12.3.21

Bruno Apitz: Nackt unter Wölfen

Bruno Apitz, 1900 geboren, war in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert, zuletzt acht Jahre bis zur Befreiung im KZ Buchenwald.

Schon ziemlich zu Beginn bin ich über diesen Satz gestolpert:

"Deutsches Volk, was für ein Rindvieh bist du ... Erst verdunkelst du dir das Gehirn und dann die Fenster."

Wenn ich so schaue, mit was wir uns heutzutage beschäftigen, was die Masse für ein TV-Format schaut, wie die Politiker uns für dumm verkaufen und nur noch eine Politik des Geldes betreiben, dass der Paragraf 1 des Grundgesetzes schon längst überholt ist, was uns alles verschwiegen wird, was für Kriegstreiber wir eigentlich sind, da finde ich das Zitat beängstigend aktuell.

Zweiter Weltkrieg, die letzten Monate vor der Befreiung.

Ein kleiner Junge wird von einem polnischen Häftling mit ins KZ Buchenwald geschmuggelt. Ein paar Männer verstecken ihn entgegen den Befehlen des illegalen Internationalen Lagerkomitees, als der Pole nach Bergen-Belsen verlegt wird. Das wäre das Todesurteil des Jungen gewesen.

Dieser kleine Junge bringt aber nun alle, die von ihm wissen, in Gefahr. Und der Kreis derer, die Bescheid wissen, wird immer größer. Pippig nimmt die Sache in die Hand. Kümmert sich; sogar Milch treibt er für den Kleinen auf.

Dann taucht ein Zettel auf, der in die falschen Hände gerät. Im Lager soll ein Kind versteckt sein. Höfel und Kropinski, die in der Effektenkammer arbeiten, werden aufs Schwerste gefoltert. Die Genossen, die sich im Geheimen treffen, überlegen, wie ihnen geholfen werden kann.

Die Effektenkammer bekommt einen Neuen. Als Ersatz für Höfel und Kropinski. Doch die Männer bekommen raus, dass dieser Wurach ein Zinker ist.

Und wieder ist es Pippig, der sich in Gefahr begeben muss. Versteckte Waffen müssen umgelagert werden.

Höfel und Kropinski befinden sich immer noch in Zelle Nr. 5. Höfel lag nach der Tortur mit der Leimzwinge mit hohem Fieber auf dem nasskalten Zementboden. Seine Peiniger stehen um ihn herum und horchen, ob er in seinem Fieberwahn seine Geheimnisse preisgibt.

Neue Häftlinge werden gesucht, aus denen man etwas herauspressen könnte: Rose, der vor Angst schlottert, und Pippig.

Die Befreier rücken immer näher. Aber schaffen sie es rechtzeitig? Ich fiebere mit ihnen mit. Wage mir nicht auszumalen, was nun mit Pippig geschieht. Oder mit Höfel, über den Reineboth gerade sagt:

"Heb ihn und den Polen noch auf, die laufen uns nicht davon. Lass den Mandrill noch eine Weile mit ihnen spielen, vielleicht quetscht er doch noch was aus ihnen raus. Umlegen kann er sie am letzten Tage noch. Abgeschrieben sind sie ja bereits..."

Mir kommen die Tränen bei so viel Menschenverachtung.

Plötzlich geistert das Wort "Evakuierung" herum. Was sollen die Genossen tun? 50.000 Menschen evakuieren lassen und damit unweigerlich in den Tod schicken? Diese Entscheidung muss das ILK treffen.

Pippig holten sie zum Verhör und Rose bleibt in der Zelle alleine zurück. Er erinnert sich an die ersten Jahre im Lager:

"Den Graben hatten wir zuzuwerfen, das war unsere Arbeit. Wie harmlos das klingt! Haben Sie eine Ahnung! [...] Aber da gibt's noch Schlimmeres. Die verfluchte Scheißerei! Du möchtest dir die Hosen herunterreißen und an Ort und Stelle ... Das ist verboten. Du musst dich beim Posten abmelden und in den Wald gehen. Hahahaaa, in den Wald ... Das heißt: über die Postenkette, und wer da drübergeht, wird auf der Flucht erschossen. Nun scheiß mal ... Aber der Wanst will dir auseinanderplatzen! Im letzten Moment, wenn es schon in die Hosen abgehen will, ist dir alles egal. Scheißen ist notwendiger als sterben. Du lässt die Picke fallen, stolperst über den Erdhaufen zum Posten, die Sensenmesser zerschneiden dir den Rücken, zitternd ziehst du vor dem Knaben dein Krätzchen. ,Häftling bittet austreten zu dürfen...'

Kauerst du dich nun zu nah bei dem nieder, dann springt er auf dich los, kracht dir den Kolben ins Kreuz: "Schwein! Willst du mir deinen Mist vor die Nase setzen?" Gehst du aber einen Meter zu weit, dann reißt er vielleicht den Karabiner an die Backe...

Von Beginn an sind in der Geschichte zwei Dinge klar. Wie groß die Hoffnung der Häftlinge auf ihre Befreiung ist. Deutlich an den Landkarten an den Wänden, an denen der Frontverlauf markiert wurde.

Und dass die Häftlinge nicht als Menschen angesehen wurden. Wie viel Kraft muss in ihnen stecken, dass sie bei all dem Grauen doch menschlich blieben.

Doch sie mussten auch Entscheidungen fällen, die uns unmenschlich anmuten. Wie Bochow, der Höfel befiehlt, das Kind auf den nächsten Transport zu schicken, der unweigerlich in den Tod führt.

"Es ist ein Wunder gewesen, dass er den Koffer überhaupt bis hierher gebracht hatte. Jankowski wies zitternd alle Gedanken ab, um das Wunder nicht zu verscheuchen. Nur an eines glaubte er mit heißer Inbrunst: Der barmherzige Gott wollte es sicher nicht zulassen, dass der Koffer in die Hände der SS geriet."

Und was Höfel mit den Gedanken an seine eigene Familie für einen innerlichen Kampf ausficht.

Und es hängt ja nicht nur die Entscheidung in der Luft, bleibt der Junge oder nicht. Für den Fall, dass man ihn behält, muss jemand entscheiden, jemand anderen auf den Transport zu schicken. Wer soll dieser Jemand sein? Und wer trifft die Entscheidung?

In was für einem Zwiespalt müssen diese Männer gesteckt haben.

Und wem konnte man vertrauen? Die Häftlinge waren ja nicht alle politische Gefangene. Allein unter den deutschen Häftlingen gab es jede Menge Berufsverbrecher. Und selbst unter den politischen Gefangenen gab es viele, denen das eigene Hemd näher war als alles andere.

Beim Erstellen der Transportliste meinte Krämer zu Pröll:

"Manchmal denke ich, manchmal denke ich, wir sind doch eine verdammt hartgesottene Gesellschaft geworden..."

Das mussten sie doch werden. Wie hätte es anders sein können unter diesen Bedingungen. Und trotzdem haben sie sich ihre Menschlichkeit bewahrt. Auch wenn sie schreckliche Entscheidungen treffen mussten:

"Walter! Zum Donnerwetter! Deiner eigenen Sicherheit wegen sollst du nie mehr von den Dingen wissen, als für dich notwendig ist, verstehst du es nicht? Es geht um deinen Schutz!"

"Um den Schutz eines Kindes geht es! {Du verlangst von mir, du - ihr - was weiß ich - ihr verlangt von mir, dass ich blind und stur ein Kind in den Tod schicke!}"

{"Wer sagt, dass das Kind in den Tod..."

"Bergen-Belsen! Genügt das? Ich bin doch kein kalter Mörder!"...}

In der Neuauflage vom Aufbau-Verlag stehen viele Wörter, Satzteile und Sätze in Klammern, die in vorherigen Ausgaben nicht vorhanden sind. Es sind meist Passagen, die sehr krass klingen. Die die Gefahr und den Ernst der Lage noch deutlicher widerspiegeln. Auch wie die SS mit den Gefangenen umgeht, wird mit solchen Passagen deutlicher.

Das Schlimme ist ja: Die politischen Gefangenen mussten in den KZ Ungeheuerliches erleiden. Und wenn sie das überlebt haben und dann in der DDR weitergelebt haben, haben sie unter Umständen wieder Schlimmes erleben müssen.

Es sei denn, sie haben sich angepasst.

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