1.3.21

Ilka Piepgras (Hg.): Schreibtisch mit Aussicht

Seit ich auf Twitter bin, habe ich viel mitbekommen über die Ungerechtigkeiten im Literaturbetrieb. Sei es durch die Aktion #frauenlesen oder insbesondere #frauenzählen, die durch @nachtundtagblog angestoßen wurde. Oder den Einblick, den ich ein bisschen in Wikipedia bekommen habe, wie es da zu geht. 

Nachdem ich nun noch das Vorwort von Ilka Piepgras in diesem Buch gelesen habe, würde ich am liebsten meine Bücher, die von Autoren geschrieben wurden, aus meinen Regalen pfeffern. 

Noch dazu, wenn man liest, was manch Schriftstellerin zu dem Thema beizusteuern hat.

Anne Tyler hat ihren Beitrag untertitelt mit "Ich schreibe nur". Das wohl auf Antwort auf die Frage einer Mutter: "Haben Sie schon Arbeit gefunden? Oder schreiben Sie nur?"

Von Anne Tyler habe ich bisher drei Bücher gelesen und fand sie allesamt sehr gut: Der leuchtend blaue Faden, Atemübungen und Launen der Zeit. Ersteres habe ich als schöne Ausgabe von der Büchergilde.

Die Figur eines Mannes mit Bart und Lederhut mit breiter Krempe trug Anne Tyler ziemlich lange schwanger, kam ihr doch immer wieder das Leben dazwischen. Mich hat es auch gewundert, mit welcher Ruhe sie es hinnimmt, nicht regelmäßig schreiben zu können. Ist sie es doch, die zu Hause alles stemmen muss. Aber: "Wahrscheinlich setzte ich mich ein Dutzend Mal in der Woche hin und grübelte gründlich über alles nach. Oft versuchte ich damit nur, mich zu überzeugen, dass auch mein Beitrag Bedeutung hatte." 


Egal, über welches Thema ein*e Schriftsteller*in schreibt: "...ein gutes Buch ist ein gutes Buch, es spricht auf eine universelle Art zu uns, es verwickelt uns, lässt uns zweifeln und nachdenken, es macht uns hungrig und glücklich, niemals satt."

Bei den schreibenden Kolleg*innen erkennt man das, meint Eva Menasse, "aber wie zum Teufel macht man es selbst".

Sie selbst glaubt, man muss sich täglich an den Tisch setzen, wie der/die Beamte. Jeden Tag pünktlich, egal, wie kurz die Nacht war. Und fällt einem nichts ein, klappt es vielleicht mit dem Korrigieren. Und so ganz nebenbei gibt sie uns eine Kostprobe von dem, was sie besonders gerne macht: Sätze umschreiben: "Versunken wie ein Kind spiele ich stundenlang mit meinen eigenen Worten. Ich schiebe sie hierhin und dahin, streiche, ergänze, erfreue mich daran."


Elif Shafak macht sich Gedanken über Sprache, Heimat (Heimaten würde sie lieber sagen und das kann sie. Denn der Duden bejaht ihre Frage, ob es für Heimat auch einen Plural gibt). Türkisch ist die Muttersprache, die Zweitsprache Spanisch, danach erst Englisch. Und irgendwo war immer Französisch, die Sprache, die sie zuerst hörte, da sie in Frankreich zur Welt kam. Doch sie zog früh weg, sodass sie diese Sprache nie sprach.

Ja, sie hat einige Heimaten, ist aber auch Europäerin, Weltbürgerin: "Weltbürgerin zu sein heißt nicht, dass man kein Gefühl von Zugehörigkeit hat. Es heißt nicht, dass man ziellos, sorglos, verantwortungslos über allem schwebt.

Weltbürger sein heißt, dass du gleichzeitig ,hier' und ,überall' sein kannst. Es heißt, dass du deinen Ort, deine Kultur, dein Land von Herzen lieben kannst und dir gleichzeitig das Wohl des Planeten, die Zukunft der Welt am Herzen liegen kann. Unser Herz und unser Geist sind groß genug, um sich mit vielen Orten verbunden zu fühlen." - Seite 45

Ihre ersten Romane schrieb Elif Shafak auf Türkisch, doch mit dem späteren Englisch hatte sie mehr "Raum und Freiheit". Dafür, dass sie auf Englisch schreibt, wurde sie anfangs von türkischen Nationalisten als "Verräterin" beschimpft.

Elif Shafak lernte erst spät schreiben, aber früh lesen. Immer, wenn sie ein Buch durch hatte, fing sie noch einmal von vorne an und überlegte, was sie anders schreiben würde: "Irgendwo in meiner Seele hatte der Wind der Fantasie eine Tür aufgeblasen, und ich begann Schritt für Schritt ins Land der Geschichten zu wandern."


Ich habe noch nie in einem Text so viele "Ich erinnere mich..." gelesen wie in diesem Mariana Leky. Sie erinnert sich an "eine Übung im Grundkurs Kreatives Schreiben" und es wird überhaupt nicht langweilig, ihren Erinnerungen zu folgen, auch wenn jeder Absatz mit "Ich erinnere mich..." beginnt.

Zum Beispiel erinnert sie sich, "dass wir in den Seminaren über unsere Texte sprachen, als seien sie begehbar. Wir gingen durch die Texte, wir sagten: Da muss neu verputzt werden, da steht was schief, da steht was sehr gut, da fällt was gleich um ... Ich erinnere mich, dass ich dachte: Das ist keine Schreibschule, das ist Innenarchitektur."


Von Joan Didion habe ich mir gerade "Woher ich kam" bestellt. Nun treffe ich sie hier im Buch. Ihrer Meinung nach ist  "Schreiben der Akt, ich zu sagen, sich anderen aufzudrängen, zu sagen: Hör mir zu, sieh es wie ich, ändere deine Haltung". Sie war keine Denkerin. Überhaupt wusste sie nur, was sie nicht war, "und ich brauchte Jahre, um herauszufinden, was ich war.

Ich war Schriftstellerin."

Für sie ist Grammatik ein Klavier, das sie nach Gehör spielt. Grammatik besitzt eine unendliche Macht. "Die Struktur eines Satzes zu verschieben heißt, die Bedeutung zu verschieben..."

Als sie "A Book of Common Prayer" begann, hatte sie zunächst viele Bilder im Kopf. Sie erfand Charlotte Douglas und wusste, warum sie zum Flughafen fuhr, auch wenn Victor es nicht wusste. Wenn Joan Didion auf die auftauchenden Fragen die Antworten wüsste, hätte sie diesen Roman niemals schreiben müssen.


Antonia Baum kann überall schreiben. Derzeit sitzt sie in einem Café und schreibt anscheinend an dem Text für dieses Buch. Zumindest schreibt sie uns persönlich an. Ihre Zeit fällt in zwei Teile: Der eine ist die Zeit, die sie mit ihrem Kind verbringt, die andere ist Arbeit. Der Teil der Arbeit betrifft aber nicht nur das Schreiben, sondern auch alles andere, was an Leben anfällt. Dann sind da noch die "systemerhaltenden Maßnahmen" wie den Mann ab und zu "außerhalb unserer Wohnung treffen", damit man sich weiterhin mag und sich nicht trennt. Auch soziale und berufliche Kontakte müssen gepflegt werden, da Antonia Baum hauptberuflich Journalistin ist und drittens muss man sich auch noch ein wenig um sich selbst kümmern.

Schreiben ist für sie eine große Sache und ihr Verhältnis dazu "nicht unsentimental und nüchtern und unaufgeregt und praktisch". Aber sie muss sich so verhalten, "um schreiben zu können, und darüber bin ich nicht glücklich".

Dass sie überall schreiben kann ist erst, seit sie ein Kind hat. Es geht gar nicht anders. Ihr Bücherschreiben hat nichts mit dem zu tun, wie Schriftsteller*innen auf Kalenderblättern abgebildet werden. Ihr Schreiben am Buch ist durchgetaktet, da sie ja hauptsächlich journalistisch schreiben muss. Das Leben eines "in der Regel als männlich gedachten, weltabgewandten, schwebenden Schriftsteller-Schriftstellers" kann sich nur jemand leisten, der alleine ist oder viel Geld hat, oder aber "wem das Leben (die Kinder) vom Leib gehalten wird (in der Regel von Frauen).

Antonia Baum überlegt, ob es klug ist, so viel Privates über Kind und so preiszugeben, kulturell gesehen ist das ja nichts Weltbewegendes. Zumindest nicht für Männer, die ja immer noch zum größten Teil über die kulturelle Deutungsmacht verfügen. Wenn es dann aber doch die ein oder andere Frau schafft, wird sie hauptsächlich von Frauen gelesen. Auch über Fragen von "Sexismus, sexualisierte Gewalt, Lohnungerechtigkeit" diskutieren hauptsächlich Frauen, also bleiben sie "in ihrem Frauen-Bereich". Die Männer werden sich mit diesen Themen nicht auseinandersetzen. Diese Themen interessieren wahrscheinlich ,nur' die Hälfte der Menschen und die hat wesentlich weniger Macht, "und das ist ein Dilemma, aus dem Frauen nicht herauskommen".


Kathryn Chetkovich
schreibt in ihrem Beitrag vom Neid auf den Erfolg eines Schriftsteller-Mannes, den sie in einer Künstlerkolonie kennenlernte. Er sieht die größte Verantwortung darin, die Arbeit zu machen - also schreiben. Das Selbstverständnis, mit dem er darüber sprach, brachte Kathryn Chetkovich dafür nicht auf "für die Stunden, die ich tagträumend am Schreibtisch saß, wenn ich hübsche kleine Sätze aneinanderreihte". Für sie "war Arbeit immer der Job, für den ich bezahlt wurde, Dienstleistungen, die anderen zugutekamen".

Das erste, worum sie ihn beneidete, war, dass er an seine Arbeit glaubte.

Wieder daheim, entspann sich zwischen beiden ein Briefwechsel. Was konnte sie schon schreiben, außer über den kranken Vater, allerlei Erledigungen und Besuche im Krankenhaus. Er dagegen schrieb über "die Erfolge und Niederlagen an seinem Schreibtisch, wo er an einem Familienroman arbeitete" - ja, er hatte das Schriftstellerleben, das sie nicht führte. Und nicht genug, dass sie derzeit kein Schriftstellerleben hatte, löste das Wissen, dass er auch noch vorankam, "ein Gefühl von Scham und Verlassenheit in mir aus". 

Das Verhältnis mit dem Kollegen entwickelte sich nach dem Tod des Vaters. Sie telefonierten viel und später besuchten sie sich regelmäßig. Während sie sich vorstellte, wie er fieberhaft schrieb, schien ihr nichts mehr zu gelingen. Eine veröffentlichte Kurzgeschichtensammlung blieb ohne Erfolg, ja sie befürchtete, verlernt zu haben, wie man Geschichten schrieb.

Sein Buch wurde ein Erfolg und es war schwer für sie, damit umzugehen. Als Freundin konnte sie ihm sagen, wie sehr sie sich für ihn freut, doch als derzeit unglückliche Schriftstellerin ging sie auf Distanz.

Neid in seiner reinsten Form sieht Kathryn Chetkovich in einem Zitat von Dorothy Parker: "Ich würde so gern gut schreiben können, aber ich weiß, dass ich es nicht kann, dass ich es nicht geschafft habe. Bis an mein Lebensende werde ich immer alle bewundern, die es tun." 

Was soll Kathryn Chetkovich daraus nun schließen? Am besten arbeitet sie weiter.


Elfriede Jelinek ist eine der wenigen Frauen, die "die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern [...] so scharfsinnig und radikal benannt" haben. Elfriede Jelinek, die auf E-Mails zumeist zügig und abschlägig reagiert, lässt sich mit einer Antwort an die Herausgeberin des Buches etwas mehr Zeit und bietet an, auf zwei, drei Fragen zu antworten: "Ich kann nicht mehr und will auch, ehrlich gesagt, nicht mehr."

1989 sagte sie in einem Interview, dass intellektuelle Leistung die Frau nicht aufwertet. Der Meinung ist sie heute immer noch. Ja, Frauen werden inzwischen etwas mehr gewürdigt, öfter ausgezeichnet, die Präsenz von Frauen wird geradezu eingefordert. Doch die großen Kulturschöpfungen kommen vom Mann: "Die Frau hat kein Werk." Ihr fehlt in der Diskussion das Wort "Verachtung". Nicht mal Feministinnen mögen es aussprechen. Doch Verachtung ist das, was die Frau für ihre Arbeit bekommt. Das weibliche Werk wird verachtet. Im Kanon, in dem es um die Verewigung geht, taucht kaum eine Frau auf.

2 Kommentare:

  1. Liebe Anne,
    Ich bin auch seit einiger Zeit auf Twitter, muss aber gestehen, dass ich mir nie die Zeit genommen habe, mich richtig reinzufuchsen. So bin ich dort Passivmitglied...
    Liebe Grüsse
    Igela

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Moin liebe Igela,
      ja, Twitter ist ein Zeitfresser, ich musste mich erst mal einfuchsen, bis es für mich nicht mehr ganz so stressig war. Aber in meiner jetzigen Bücher-Frauen-Bubble fühle ich mich ganz wohl.
      Liebe Grüße,
      Anne-Marit

      Löschen

Wichtiger Hinweis

Seit dem 25. Mai 2018 gilt auch in Deutschland die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Mit der Abgabe eines Kommentars erklärt Ihr euch einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) eventuell abgespeichert und für Statistiken von Google weiterverarbeitet werden.

Beim Absenden eines Kommentars für weitere Benachrichtigungen auf Folgekommentare erklärt ihr euch ebenfalls einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) abgespeichert werden.