben/
    Liebe Grüße
    Margret

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